Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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      Sie lief die Treppen hinunter. Entschuldige dich sofort! befahl sie sich streng. Keine Ausflüchte und keine Verzögerungen, Caroline.

      »Hallo«, sagte sie daher schüchtern lächelnd und ein wenig außer Atem, als sie endlich vor ihm stand. »Ich habe mich schon gefragt, ob Sie überhaupt kommen würden, nachdem ich mich beim letzten Mal so komisch benommen habe, Tim. Das tut mir sehr leid, und ich muß es jetzt auch sofort loswerden. Bitte entschuldigen Sie.«

      Unter anderen Umständen wäre das der Auftakt für ein offenes Gespräch gewesen, aber Caroline wußte nicht, daß Tim sie mit Dr. Winter gesehen hatte, und so reagierte er völlig anders auf ihre Worte, als sie erwartet und gehofft hatte.

      »Kein Problem«, erwiderte er ohne zu lächeln. »Ich war ja auch nicht gerade in Hochform. Außerdem wird dies unser letzten Treffen sein, ich nehme an, das ist ganz in Ihrem Sinne? Es war nicht meine Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen, Caroline, aber manchmal geht mein Temperament mit mir durch. Verzeihen Sie.«

      Sie verstand nicht, wovon er redete. Das einzige, was sie ganz unmißverständlich gehört hatte, war ›dies wird unser letztes Treffen sein‹. Warum hatte er das gesagt? »Wie meinen Sie das?« fragte sie verwirrt. »Wollen Sie mich nicht mehr sehen?«

      Ihre Unverfrorenheit machte ihn einen Augenblick lang sprachlos, dann antwortete er kühl: »Ich dachte, das beruht auf Gegenseitigkeit, Caroline, das hat unser Abendessen neulich doch deutlich gezeigt, nicht wahr? Es war sehr amüsant, wie wir uns kennengelernt haben, aber man muß daraus ja nicht unbedingt eine Freundschaft fürs Leben machen.«

      Sie war verletzt, das sah er, und es tat ihm nun doch leid. Er hatte souverän sein wollen, aber statt dessen ging seine Gekränktheit mit ihm durch. Jetzt konnte er seine Worte nicht mehr zurücknehmen.

      »Warum haben Sie sich dann heute noch einmal mit mir treffen wollen?« fragte sie.

      Nun wurde er wütend. Sie hatte einen Freund, aber sie tat so, als sei er derjenige, der sich etwas zuschulden kommen ließ. Er hatte nicht die Absicht, sich von ihr in die Rolle des Sündenbocks drängen zu lassen.

      »Um unsere kurze Bekanntschaft zu einem würdigen Abschluß zu bringen«, antwortete er kurz.

      Ihr stiegen tatsächlich Tränen in die Augen, als er das sagte, aber sie grub ihre Zähne ganz fest in die Unterlippe, bis die Gefahr, daß sie ihr über die Wangen liefen, gebannt war. »Das ist hiermit passiert«, sagte sie mit einer Stimme, der anzumerken war, wieviel Anstrengung es sie kostete, das herauszubringen. Im nächsten Augenblick hatte sie sich bereits umgedreht und war zurück ins Haus gelaufen.

      Er sah ihr verblüfft nach. Das Gespräch war nicht ganz so verlaufen, wie er erwartet hatte. Sie hatte echt verletzt gewirkt, und verwirrt fragte er sich, wieso eigentlich. Schließlich war doch er derjenige gewesen, der getäuscht worden war!

      Seine Mutter und ihre Warnungen vor den europäischen Frauen fielen ihm ein. Vielleicht hätte er doch besser auf sie hören sollen. Langsam kehrte er zu seinem Wagen zurück, ließ ihn an und fuhr, ganz untypisch für ihn, mit aufheulendem Motor davon.

      *

      »Gut«, sagte Adrian zu seinen Kollegen in der Chirurgie, denen er das Problem mit Caroline Stellmanns Operation erklärt hatte. »Wenn also niemand etwas einzuwenden hat, dann operiere ich Frau Stellmann Anfang nächster Woche.«

      Die anderen nickten. Der Operationsplan für die laufende Woche war so voll, daß es unmöglich gewesen war, die junge Frau dazwischenzuschieben, zumal noch etliche Untersuchungen vor der Operation gemacht werden mußten.

      Adrian nickte den Kollegen noch einmal zu und verabschiedete sich. Niemand hatte Einspruch erhoben, daß der Notaufnahmechef selbst einen solchen Eingriff vornehmen wollte, ganz im Gegenteil. Alle waren froh über die Entlastung gewesen.

      Er eilte den Gang hinunter, als ihm Tim Brown entgegenkam, mit dem er schon seit einiger Zeit nicht mehr gesprochen hatte. Er freute sich aufrichtig über dieses Zusammentreffen, und so begrüßte er seinen südafrikanischen Kollegen besonders freundlich.

      »Hallo, Herr Brown«, sagte er lächelnd. »Na, sind Sie immer noch so zufrieden mit Ihren Arbeitsmöglichkeiten an unserer Klinik?«

      Der andere sah ihn mit einem Blick an, den Adrian nicht zu deuten wußte, antwortete aber nicht sofort.

      Unbefangen fuhr Adrian fort. »Ich habe von der offenen Unterschenkelfraktur gehört und dem Erfolg, den der Einsatz von Maden an der eitrigen Wunde gebracht hat. Gute Idee, wir machen das hier viel zu selten, finde ich.«

      Das war eine Einladung zu einem kurzen Gespräch unter Kollegen, wie sie es schon einige Male freundschaftlich geführt hatten. Aber diesmal reagierte Dr. Brown nicht so aufgeschlossen wie sonst.

      »Danke, sehr freundlich«, sagte er knapp, nickte Adrian zu und eilte weiter.

      Vor Überraschung blieb Adrian stehen und sah ihm nach.

      »Was ist denn mit dem los?« murmelte er verwundert. »Ob ich ihm irgendwas getan habe?«

      Er setzte seinen Weg fort, aber so sehr er sein Gedächtnis auch anstrengte, ihm wollte nichts einfallen, womit er Tim Brown erzürnt haben konnte.

      *

      Caroline hatte das Gefühl, ganz ausgetrocknet zu sein vom vielen Weinen. Wie kam dieser eingebildete südafrikanische Arzt nur dazu, sie so zu behandeln? Sie hatte sich bei ihm entschuldigen wollen, aber er hatte sie ja nicht einmal zu Wort kommen lassen! Und nun würden sie einander nie wieder sehen – es sei denn, zufällig in der Klinik. Aber sie konnte nur hoffen, daß ihr das erspart blieb.

      Sie wusch ihr Gesicht lange unter kaltem Wasser, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Gynäkologin machte. Frau Dr. Hallwachs hatte sie gebeten, noch einmal zu kommen, bei der Gelegenheit konnte sie ihr gleich sagen, daß der OP-Termin zu Beginn der kommenden Woche sein würde.

      Sie war froh, daß Dr. Winter eingewilligt hatte, sie zu operieren, das machte die ganze Sache irgendwie weniger schlimm. Obwohl das natürlich albern war, denn wenn sie Krebs hatte, dann half Dr. Winter auch nicht weiter. Aber es war trotzdem tröstlich zu wissen, daß er als erster erfahren würde, was ihr fehlte.

      Als sie eine halbe Stunde später ihrer Ärztin gegenübersaß, machte diese ein besorgtes Gesicht. »Kind, wie sehen Sie denn aus?« fragte sie. »Ich könnte schwören, daß Sie abgenommen haben, seit Sie bei mir waren – dabei ist das erst ein paar Tage her. Was ist denn los?«

      Da waren sie schon wieder, die dummen Tränen, und nichts half, um sie zurückzudrängen. Schluchzend sagte Caroline: »Ich bin nur unglücklich, sonst nichts.«

      Die Ärztin, eine kluge Frau von sechzig Jahren, lächelte über diese Formulierung. »Über die Möglichkeit eines bösartigen Tumors an Ihrem Eierstock – oder über etwas anderes?« fragte sie behutsam.

      »Über einen Mann«, weinte Caroline. »Ich dachte, er ist verliebt in mich, aber das hat gar nicht gestimmt.«

      »Hat es etwas mit Ihrem Tumor zu tun?« fragte die Gynäkologin.

      »Davon weiß er doch gar nichts, ich bin ja nicht mehr dazu gekommen, es ihm zu erzählen«, sagte Caroline und wischte sich die Tränen ab. »Wir müssen jetzt auch nicht mehr darüber reden, ich werde schon damit fertig, Frau Dr. Hallwachs.«

      »Vielleicht hat es ein Mißverständnis zwischen Ihnen und diesem Mann gegeben«, sagte die Ärztin ruhig. »Reden Sie noch einmal mit ihm und sagen Sie ihm, daß Sie im Augenblick große Sorgen haben. Es kann ja sein, daß Sie sich ein wenig seltsam verhalten haben – und er hat das auf sich bezogen.«

      Caroline nickte, obwohl sie wußte, daß es so nicht sein konnte. Denn dann hätte er ja ihre Entschuldigung angenommen und sie wenigstens erklären lassen, was mit ihr losgewesen war an jenem unglückseligen Abend. Aber er hatte sie ja sofort verletzen müssen mit seinen kalten Worten und der eisigen Stimme…

      »Anfang nächster Woche werde ich operiert«, sagte sie in dem Bemühen, das Thema zu wechseln. »Dr. Winter wird mich operieren. Er ist der