sehr
hübsch, und sie sieht Ihnen ähnlich.«
»Ja, nicht wahr? Sie müßten mal ihre Augen sehen, die hat sie auch von mir.«
Er war nett, fand Esther, wenn er auch fast noch zu jung war, um schon eine Tochter zu haben. Er war sicher kaum über zwanzig. Aber vielleicht war er auch älter, sie selbst wurde schließlich auch immer für jünger gehalten, als sie war. Jedenfalls schien er ein guter Vater zu sein, das zeigte ihr die Art, wie er das Kind ansah und wie er sofort schützend seine Arme gehoben hatte bei ihrem Fast-Zusammenstoß.
»Ich bin Kinderärztin«, sagte sie plötzlich, »und ich freue mich immer, wenn ich gesunde und zufriedene Kinder sehe. Ihre Tochter macht einen sehr zufriedenen Eindruck.«
Er lachte. »Sie hätten sie gestern mal hören sollen, da hätten Sie das bestimmt nicht gesagt. Sie hat wie am Spieß geschrien und sich erst beruhigt, als ich sie schon eine halbe Stunde durch den Park geschaukelt hatte. Ich dachte, sie wollte überhaupt nicht mehr aufhören.« Zärtlich fügte er hinzu, während er seine Tochter ansah: »Nicht, Fränzchen, du kannst einen ganz schön nerven, wenn du es drauf anlegst.«
Er war wirklich nett, Esthers Meinung stand nun fest. Und er sah auch nett aus mit seinen kurzen blonden Haaren, die nach allen Seiten abstanden, und den blanken blauen Augen. Er war eher mittelgroß und wirkte kräftig. Man konnte sich sicher auf ihn verlassen, wenn es darauf ankam. Hoffentlich war die Mutter des Kindes genauso nett – und hoffentlich wußte sie, was sie an ihm hatte.
»Fränzchen?« fragte sie. »Ist das ihr Name?«
»Eigentlich Franziska, den Namen fanden wir beide schön, meine Freundin und ich. Aber er ist zu erwachsen für sie, finde ich. Deshalb nenne ich sie immer Fränzchen. Das mag sie gern.«
Esther lachte. »Passen Sie bloß auf, sie wird noch so heißen, wenn sie schon dreißig ist, und dann wird es ihr nicht mehr gefallen. Ich hatte einen Schulfreund, der wurde nur ›Bubi‹ genannt – der heißt heute noch so, da kann er machen, was er will.«
Der junge Vater lachte ebenfalls. »Ich werd’s mir merken«, versprach er. »Wohnen Sie hier in der Nähe? Ich meine, eine Kinderärztin in der Nähe schadet ja bestimmt nicht.«
»Ja, gleich da drüben. Ich gehe oft hier einkaufen. Ich heiße Esther Berger.«
»Andreas Hollaender«, erwiderte er. »Freut mich, daß ich Sie kennengelernt habe, Frau Doktor.«
»War ja nicht ganz freiwillig«, sagte sie. »Ich habe übrigens keine Praxis, ich arbeite in der Charité auf der Kinderstation. Aber wenn Sie Probleme haben sollten, dann wissen Sie ja jetzt, wo Sie mich finden.«
Er nickte. »Ja, vielen Dank. Und jetzt müssen wir weiter, Fränzchen und ich. Sonst wacht sie mir doch noch auf und schreit, wenn sie Hunger hat. Da bin ich lieber mit ihr zu Hause. Außerdem«, jetzt grinste er Esther übermütig an, »hatten Sie es doch so wahnsinnig eilig.«
Sie warf einen Blick auf die Uhr und stieß einen erstickten Schrei aus. »Verdammt, die bringen mich um, wenn ich schon wieder zu spät komme. Tschüß – vielleicht bis demnächst!« Im Eiltempo rannte sie davon und entging nur knapp einem erneuten Zusammenstoß mit einem anderen Kunden des Supermarkts.
Andreas lachte und sagte: »Das ist eine Verrückte, Fränzchen, aber eine nette.«
Dann legte er erschrocken eine Hand auf seinen Bauch. Fing das etwa schon wieder an? Er konnte sich diese Schmerzen, die er ab und zu hatte, einfach nicht erklären. Und er fand sie ziemlich lästig – Schmerzen hatten bisher in seinem Leben nichts zu suchen gehabt. Na ja, beruhigte er sich gleich darauf. Es wird der Stress sein. Wir haben einfach ein bißchen viel um die Ohren im Augenblick.
*
»Andreas?«
Katja bekam keine Antwort, und ein Blick in das kleine Appartement genügte, um ihr zu zeigen, daß er nicht da war. Sie sah sich um und unterdrückte einen Seufzer. Das Appartement war wirklich winzig, und sie fragte sich manchmal, wie lange sie es zu dritt hier aushalten konnten, ohne sich entsetzlich auf die Nerven zu gehen.
Bisher klappte es recht gut, aber das lag auch daran, daß sie arbeitete und fast nie zu Hause war. Trotzdem war es hier viel zu eng für drei Personen. Und wenn Franziska erst einmal anfing zu krabbeln, dann würde es unerträglich werden.
Aber sie konnten sich nichts anderes leisten, sie kamen ja so schon kaum über die Runden und mußten noch froh sein, daß sie überhaupt hier untergekommen waren. Weder von ihren noch von Andreas’ Eltern war Unterstützung zu erwarten, sie mußten sehen, wie sie allein zurechtkamen. Und sie mußten es einfach schaffen.
Allerdings hatte sie manchmal Angst, daß Andreas das Leben, das die Verhältnisse ihm im Augenblick aufzwangen, nicht lange aushalten würde. Er war so lebenslustig, war gern mit Freunden zusammen, liebte es, Leute zu sich einzuladen. All das ging im Moment nicht. Sie hatten in Berlin noch gar keine Freunde und weder Platz noch das Geld, um Gäste zu bewirten. Manchmal hatte sie richtige Angst davor, daß sie eines Tages aufwachen würde, und Andreas wäre verschwunden. Weggelaufen, weil er das armselige Leben, das sie jetzt führen mußten, nicht mehr ertragen konnte.
Denn natürlich fehlte ihm auch seine Arbeit. Er hatte seine Lehre mit hervorragenden Noten abgeschlossen, und nun konnte er nicht arbeiten, weil das Baby da war. Noch war er meistens guter Dinge, aber sie fürchtete, daß das nicht mehr lange so bleiben würde.
Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen, und Andreas rief: »Da bist du ja schon, Katja! Wie war’s in der Klinik?«
»Stressig, aber mir gefällt’s!« antwortete sie. Er gab ihr einen Kuß, und sie nahm ihm das Kind ab, das gerade hatte anfangen wollen zu weinen. Aber als es nun seine Mutter sah, lächelte es statt dessen.
»Na, Engelchen?« sagte Katja zärtlich. »Du siehst ja großartig aus!«
»Wir haben eine Kinderärztin im Supermarkt kennengelernt, die uns fast über den Haufen gerannt hat«, berichtete Andreas. »Nette Frau, ein bißchen verrückt. Sie wohnt schräg über die Straße. Wenn mal was mit Fränzchen ist, können wir zu ihr gehen, obwohl sie keine Praxis hat. Sie arbeitet im Krankenhaus.«
»Sag nicht immer Fränzchen!« wies Katja ihn zurecht.
»Das hat Frau Dr. Berger auch gesagt.« Andreas lachte und erzählte ihr von seinem Gespräch mit der Ärztin über dieses Thema.
»Da hat sie genau recht«, meinte Katja. »Nicht, Franziska, du willst nicht dein ganzes Leben lang Fränzchen heißen?«
Das Kind gluckste vergnügt, und sie legte es aufs Sofa zwischen zwei dicke Kissen.
»Ich glaube, sie ist nicht deiner Ansicht«, sagte Andreas und schlang seine Arme um Katja. »Du bist eine wunderschöne Frau, habe ich dir das heute schon gesagt? Wahrscheinlich sind bereits alle Ärzte an deiner Klinik in dich verliebt.«
»Bloß Dr. Schäfer«, erwiderte Katja und mußte lächeln, als sie an den fülligen Assistenzarzt dachte. »Aber er ist ständig verliebt, das hat also nichts zu sagen.«
»Soso«, sagte Andreas und spielte den Eifersüchtigen, »der soll sich bloß in acht nehmen und dich in Ruhe lassen.«
»Das macht er sowieso.«
»Und woher weißt du dann, daß er in dich verliebt ist?«
»Weil er immer so guckt, als fielen ihm gleich die Augen aus dem Kopf. Und wenn ich ihn dabei erwische, wird er knallrot. Er ist wirklich nett, Andreas.«
Aber Andreas war nicht mehr an weiteren Neuigkeiten über Dr. Schäfer interessiert. Er küßte Katja und ließ dabei seine Hände langsam ihren Rücken hinuntergleiten. Vergessen waren die Schmerzen in seinem Bauch, die ihn vor einer halben Stunde noch gequält hatten.
Doch gerade als Katja anfing, seine Zärtlichkeiten zu erwidern, fing Franziska empört an zu schreien. Schließlich war immer noch sie der Mittelpunkt der Welt – und das mußte sie ihren Eltern offensichtlich von Zeit zu Zeit in Erinnerung rufen.
*