Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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viel Spaß. Bis morgen.«

      »Bis morgen!« Eilig verließ Schwester Katja die Notaufnahme.

      »Sie hat immer was anderes vor«, stellte Julia Martensen fest und runzelte die Stirn. »Ich muß sagen, Adrian, daß ich noch nie eine so zurückhaltende junge Frau erlebt habe.«

      Er nickte. »Stimmt, daß sie sehr zurückhaltend ist. Aber ich muß sagen, daß ich das angenehmer finde als andersherum. Erinnerst du dich noch an diese Klatschtante, die wir mal hier hatten?«

      Julia schüttelte sich. »Ja, natürlich, wer könnte die jemals vergessen?«

      »Na, siehst du, Julia!«

      »Trotzdem!« Seine Kollegin wollte das Thema noch nicht fallenlassen. »Sie schweigt sich so beharrlich über ihr Privatleben aus, daß ich manchmal schon gedacht habe…«

      Er unterbrach sie mit vorwurfsvollem Blick. »Soll das heißen, du glaubst, sie hat etwas zu verbergen?«

      Julia Martensen zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Aber es interessiert mich einfach, wie sie lebt. Ob sie ganz allein ist hier in Berlin, oder ob sie Freunde hat…«

      »Oder einen Freund«, ergänzte Adrian. »Ich wußte gar nicht, daß du so neugierig bist.«

      »Nicht neugierig«, korrigierte sie. »Aber ist dir denn wirklich noch nicht aufgefallen, wie blaß sie immer ist? Und daß ihr manchmal vor Müdigkeit fast die Augen zufallen?«

      »Doch«, gab er zu. »Das ist mir schon aufgefallen, aber es geht uns ja nicht anders, oder? Unser Dienst ist anstrengend, das weißt du selbst.«

      Sie war trotzdem nicht überzeugt. »Da steckt noch etwas anderes dahinter, glaube ich. Wart’s ab, eines Tages wird es sich herausstellen. Gehen wir?«

      »Ja, gleich, ich muß nur meine Sachen noch zusammensuchen.«

      Sie hatte ihn gegen seinen Willen beunruhigt, gestand er sich nun ein. Ihm waren die

      dunklen Ränder unter Katjas Augen auch schon aufgefallen, aber er hatte sich beharrlich gesagt, daß ihn das nichts angehe, solange sie ihre Arbeit gut machte. Und das tat sie, ohne jeden Zweifel.

      Aber natürlich konnte er sie gelegentlich einmal fragen, ob sie vielleicht Kummer oder Sorgen hatte. Vielleicht würde er sogar eine Antwort auf seine Fragen bekommen.

      Mit diesem guten Vorsatz verließ er die Notaufnahme und begab sich mit Julia zu den Kollegen, die ihnen in »ihrer« Kneipe das erste Pils bereits bestellt hatten.

      *

      Die kommende Woche wurde hart. Katja hatte Nachtdienst, und Andreas fuhr fast jeden Nachmittag ins King’s Palace und arbeitete dort. Er tat es mit großem Vergnügen, und es verging kein Tag, an dem er nicht von seiner neuen Beschäftigung schwärmte.

      Insgeheim war Katja fast ein wenig neidisch auf ihn. Er war frei in der Wahl seiner Arbeitszeit, außerdem verdiente er auch noch sehr gut. Und dann waren wohl auch die Leute, mit denen er zu tun hatte, ziemlich nett. Von dieser Frau Wagner, die seine Beschäftigung befürwortet hatte, sprach er ja immer voller Begeisterung.

      Außerdem schien ihm die edle Umgebung im Hotel gut zu gefallen. Manchmal fragte sich Katja, ob er sich nicht vielleicht bald zu sehr daran gewöhnen würde. Und dann? Wie würde er es in ihrem winzigen Appartement aushalten, in dem man niemals für sich sein konnte? In dem alles billig und selbstgemacht war und auch so aussah? Sie hatten ja nicht einmal Geld, um sich das Nötigste zu kaufen, da blieb für ein hübsches Möbelstück natürlich erst recht nichts übrig.

      Aber wenn sie ehrlich war, dann beunruhigte sie die Sache mit der vornehmen Umgebung weniger als dieses ständige Schwärmen von der schönen Assistentin des Direktors. Manchmal hörte sich das so an, als sei Andreas richtig verliebt in sie. Wenn sie in ihren Überlegungen so weit gekommen war, verbot Katja sich regelmäßig, weiterzudenken. Sie wußte, daß sie dazu neigte, eifersüchtig zu sein. Aber wenn sie damit erst einmal anfing, dann konnte sie gleich einpacken!

      Heute hatte sie gar nicht mitbekommen, daß Andreas ins Hotel gegangen war. Er war zuerst mit Franziska spazierengegangen, danach hatte er sie gefüttert und ins Bett gebracht. Katja hatte in dieser Zeit fest geschlafen. Aber nun drang etwas in ihr Bewußtsein, das ihre Ruhe störte.

      Franziska schrie, und es dauerte eine Weile, bis Katja sich endlich aus den Tiefen des Schlafs emporgekämpft und begriffen hatte, daß sie nicht träumte. Es war mitten am Nachmittag, sie brauchte ihren Schlaf dringend, denn sie würde auch heute wieder Nachtdienst haben. Aber Andreas war ja im Hotel, und so quälte sie sich aus dem Bett, um zu sehen, warum Franziska weinte.

      Theoretisch war die Lösung, die Andreas mit seinem »Gelegenheitsjob« im King’s Palace gefunden hatte, großartig, das fand auch Katja. Aber praktisch war sie eine Katastrophe. Denn irgendwie schien Franziska es zu spüren, wenn ihre Mutter besonders müde war und ihren Schlaf noch dringender brauchte als ohnehin schon. Und genau dann schrie sie wie am Spieß und war kaum zu beruhigen, so daß Katja Stunden damit verbringen mußte, ihre Tochter zu beruhigen, statt zu schlafen.

      Oft genug fand Andreas die beiden im Sessel sitzend vor, wenn er von der Arbeit nach Hause kam: Franziska schlief selig im Arm ihrer ebenfalls schlafenden Mutter. Auch heute war es wieder so. Als er das Appartement betrat, zufrieden und gut gelaunt, weil die Arbeit ihm wieder einmal großen Spaß gemacht hatte, sah er sofort Katjas erschöpftes blasses Gesicht, während das Baby in ihren Armen rund und rosig aussah.

      Vorsichtig nahm er Franziska hoch und legte sie in ihr Bettchen. Sie schlief weiter, und auch Katja rührte sich nicht. Leise setzte er Wasser für einen Tee auf, und davon wachte sie dann auf.

      »Da bist du ja«, sagte sie.

      Er setzte sich auf den Rand des Sessels und strich ihr über das Gesicht. »Ich wollte dich nicht wecken, Katinka.« Er gab ihr einen Kuß. »War’s wieder so schlimm?«

      Sie nickte. »Über eine Stunde lang hat sie gebrüllt, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Sie macht mich fertig, Andreas. Wenn ich bedenke, daß ich eine Nachtschicht durchstehen muß, dann weiß ich nicht, wie ich das machen soll!« Unvermittelt fing sie an zu weinen.

      Erschrocken rutschte er von der Sessellehne, kniete sich vor sie und schlang beide Arme um sie. »Katinka!« sagte er. »Nicht weinen, wir schaffen das schon. Wenn es überhaupt nicht geht, muß ich eben wieder aufhören im Hotel.«

      »Aber wir brauchen das Geld, und du kannst auch nicht nur zu Hause hocken«, schluchzte sie. »Sonst wirst du nämlich noch verrückt.«

      »Und wenn wir so weitermachen wie jetzt, dann wirst du verrückt«, erwiderte er. »Wir haben also die freie Auswahl. Gnädige Frau, möchten Sie gern verrückt werden? Oder darf ich das für Sie erledigen?«

      Es war ihm gelungen, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern, und erleichtert atmete er auf. »Na, so gefällst du mir schon besser. Wir werden doch nicht vor den ersten kleinen Schwierigkeiten gleich kapitulieren!«

      »Kleine Schwierigkeiten!« sagte sie und putzte sich die Nase. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so müde, Andy! Wenn ich könnte, würde ich eine Woche lang schlafen, das kannst du mir glauben.«

      »Superfit bin ich auch nicht«, gestand er, »aber ich muß ja auch keinen Nachtdienst machen und kann immer mal zwischendurch schlafen. Außerdem gefällt es mir super im King’s Palace , das macht natürlich viel aus. Heute ist Frau Wagner gekommen und hat gesagt, sie will demnächst mal etwas sehen, das ich ganz allein gemacht habe. Ist das nicht klasse?«

      Sie nickte. Alles, was Frau Wagner tat oder sagte, war klasse, daran hatte sie sich jetzt schon gewöhnt. Und sie war außerdem eine Schönheit und furchtbar nett und klug und…

      »Was sollen wir denn jetzt machen?« fragte Andreas, der das angespannte Gesicht seiner Freundin wohl bemerkte. Wie froh war er, daß er ihr nichts von diesen merkwürdigen Bauchschmerzen erzählt hatte, die sich in letzter Zeit immer mal wieder meldeten. Ein paarmal war ihm auch schon richtig schlecht geworden, und manchmal fühlte er sich schwindelig. Aber alldas hatte er