schoben sie den Patienten über den Gang in den nächsten Aufzug. Hoffentlich geht das gut, dachte Adrian, während Schwester Sara eine Hand von Andreas Hollaender hielt und beruhigend auf ihn einredete.
*
Als Katja aufwachte und einen Blick auf die Uhr warf, wunderte sie sich, daß sie nun schon seit einigen Stunden ungestört im Bett lag. Sie hatte tief und fest geschlafen, kein Kind hatte geweint, kein Andreas sich leise zurück in die Wohnung geschlichen. Es herrschte wunderbare, paradiesische Ruhe. Und das bedeutete, daß Andreas offenbar noch immer mit Franziska unterwegs war.
Zufrieden drehte sie sich auf die andere Seite. Sie würde einfach weiterschlafen, und in der kommenden Nacht würde niemand sich über sie beklagen können, weil sie im Aufenthaltsraum eingeschlafen war während ihres Nachtdienstes. Topfit würde sie sein!
Dann erst fiel ihr wieder ein, daß sie sich mit Andreas gestritten hatte, und mit einem Mal war sie hellwach. Es war ihre Schuld gewesen, ganz allein ihre Schuld, weil sie eifersüchtig gewesen war auf diese Frau Wagner, von der er immer so schwärmte.
Wie dumm sie doch gewesen war! Und nun lief er draußen herum, weil er sich nicht wieder nach Hause traute. Sie schämte sich und überlegte, ob sie aufstehen und ihn suchen sollte. Er blieb ja meistens hier in der Nähe, die Chancen, ihn zu finden, waren nicht so schlecht. Vielleicht war er in den kleinen Park gegangen…
Aber während sie darüber nachdachte, wurde sie erneut schläfrig. War es denn wirklich nötig, jetzt aufzustehen? Nein, fand sie, eigentlich nicht. Sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen wegen des dummen Streits, aber wenn sie noch ein bißchen schlief, dann würde es ihr viel leichter fallen, sich mit Andreas wieder zu versöhnen. Sie würde nicht mehr eifersüchtig sein, sondern ihn ein wenig aufziehen mit seiner Schwärmerei für Frau Wagner. Für Eifersucht gab es natürlich gar keinen Grund, und wenn sie eingeschlafen war, wußte sie das auch ganz genau. Nur wenn sie übermüdet war, dann sah sie die Dinge manchmal in einem wirklich ganz falschen Licht.
Also mußte sie jetzt unbedingt schlafen, und später würde Andreas ihr ganz bestimmt verzeihen. Und ihre Versöhnung würden sie sogar ein bißchen feiern!
Sie rollte sich auf die Seite, schloß die Augen und war im nächsten Moment schon wieder eingeschlafen.
*
Dr. Adrian Winter sah entsetzt in die offene Bauchhöhle seines jungen Patienten. Wieso nur war Andreas Hollaender nicht zu einem Arzt gegangen wegen seiner Beschwerden? Da hatte er sich tagelang mit Schmerzen und Übelkeit herumgequält – und nun auf einmal war er in Lebensgefahr mit seinen dreiundzwanzig Jahren. Denn auch heute noch konnte man an einem durchbrochenen Blinddarm sterben, während eine rechtzeitig durchgeführte Operation eine reine Routineangelegenheit war.
Andreas Hollaenders entzündeter Blinddarm war tatsächlich aufgebrochen, Eiter und Bakterien hatten sich im Bauchraum ausgebreitet. Es würde also nicht ausreichen, den entzündeten Wurmfortsatz des Darms abzuschneiden, sondern vor allem mußte der Bauchraum gründlich gereinigt werden – und das sehr schnell.
Zunächst führe er die eigentliche Operation durch, das ging rasch und komplikationslos. Erst dann wurde die Sache schwierig, und Adrian Winter stand bald der Schweiß auf der Stirn, den Schwester Sara ihm von Zeit zu Zeit abtupfte.
Sie machte ihre Sache gut. Zwar war sie nervös, aber dennoch sehr konzentriert bei der Sache. Sie sagte kein Wort, wofür er ihr dankbar war. Überhaupt herrschte im OP völlige Ruhe, wenn man vom Klicken der Instrumente und vom Summen der Maschinen einmal absah.
Er war froh, daß ihm mit dem Anästhesisten Werner Roloff, der bereits auf die Sechzig zuging, ein hervorragender Arzt zur Verfügung stand, den er außerdem auch menschlich sehr schätzte. Sie arbeiteten schon lange zusammen und mußten nicht viel reden, um sich zu verständigen.
»Lassen Sie im Labor eine Kultur von dem Eiter anlegen, Sara«, bat er. »Hier, entnehmen Sie etwas davon – damit wir bei einer Bauchfellentzündung wissen, mit welchem Medikament wir sie gezielt bekämpfen können.«
Sara nickte und befolgte seine Anweisung rasch und geschickt.
Während er den Bauchraum säuberte, warf Adrian seinem Kollegen Werner Roloff immer wieder fragende Blicke zu, die dieser bisher mit knappem Nicken beantwortet hatte. Das hieß soviel wie: »Es sieht nicht besonders gut aus, aber du kannst weitermachen.«
Und der junge Notaufnahmechef machte weiter, doch es erwies sich als nahezu unmöglich, den Bauchraum vollständig zu säubern. Der Eiter schien sich bereits überall ausgebreitet zu haben.
»Achtung, Adrian«, sagte Werner Roloff leise, »Blutdruck fällt ab.«
»Werner, ich bin noch nicht fertig. Ein bißchen muß er noch durchhalten. Ich kann ihn nicht wieder zumachen, wenn es immer noch Stellen gibt, an denen alles voller Eiter ist.«
Der erfahrene Anästhesist nickte. Er blieb völlig ruhig, zumal er spürte, daß das in diesem Fall besonders wichtig war. Er veränderte die Dosierung des Medikaments, das dem Patienten zugeführt wurde, und meldete wenige Sekunden später: »Alles wieder stabil.«
Adrian warf ihm einen zugleich dankbaren und erleichterten Blick zu und setzte seine Arbeit fort. Mit zusammengepreßten Lippen tupfte er weiterhin Eiter aus der Bauchhöhle des jungen Mannes. Endlich, nach langer Zeit, hatte er den Eindruck, den bakterienverseuchten Inhalt des Wurmfortsatzes so gründlich wie möglich entfernt, die Bauchhöhle vollständig gesäubert zu haben.
»Sehen Sie noch etwas, das ich übersehen habe?« fragte er Schwester Sara.
»Nein«, antwortete sie, »ich habe aufgepaßt, aber es ist wirklich nichts mehr zu sehen.«
»Er wird trotzdem eine Bauchfellentzündung bekommen«, sagte Adrian mit einer gewissen Erbitterung in der Stimme. »Er hätte wirklich viel früher einen Arzt aufsuchen müssen.«
Er wandte sich nun an den Anästhesisten. »Alles okay, Werner? Ich mach’ ihn jetzt wieder zu.«
»Wird auch Zeit, würde ich sagen«, antwortete sein Kollege ruhig. »Ich möchte nämlich nicht gern, daß mir der Junge hier doch noch schlapp macht. Viel Reserven hat er nicht mehr.«
»Ich beeile mich«, versicherte Adrian, denn er wollte nicht nur diesen jungen Mann retten, sondern sehnte sich auch danach, endlich nach Hause zu kommen, um wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen, bevor sein nächster Nachtdienst beginnen würde. Der Kollege, für den er eingesprungen war, war sicherlich längst eingetroffen und freute sich, daß er diese Operation nicht hatte übernehmen müssen.
*
Als Katja das nächste Mal aufwachte, war es noch immer ruhig in der Wohnung. Und nun wurde sie mit einem Schlag hellwach. Etwas stimmte nicht! So lange war Andreas mit Franziska noch nie weggeblieben. War er noch immer böse auf sie – oder wollte er, daß sie endlich einmal genug Schlaf bekam?
Sie grübelte nicht lange darüber nach, sondern stand auf, ging unter die Dusche, zog sich eilig an und verließ die Wohnung. Sie würde ihn schon finden, ihn und die Kleine. Wahrscheinlich waren sie in den nahegelegenen Park gegangen, da gab es einen Teich mit Enten, die ihre Tochter sehr liebte. Stundenlang konnte sie den Tieren zusehen. Ganz bestimmt waren sie dort.
Sie rannte fast, jetzt hatte sie es sehr eilig. Bald hatte sie den Teich erreicht. Viele Mütter und Väter waren mit ihren Kindern dort und fütterten die Enten, aber Andreas und Franziska waren nicht darunter.
Katja lief wieder zurück. Dann war Andreas vielleicht in ein Café gegangen? Atemlos lief sie von einem zum andern, doch nirgends saß er und winkte ihr fröhlich entgegen.
Mittlerweile ahnte sie, daß sie ihn nicht finden würde. Jetzt ging sie langsamer, dachte noch einmal nach. Es war unsinnig, hier herumzulaufen und ihn zu suchen – er konnte schließlich auch die U-Bahn genommen haben und weiter weggefahren sein. Woher wollte sie das wissen?
Oder er war längst zu Hause und wunderte sich, wo sie war. Schließlich war er absichtlich so lange spazierengegangen, damit sie in Ruhe schlafen konnte. Und was machte sie? Sie verließ die Wohnung und suchte