vielleicht recht haben könnte. War Caroline nicht wirklich sichtlich verletzt gewesen, als er sie bei ihrem letzten Zusammentreffen so kalt behandelt hatte?
»Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Herr Brown«, erklärte Esther eindringlich: »Fahren Sie sofort nach Berlin und reden Sie mit meinem Bruder über diese Krankenschwester. Mehr sage ich zu der Angelegenheit nicht. Aber Sie sollten keine Zeit verlieren.«
»Ich verstehe überhaupt nicht…«, stammelte er.
»Macht nichts«, unterbrach sie ihn. »Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage. Sie werden es später ganz bestimmt verstehen.«
Als er sich noch immer nicht rührte, wurde sie ungeduldig. »Nun machen Sie schon!« fuhr sie ihn fast unfreundlich an. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, haben Sie das nicht verstanden? Fragen Sie meinen Bruder – oder haben Sie Angst, sich lächerlich zu machen? Dann kann es mit Ihrer Liebe aber nicht allzu weit her sein!«
Das hatte endlich die gewünschte Wirkung. »Ich muß verrückt sein, auf Sie zu hören«, murmelte er und stand auf. »Aber ich tu’s!«
»Gut so«, sagte sie knapp. Dann reichte sie ihm ihre Visitenkarte. »Bitte sehr, falls Sie mir danach etwas zu erzählen haben.«
Er nahm die Karte wortlos, drehte sich um und stürmte davon.
*
Caroline lag reglos auf dem Operationstisch, und im Saal herrschte fast gespenstische Stille. Das Team wartete auf das Ergebnis des Schnellschnitts und damit auf das Signal für den weiteren Verlauf der Operation.
Dr. Adrian Winter hatte sich perfekt in der Gewalt. Niemand konnte seinem Gesicht ansehen, was er dachte. Er strahlte wie immer Ruhe und Gelassenheit aus, die sich in der Regel auf die anderen übertrug. Diesmal allerdings war die Spannung so groß, daß auch Dr. Winters scheinbare Ruhe sie nicht zu lösen vermochte.
In Wirklichkeit war auch Adrian keineswegs ruhig, sondern er fieberte dem Ergebnis der Laboruntersuchung entgegen. Die Größe des einen Tumors hatte ihn erschreckt, während der andere noch ziemlich klein war. Beide würden sich ohne Probleme entfernen lassen – wenn sie gutartig waren.
»Wie lange dauert das denn noch?« knurrte Dr. Werner Roloff, der Anästhesist, den Adrian um seine Mitwirkung an dieser Operation gebeten hatte. Er war ein sehr erfahrener Mann, der sich ebenfalls nicht leicht aus der Ruhe bringen ließ. Aber jetzt sah sein Gesicht unter der wilden grauen Mähne sorgenvoll aus. Wie alle anderen auch berührte ihn das mögliche Schicksal dieser schönen jungen Frau, die er gut kannte. Caroline und er hatten schon oft zusammen gearbeitet. Jeder, der an dieser Operation mitwirkte, wünschte der Patientin einen glücklichen Ausgang.
»Mann, das nervt!« knurrte in diesem Augenblick auch Bernd Schäfer, der neben Adrian stand und vor Aufregung noch heftiger schwitzte als sonst. Wieder einmal nahm er sich vor, doch ein paar von seinen überschüssigen Pfunden abzunehmen – sie waren im OP besonders hinderlich.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon, und Monika Ullmann, eine der Schwestern, mit denen Adrian Winter am liebsten zusammenarbeitete, nahm den Anruf entgegen. Es wurde noch stiller, alle Gesichter waren der temperamentvollen Schwester zugewandt. Sie hörte zu, dann rief sie mit einer Stimme, die vor unterdrücktem Jubel zitterte: »Negativ!«
Sofort setzte lebhaftes Gemurmel ein, überall waren frohe Gesichter zu sehen. Doch jetzt galt es, keine Zeit mehr zu verlieren.
»An die Arbeit«, sagte Adrian, nachdem er einen Blick tiefster Erleichterung mit Werner Roloff gewechselt hatte. »Wir entfernen zunächst den kleinen Tumor.«
Erneut kehrte Ruhe ein, alle konzentrierten sich, und die Operation wurde fortgesetzt.
*
Erst als er schon fast wieder in Berlin war, fragte sich Tim, warum ihm Esther geraten hatte, mit ihrem Bruder zu sprechen und nicht mit Caroline. Doch so sehr er auch grübelte, er konnte keine Antwort auf diese Frage finden. Aber er beschloß, auf sie zu hören. Vielleicht war es sogar einfacher, Dr. Winter zu fragen statt Caroline. Schließlich war ihr letztes Zusammentreffen sehr unerfreulich verlaufen.
Auf dem Klinikparkplatz stellte er seinen Wagen ab und stürmte in die Notaufnahme. »Ist Dr. Winter nicht hier?« fragte er Dr. Julia Martensen.
Die Internistin schüttelte bedauernd den Kopf. »Er operiert heute morgen – aber vielleicht haben Sie Glück, es ist ja schon ziemlich spät. Es könnte sein, daß er inzwischen fertig ist.«
»Danke!« sagte er und stürmte davon. Julia Martensen sah ihm mit hochgezogenen Brauen nach. Das sah ja sehr dringend aus. Was mochte der südafrikanische Kollege wohl von Adrian wollen?
Tim hatte tatsächlich Glück. Das Team um Dr. Winter verließ gerade den OP, als er den Stationsflur betrat. »Herr Dr. Winter!« rief er außer Atem. »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen? Es ist dringend.«
Adrian zuckte zusammen. Ausgerechnet Dr. Brown, dachte er resigniert, während er ihn vor seinem inneren Auge erneut zusammen mit Stefanie Wagner im King’s Palace sah. »Bitte«, sagte er müde. »Worum geht’s denn?«
Der andere sah sich um und senkte die Stimme. »Ich möchte mit Ihnen allein sprechen, wenn möglich. Es ist vertraulich.«
Adrian begann sich zu wundern. Soweit er wußte, hatte er nichts Vertrauliches mit Timothy Brown zu besprechen. Aber zugleich wurde er neugierig. »Kommen Sie mit«, sagte er kurz und steuerte ein leerstehendes Arztzimmer an.
Tim schloß die Tür hinter sich und sagte: »Ich habe Ihre Schwester kennengelernt. Sie hat mich zu Ihnen geschickt. Lieben Sie Caroline, Herr Winter?«
Adrian verschlug es die Sprache. »Wie bitte?« fragte er. »Wovon sprechen Sie, Herr Brown?«
»Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?« fragte Tim. »Bitte, sagen Sie mir, ob Sie Caroline Stellmann lieben. Es ist wichtig für mich, Herr Winter. Lebenswichtig.«
Adrian fühlte sich benommen. »Ich verstehe nicht, worum es geht«, sagte er langsam. »Wie kommen Sie darauf, daß ich Caroline liebe? Ich habe privat gar keinen Kontakt zu ihr. Ich habe sie gerade operiert, aber das wissen Sie ja sicher.«
»Operiert?« rief Tim entsetzt. »Nein, das wußte ich nicht! Was fehlt ihr denn?«
Adrian blickte ihn an. Bevor er es verhindern konnte, war ihm schon die Frage herausgerutscht. »Lieben Sie Stefanie Wagner, Herr Brown?«
»Steffi? Wie kommen Sie denn darauf? Natürlich nicht! Ich liebe Caroline! Steffi ist eine gute Freundin von mir, schon lange. Was ist mit Caroline?«
Adrian ließ sich auf einen Stuhl sinken und sagte bedächtig: »Ich glaube, wir sollten ein ausführliches Gespräch miteinander führen, Herr Brown. Am besten fangen wir ganz am Anfang an. Also, was ist mit Ihnen und Caroline?«
*
Caroline war sicher, daß sie träumte, als sie Tims Gesicht sah, das sich voller Liebe über sie beugte. Sie schloß die Augen und öffnete sie erneut, aber das Gesicht verschwand nicht.
»Caroline«, sagte eine Stimme zärtlich, »warum hast du mir nichts gesagt? Ich war so unglücklich deinetwegen – so schrecklich unglücklich.«
»Ich auch«, hauchte sie. »Warum warst du… so kalt zu mir?«
»Ich hatte dich mit Dr. Winter zusammen gesehen und dachte, ihr beide…«
Sie machte ein erstauntes Gesicht. »Dr. Winter und ich? Wir haben über die Operation gesprochen. Und… über dich…« Sie mußte sich anstrengen, daß ihr die Augen nicht zufielen, aber sie wollte noch wach bleiben. Sie war so glücklich, daß er da war, so unendlich glücklich. Dann fiel ihr wieder ein, daß sie ja operiert worden war. »Hab’ ich Krebs?« fragte sie leise.
»Nein, hast du nicht«, antwortete er, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuß. »Wir können also jede Menge Kinder bekommen, du und ich.«
»Gut«, murmelte sie. »Das machen wir.«
»Ich liebe dich so sehr«, sagte er