Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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wartete ihre Antwort nicht ab, und das war gut so, denn er hätte sonst lange warten müssen. Schlagartig war Caroline ganz steif geworden. Ihr Körper verkrampfte sich vor lauter Abwehr, und unwillkürlich rückte sie ein Stück zur Seite.

      Aber Sven Mohntal bemerkte davon überhaupt nichts, so begeistert war er von der Geschichte, die er ihr erzählen wollte.

      »Also«, sprach er weiter, »dieser Dr. Brown aus Südafrika hatte eine sensationelle Idee.« Er machte eine Pause, um die Spannung hochzutreiben, und ließ dann die Bombe platzen. Sehr betont sagte er: »Er hatte die Idee, Maden zur Wundreinigung einzusetzen.«

      Nun war es heraus! Er warf Caroline einen Blick zu, aber sie reagierte nicht, und das enttäuschte ihn zutiefst. Alles mögliche hatte er schon erlebt, wenn er seine Geschichte zum Besten gegeben hatte, aber es war noch nicht ein einziges Mal vorgekommen, daß jemand überhaupt nicht reagiert hatte.

      Er wartete einen Moment, dann wiederholte er, was er gesagt hatte. Doch abermals zeigte sich keine Regung auf ihrem Gesicht. Er beschloß, seine Geschichte ein wenig auszuschmücken, um sie endlich aus der Reserve zu locken, doch mitten in einer ganz besonders drastischen Passage stand Caroline plötzlich auf.

      »Tut mir leid, Herr Mohntal, aber ich habe etwas vergessen, ich muß dringend auf mein Zimmer zurück. Ihre Geschichte ist jedenfalls sehr interessant, ich glaube sie Ihnen auf jeden Fall!« Und dann stürzte sie davon, als sei ein Verfolger hinter ihr her, der ihr ans Leben wollte.

      Sven Mohntal sah ihr kopfschüttelnd nach. Dann murmelte er: »Aber ganz cool tun, das haben wir gern. Wahrscheinlich übergibt sie sich jetzt erst einmal in aller Ruhe.« Mißmutig streckte er sich auf der Bank aus, die er nun ganz für sich allein hatte. Sie hatte nicht so zimperlich ausgesehen, aber er hatte sie wohl unterschätzt. Jedenfalls hatte sie genauso blöd reagiert wie die anderen Frauen auch, denen er die Sache mit den Maden erzählt hatte.

      *

      Tim war nicht sehr weit aus der Stadt herausgefahren. Auf einmal hatte er keine Lust mehr gehabt, im Auto zu sitzen, und so hatte er sich in einem Dorf eingemietet, wo es ihm auf Anhieb gut gefiel. Hier war es ruhig, von Hetze, Lärm und Streß einer Großstadt war man Lichtjahre entfernt, obwohl Berlin in einer Stunde zu erreichen war.

      Es gefiel ihm, aber genießen konnte er es nicht. Immer wieder fiel ihm ein, wie er davon geträumt hatte, vielleicht ein paar Tage mit Caroline zusammensein zu können, und wie dann dieser Traum zerplatzt war wie eine Seifenblase. Warum nur hatte sie ihm nicht sofort gesagt, daß sie gebunden war? Oder hatte sie sich wirklich nichts dabei gedacht, sich mit ihm zu verabreden? Er verstand die ganze Geschichte immer weniger.

      Er hörte Hufgetrappel hinter sich und sah sich um. Eine hübsche blonde Frau kam näher. Als sie ihn sah, zügelte sie das Pferd und sagte leise: »Ruhig, Luna, ganz ruhig.« Die hübsche braune Stute schnaubte ein bißchen, blieb aber brav neben ihm stehen.

      »Guten Tag!« sagte die Frau und lächelte ihn strahlend an. Er war sicher, sie noch nie gesehen zu haben, aber trotzdem kam sie ihm bekannt vor. »Machen Sie Urlaub?« fragte sie.

      »Ja, ein paar Tage«, antwortete er. »Urlaub vom Großstadt-Streß. Es ist wunderschön hier, ich bin zum ersten Mal in dieser Gegend.«

      »Sie sind kein Deutscher, nicht wahr?« fragte sie. »Entschuldigen Sie meine Neugier, Sie sprechen wirklich fast ohne Akzent…«

      »Aber nur fast«, unterbrach er sie lächelnd. »Ich komme aus Südafrika, aber ich habe als Student zwei Jahre in Deutschland verbracht, und jetzt arbeite ich seit einigen Wochen hier.«

      »Und da haben Sie die Sprache so gut gelernt?« staunte sie. »Ich bin beeindruckt. Übrigens, ich heiße Esther Berger.«

      »Timothy Brown.«

      Sie krauste die Nase, was ihr sehr gut stand. »Den Namen habe ich doch schon mal gehört«, meinte sie nachdenklich. »Sie arbeiten nicht zufällig an der Kurfürsten-Klinik?«

      »Doch«, antwortete er verblüfft. »Woher wissen Sie das?«

      »Mein Bruder hat Ihren Namen erwähnt«, antwortete sie und fügte erklärend hinzu: »Dr. Winter, Adrian Winter. Ich nehme an, Sie kennen ihn, wenn er von Ihnen gesprochen hat.«

      Adrian Winter, ausgerechnet! Mußte ihn dieser Mann denn auch noch in seinem Urlaub verfolgen? »Ja, ich kenne ihn«, antwortete er, mühsam beherrscht.

      Sie mußte gemerkt haben, daß etwas nicht in Ordnung war, doch sie ging darüber hinweg. »Er war sehr beeindruckt von Ihnen, Herr Brown. Jetzt fällt es mir auch wieder ein, daß er gesagt hat, mit Ihnen ließe sich so gut fachsimpeln. Das tut er nämlich für sein Leben gern.« Sie wechselte abrupt das Thema.

      »Reiten Sie?«

      »Ja, sehr gern sogar.«

      »Dann kommen Sie«, sagte sie. »Dort vorn ist der Bauernhof, auf dem mein Pferd untergebracht ist. Sie haben noch mehr Pferde, es ist bestimmt eins dabei, mit dem Sie sich gut verstehen. Es ist viel schöner, zu zweit auszureiten. Machen Sie mir doch die Freude und begleiten Sie mich!«

      Es war schwer, ihr zu widerstehen, und er sagte sich, daß sie ja von seinen Gefühlen nichts wissen konnte. Schließlich war es nicht ihre Schuld, wenn ihr Bruder ausgerechnet mit der Frau zusammen war, in die er selbst sich unsterblich verliebt hatte.

      »Gern«, willigte er ein. Vielleicht brachte ihn diese temperamentvolle junge Frau auf andere Gedanken – sofern sie nicht ständig von ihrem Bruder redete, aber das würde er schon zu verhindern wissen.

      »Herrlich, daß wir uns getroffen haben!« strahlte sie. »Und wissen Sie, was das Allerbeste ist? Ich kann bis Montag hierbleiben, da habe ich nämlich auch noch frei.« Sie wurde plötzlich ernst. »Wenn Sie lieber allein sein wollen, dann sagen Sie es mir bitte, ja? Ich schieße manchmal in der ersten Begeisterung ein bißchen übers Ziel hinaus.«

      Er konnte nicht anders, er mußte lachen. Sie war wirklich nett. »Keine Sorge«, versicherte er, »ich weiß mich schon zu wehren.«

      »Dann ist ja alles bestens«, meinte sie übermütig. »Worauf warten wir noch?«

      Im nächsten Augenblick preschte sie auf ihrer Stute davon, und er folgte ihr gemächlich zu Fuß. Vielleicht würde dieser Kurzurlaub doch nicht so schrecklich werden, wie er zunächst befürchtet hatte.

      *

      »Heute operieren Sie also die junge Frau mit dem Tumor?« fragte Carola Senftleben, die wieder ihren nachtblauen Morgenmantel trug. Sie sah jetzt jeden Tag ein bißchen besser aus, fand er, und er war aufrichtig froh darüber. Sogar über seine Sorgen in der Klinik konnte er wieder mit ihr reden.

      »Ja«, bestätigte er. »Heute ist es soweit. Sie ist gleich die erste Patientin heute morgen. Ich wünschte, wir wüßten bereits, daß der Tumor nicht bösartig ist, Frau Senftleben. Sie ist sowieso im Augenblick so unglücklich.«

      »Liebeskummer?« erkundigte sich seine Nachbarin.

      »Sicher, was sonst?« Er zwang sich zu einem Lächeln, aber ihr entging nicht, daß dieses Lächeln seine Augen nicht erreichte. Er sah auf die Uhr. »Ich muß bald los, Frau Senftleben.«

      »Ich weiß«, sagte sie ruhig. »Machen Sie sich bloß keine Gedanken, Adrian, mir geht es wirklich gut.«

      »Das würde ich ja gern glauben«, meinte er, »aber allein die Tatsache, daß Sie zu dieser frühen Stunde mit mir am Frühstückstisch sitzen, spricht dagegen. Wenn es Ihnen richtig gut ginge, dann wären Sie vor elf Uhr überhaupt nicht ansprechbar, Frau Senftleben. Schon vergessen? Sie sind eine richtige Nachteule.«

      »Mag sein«, gab sie zu, »aber bedenken Sie, daß ich nur im Bett gelegen habe, und das nun schon seit über einer Woche. Da kann kein Mensch mehr müde sein. Ich bin einfach ausgeschlafen. Es macht mir keinen Spaß mehr, im Bett zu liegen. Ich brauche endlich wieder Bewegung.«

      Er blieb skeptisch. »Wir werden ja sehen, wie das mit Ihnen weitergeht. Heute abend dürfen Sie mir mehr erzählen. Ich bin gespannt, ob Sie dann immer noch so munter sind wie jetzt.«