als sie sich an die Arbeit machte. Sie legte rasch und geschickt die Infusion an und half danach, die Blutungen zu stillen. Die beiden Ärzte brachten die Patientin selbst in den OP.
»Wo war sie?« fragte Julia leise, als Adrian und sie im Aufzug standen.
»Im Aufenthaltsraum«, antwortete er. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie dort eingeschlafen.«
»Meinst du, sie hat vielleicht noch einen anderen Job?« fragte Julia stirnrunzelnd.
»Ich hoffe nicht«, antwortete er und seufzte. »Aber ausgeschlossen ist das heutzutage ja auch nicht mehr.«
Der Aufzug hielt, und eilig schoben sie ihre Patienten hinaus.
In der Notaufnahme war Katja unterdessen in den Waschraum gegangen und hielt ihr Gesicht unter das eiskalte Wasser. Nach einigen Minuten hatte sie das Gefühl, daß ihre Lebensgeister wieder erwacht waren. Sie trocknete sich ab und sah ihr Gesicht aufmerksam im Spiegel an. Lange würde sie dieses Leben nicht mehr durchhalten, das ahnte sie.
*
»Fränzchen, heute mußt du mich in Ruhe schlafen lassen«, murmelte Andreas, als das Baby anfing, leise zu jammern. »Die Mama arbeitet, und ich fühl’ mich gar nicht gut, verstehst du? Also sei ruhig!«
Aber Franziska jammerte weiter, und schlaftrunken stand er auf, blieb aber erschrocken stehen, als er den ersten Schritt getan hatte. Er hatte in der letzten Zeit ja öfter mal unter Bauchschmerzen gelitten, doch diesmal waren sie wirklich deutlich schlimmer. Aber warum nur?
Vorsichtig ging er zum Kinderbettchen, hob seine Tochter hoch und tapste zurück zu seinem eigenen Bett. »Kommst du eben mit zu mir«, murmelte er. »Ich bin zu müde, um dir jetzt etwas vorzusingen. Außerdem habe ich Schmerzen, da kann man wirklich nicht gut singen. Komm, wir schlafen beide wieder ein.«
Tatsächlich schlief Franziska nach wenigen Minuten selig in seinem Arm, während er selbst immer wacher wurde. Er fühlte sich elend und überlegte, ob er etwas Verdorbenes gegessen haben könnte. Aber ihm fiel nichts ein. Warum also fühlte er sich dann so schlecht?
Andreas war bisher noch nie richtig krank gewesen. Krankheiten waren etwas für andere, nicht für ihn. Und Bauchschmerzen waren natürlich auch keine Krankheit! Er erinnerte sich, was ihm als Kind geholfen hatte, wenn er sich mal den Magen verdorben hatte. Eine Wärmflasche! Sicher, eine Wärmflasche war doch nie verkehrt.
Vorsichtig ließ er Franziska aus seinem Arm gleiten, baute einen Wall aus Kissen um sie herum, damit sie nicht aus dem Bett fiel, und stand wieder auf. Die Schmerzen waren jetzt so stark, daß er ein wenig gekrümmt gehen mußte. Außerdem war ihm auch noch schwindelig.
Dann merkte er, daß ihm schlecht wurde. So schnell er konnte, ging er ins Bad und übergab sich. Danach fühlte er sich besser. Was immer es gewesen ist, dachte er, jetzt ist es wenigstens draußen. Aber er fühlte sich nach wie vor ziemlich schwach auf den Beinen.
Er ging langsam zurück in die Küche, fand nach einigem Suchen die Wärmflasche, füllte sie mit heißem Wasser und schlich sich zurück ins Bett. Nach einer Weile ließen die Schmerzen tatsächlich nach, und er schlief wieder ein.
*
»Schwester Katja«, rief Dr. Adrian Winter. »Warten Sie einen Augenblick. Ich würde gern noch mit Ihnen reden.«
Er hatte sich bereiterklärt, für einen Kollegen einzuspringen, der an diesem Vormittag einen dringenden Termin hatte, und so war sein Dienst nach dieser Nacht leider noch nicht beendet. Dabei wäre er jetzt liebend gern, wie seine Kollegen auch, nach Hause gegangen und hätte sich ins Bett gelegt.
Katja blieb stehen, doch ihr war anzusehen, daß ihr das gar nicht recht war. Sie schien es eilig zu haben, wie immer. Ungeduldig trat sie von einem Fuß auf den anderen und biß sich auf die Lippen.
Er tat, als bemerke er das nicht. Freundlich lächelnd sagte er: »Kommen Sie, ich begleite Sie ein Stück. Es dauert nicht lange.«
Sie nickte nur schweigend und fragte sich, ob er etwas Bestimmtes von ihr wollte. Aber er ließ sich Zeit, und allmählich wurde sie nervös. Was hatte er vor? Hatte er am Ende doch gemerkt, daß sie geschlafen hatte?
Endlich fing er an zu sprechen. »Ist etwas nicht in Ordnung, Katja? Oder geht es Ihnen nicht gut? Ich wollte Ihnen sagen, daß ich anfange, mir Sorgen um Sie zu machen. Sie sind sehr blaß, und ich habe den Eindruck, die Ringe unter Ihren Augen werden immer dunkler.«
Sie errötete heftig und suchte nach einer Antwort. Schließlich sagte sie leise: »Mir fehlt nichts, Herr Dr. Winter, wirklich nicht. Ich bin nur müde.«
»Das sehe ich«, erwiderte er trocken. »Müde sind wir alle, besonders, wenn wir Nachtschicht haben, das ist normal. Aber Sie sehen krank aus, Katja. Haben Sie Kummer?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, überhaupt nicht. Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, ich bin nur müde, das ist alles.«
Sie würde ihm also nichts erzählen, dabei war es offensichtlich, daß es mehr war als ihre Müdigkeit, was ihr zu schaffen machte. Aber er konnte sie nicht zwingen, mit ihm zu reden. »Schon gut«, erwiderte er. »Ich wollte Sie nicht bedrängen, Katja. Aber wenn Sie Kummer haben, dann kommen Sie bitte zu mir und erzählen Sie mir davon. Ich bin im Augenblick Ihr Chef, und vielleicht kann ich Ihnen helfen – wobei auch immer.«
Er sah ihr völlig verschlossenes Gesicht und lächelte. »Nun gucken Sie nicht so böse. Sie haben mir gesagt, daß alles in Ordnung ist, und das habe ich verstanden. Aber sollte sich daran jemals etwas ändern, dann wissen Sie, daß Sie mich ansprechen können. In Ordnung?«
Sie nickte stumm.
»Also, dann schlafen Sie sich richtig aus«, sagte er freundlich. »Bis morgen, Katja.«
»Bis morgen«, erwiderte sie leise, und dann rannte sie los. Nur schnell weg hier, bevor sie vielleicht doch noch in Versuchung kam, dem netten Dr. Winter zu erzählen, daß sie nicht nur müde, sondern auch verzweifelt war, weil sie das Gefühl hatte, dem Leben, das sie im Augenblick führen mußte, überhaupt nicht gewachsen zu sein.
Die harte Arbeit, der Schlafmangel, der Streit mit ihren Eltern, das anstrengende Kind, die räumliche Enge, die ständige Geldknappheit – all das war mehr, als sie ertragen konnte. Und wenn Andreas dann noch anfing, von dieser sagenhaften Frau Wagner zu schwärmen, hatte sie außerdem noch Angst, ihn zu verlieren!
*
Als Andreas auf die Uhr sah, erschrak er. Katja mußte gleich nach Hause kommen, und er lag immer noch im Bett. Sein Bauch hatte sich zum Glück ein wenig beruhigt. Und wie durch ein Wunder schlief Franziska noch immer selig – das hatte Seltenheitswert.
Vorsichtig stand er auf, ging unter die Dusche und setzte Wasser auf, um Tee zu kochen. Brot war noch im Haus, so daß er für ein Frühstück mit Katja nichts einkaufen mußte. Er hatte sich gerade angezogen, als sie kam. Ihrem Gesicht sah er sofort an, daß etwas passiert sein mußte.
Er umarmte sie zur Begrüßung. »Was ist los, Katinka?« fragte er.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage: »Schläft Franziska?«
»Ja, laß sie ruhig liegen. Sie hat heute nacht geweint, ist aber bald eingeschlafen. Wir sollten es genießen, daß sie uns mal ein bißchen Ruhe gönnt.«
Sie nickte, schlich auf Zehenspitzen zum Bett, betrachtete das Baby liebevoll und kehrte zurück. »Sie hat bei dir im Bett geschlafen?«
»Ja, ich war einfach zu müde, um aufzubleiben und sie in den Schlaf zu singen«, gestand er. »Schimpf nicht, ich weiß, daß man gar nicht erst damit anfangen soll, weil sie dann immer in unser Bett will, aber wie gesagt: Ich war einfach zu müde. Und jetzt erzähl mir endlich, was los war.«
»Dr. Winter hat mich gefragt, ob ich Kummer habe. Ach, Andy, ich bin einfach eingeschlafen, als ich mal kurz im Aufenthaltsraum war. Ich wollte mir nur was zu trinken holen, und ich bin erst wach geworden, als sie mich gerufen haben.« Schon wieder kamen ihr die Tränen, das passierte in letzter Zeit häufig.
»Hat