Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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Arzt – und ein großartiger Chirurg. Wie haben Sie ihn denn dazu gebracht, Sie zu operieren und seine geliebte Notaufnahme zumindest vorübergehend zu verlassen?«

      »Oh, er operiert öfter«, erklärte Caroline. »Immer, wenn Not am Mann ist, springt er ein, und die anderen Chirurgen sind froh dar­über, weil er sie oft entlastet. Ich habe in letzter Zeit ziemlich viel Dienst in der Notaufnahme gehabt, deshalb kenne ich ihn ganz gut. Wir arbeiten gern zusammen. Er hat sich sofort bereit erklärt, mich zu operieren.«

      »Und warum wollten Sie so gern, daß er es macht?« fragte die Ärztin neugierig.

      »Weil ich weiß, wie er arbeitet«, erklärte Caroline nachdenklich. »Und weil ich weiß, was für ein Mensch er ist. Er macht keine Witze auf Kosten der Patienten, im Gegenteil. Wenn jemand so etwas in seiner Gegenwart tut, dann kann er ziemlich giftig werden, obwohl er doch sonst immer die Ruhe selbst ist. Und er ist, wie Sie selbst gesagt haben, ein ausgezeichneter Chirurg. Bei ihm würde ich mich in jeder Hinsicht sicher fühlen. Und wenn…«

      Sie stockte. Die Worte wollten ihr nicht so einfach über die Lippen kommen, aber schließlich sprach sie doch aus, was sie dachte: »Und wenn ich wirklich Krebs haben sollte, dann ist es mir lieb, wenn er derjenige ist, der es mir sagt.«

      »Aber davon gehen wir nicht aus!« erklärte Frau Dr. Hallwachs nachdrücklich. »Es ist möglich, daß der Tumor bösartig ist, aber mehr auch nicht. Ich bin jedenfalls froh, Frau Stellmann, daß Sie sich entschlossen haben, in die Kurfürsten-Klinik zu gehen. Bei Dr. Winter sind Sie in den besten Händen. Grüßen Sie ihn bitte von mir, ja?«

      Caroline nickte und verabschiedete sich. Als sie in ihrem Auto saß, fing sie schon wieder an zu weinen. Und wenn ich Krebs habe, ist es mir auch egal, dachte sie unglücklich. Es kümmert ja doch niemanden, ob ich gesund bin oder nicht.

      *

      Esther schlief fest, als Adrian Frau Senftlebens Wohnung betrat. Sie lag zusammengerollt wie eine Katze auf dem Sofa, die blonden Haare völlig verstrubbelt. Adrian betrachtete sie eine Weile, dann ging er leise in Frau Senftlebens Schlafzimmer.

      Seine Nachbarin war erstaunlich munter. Sie saß in ihrem Bett und las. Als sie ihn hereinkommen hörte, ließ sie ihr Buch sinken und sah ihm mit ihren unschuldigen blauen Augen entgegen. »Ihre Schwester, die Ärmste ist völlig erschöpft«, teilte sie ihm zur Begrüßung mit. »Sie hatte nämlich eine furchtbare Nacht in der Charité, müssen Sie wissen – und dann hatte sie auch noch Arbeit mit mir. Das war alles zuviel für sie, Adrian.«

      »Das glaube ich nicht«, entgegnete er lächelnd, »daß Esther mit Ihnen Arbeit hatte. Sie sind doch schon wieder auf dem Sprung, Frau Senftleben. Ich sehe Ihnen an der Nasenspitze an, daß es Ihnen schwerfällt, immer noch im Bett zu bleiben.«

      »Stimmt«, gab sie zu.

      »Aber einen oder zwei Tage müssen Sie noch durchhalten«, ordnete er an, ganz der strenge Arzt. »Sie sollten wenigstens ein paar Tage fieberfrei sein. Ein Rückfall wäre ganz schlecht für Sie, glauben Sie mir. Haben Sie lieber noch ein bißchen Geduld. Ist es denn wirklich so schlimm, wenn Sie mal im Bett bleiben müssen?«

      Sie lächelte verlegen und antwortete schließlich zögernd: »Ich will Sie nicht kränken, vor allem, wo Sie sich so rührend um mich kümmern. Aber begnadete Köche sind Sie beide nicht. Ich würde furchtbar gern so schnell wie möglich in meine Küche zurück.«

      Einen Augenblick war er völlig verblüfft, dann ging ihm auf, was sie gesagt hatte. Er fing schallend an zu lachen und konnte sich zunächst gar nicht wieder beruhigen.

      »Pst!« sagte Frau Senftleben. »So seien Sie doch endlich still, Adrian! Sie wecken Ihre Schwester noch auf, wenn Sie so laut lachen. Außerdem verstehe ich Ihren Heiterkeitsausbruch überhaupt nicht. Ich wollte wirklich keinen Witz machen.«

      »Ich weiß«, lachte er, »ach, Frau Senftleben, wenn Sie wüßten, wie sehr auch ich mich darauf freue, wenn Sie endlich wieder kochen! Glauben Sie denn, Sie sind die einzige, die gelitten hat? Wir können nicht gut kochen, Esther und ich, und wir tun es ja auch ausgesprochen ungern!«

      »Sie wollen also damit ausdrücken«, sagte sie ernsthaft, während der Schalk in ihren Augen saß, »daß Sie für mich sogar gekocht haben, ist ein ganz besonderer Liebesbeweis?«

      Endlich hörte er auf zu lachen und nickte feierlich. »So ist es, Frau Senftleben. Besser hätte ich es gar nicht ausdrücken können.«

      *

      »Herr Brown? Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich – oder ist es jetzt ungünstig?«

      Tim, der gerade einen der OPs verließ, blickte auf und nickte dem Kollegen, der ihn angesprochen hatte, zu. »Nein, kein Problem, ich habe Zeit. Worum geht es denn? Sie machen so ein sorgenvolles Gesicht.«

      »Ich habe auch Sorgen«, gestand sein Kollege – ein netter älterer Chirurg, mit dem Tim sich gut verstand. Er fuhr fort: »Sie sind nächste Woche in Urlaub, richtig?«

      »Ja. Ist das etwa Ihr Problem?«

      »Zumindest ein Teil davon. Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas gebucht haben – oder könnten Sie nicht schon diese Woche Ihren Urlaub antreten und dafür früher wiederkommen? Wir haben ab Mitte der nächsten Woche einen bösen Engpaß.«

      Tim brauchte nicht lange zu überlegen, dieser Vorschlag kam ihm wie gerufen. Er hatte zwar Stefanie Wagner gegenüber gestöhnt, daß er nicht wisse, wie er die kommenden freien Tage herumbringen solle, aber noch schlimmer fand er es im Augenblick, jeden Tag in der Klinik darauf gefaßt sein zu müssen, Caroline über den Weg zu laufen. Was er brauchte, war Abstand – und zwar je eher, desto besser.

      »Ich habe nichts gebucht«, antwortete er dem wartenden Kollegen. »Es ist überhaupt kein Problem für mich, den Urlaub etwas vorzuziehen. Wie wäre es denn zeitlich am günstigsten? Heute habe ich noch drei Operationen, und morgen operiere ich auch den ganzen Tag, soviel ich weiß. Wie es danach aussieht, kann ich noch gar nicht sagen.«

      »Wenn Sie ab übermorgen Ihren Urlaub nehmen, ist alles in Ordnung«, sagte der andere. »Ehrlich, ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ständig muß ich den OP-Plan ändern, weil sich etwas Unvorhergesehenes ereignet. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie zugestimmt haben. Sie sind der einzige, Herr Brown!«

      »Freut mich«, erwiderte Tim, »daß ich Ihnen helfen konnte.«

      »Ich trage es gleich ein«, sagte sein Kollege und eilte davon. »Ab übermorgen dann also für eine Woche!«

      Tim behielt für sich, wie froh er über diese Regelung war. Als er sich jetzt auf den Weg machte, um den nächsten Patienten zu operieren, fühlte er sich bedeutend besser. Ab übermorgen, dachte er, bin ich erst einmal für eine Woche weg – und danach ist das Schlimmste hoffentlich vorüber.

      Er ahnte, daß er sich etwas vormachte in diesem Punkt, aber er fühlte sich nicht stark genug, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Denn das hätte bedeutet, daß er vor sich selbst hätte zugeben müssen, wie unglücklich er war, Caroline Stellmann für immer verloren zu haben. So unglücklich nämlich, daß er noch sehr lange brauchen würde, um darüber hinwegzukommen. Weitaus länger jedenfalls als eine Woche.

      *

      Caroline hatte nur wenigen Kolleginnen und Kollegen die Wahrheit gesagt. Die meisten dachten, sie gehe in Urlaub, als sie sich verabschiedete und sich ein wenig vage ausdrückte über den Zeitpunkt, zu dem sie ihre Arbeit wiederaufnehmen würde.

      Natürlich würde es sich herumsprechen, wo sie war – aber noch nicht sofort. In einem großen Haus wie der Kurfürsten-Klinik dauerte das seine Zeit, und das war ihr nur recht. Im Augenblick wollte sie so wenig wie möglich angesprochen werden auf die Operation, die ihr bevorstand. Sie war ohnehin schon unglücklich genug.

      Immerhin hatte Tim Brown Urlaub genommen, das hatte sie zu ihrer großen Erleichterung rein zufällig erfahren. Es hätte ihr nicht gefallen, ihm gerade jetzt zufällig zu begegnen. Es ging ihn nichts mehr an, was mit ihr war, fand sie, und er würde es auch niemals erfahren. Sie hatte es ihm erzählen wollen, aber er war ihr