sind fertig, habe ich gehört. Jetzt können die Antibiotika ganz gezielt zusammengestellt werden. Hoffentlich bringt das den gewünschten Erfolg.«
»An dir hat es jedenfalls nicht gelegen, Adrian«, sagte Werner Roloff mit warmer Stimme. »Du hast ausgezeichnete Arbeit geleistet.« Seine freundlichen braunen Augen waren voller Zuneigung auf den jungen Kollegen gerichtet.
»Danke«, murmelte Adrian. »Wenn er stirbt, wird mir das allerdings nur ein sehr unzureichender Trost sein, Werner.«
»Das verstehe ich. Aber wenn du dir zusätzlich auch noch Vorwürfe machen müßtest, wäre es sicherlich noch schlimmer.« Der Anästhesist fuhr sich mit beiden Händen durch seine wilde graue Mähne, die so etwas wie sein optisches Markenzeichen war. Er war ein sehr großer, überschlanker Mann, den man wegen seiner außergewöhnlichen Silhouette schon von weitem erkennen konnte.
»Er hat ein Baby, Werner«, sagte Adrian. »Eine Tochter von einem halben Jahr.«
»Woher weißt du das?« fragte Werner Roloff verblüfft. »Das kann er dir doch unmöglich selbst gesagt haben.«
»Hat er auch nicht. Ich weiß es von Esther.« In wenigen Worten berichtete er, was seine Schwester ihm erzählt hatte.
»Und was ist mit der Mutter des Kindes?«
»Solange ich ihn nicht fragen kann, wie sie heißt, werden wir sie nicht ausfindig machen können. Das Kind ist jedenfalls noch in der Charité, die kümmern sich zumindest bis morgen um sie.«
»Arme Kleine«, murmelte Werner Roloff. »Und Esther glaubt, die Freundin von Herrn Hollaender liegt in unserer Klinik?«
»Er soll so was gesagt haben – das würde auch erklären, warum er hierher wollte.«
»Vielleicht sollten wir auf den Stationen Bescheid sagen – falls irgendwo eine junge Frau liegt, die sich wundert, warum sie auf einmal keinen Besuch mehr von ihrem Freund und ihrer kleinen Tochter bekommt.«
»Gute Idee«, stimmte Adrian zu. »Ich schreibe es auf, und dann kann es in jeder Station ans Schwarze Brett gehängt werden.«
»Hoffentlich brauchst du dafür keine Genehmigung von der Verwaltung«, meinte sein älterer Kollege, und zum ersten Mal wich der ernste Ausdruck von seinem Gesicht und machte einem breiten Lächeln Platz.
»Machst du Witze? Genehmigung? Das wäre ja das Allerneueste.«
»Mir scheint«, meinte Werner Roloff, »du bist nicht ganz auf dem Laufenden, Adrian. Wir haben seit einigen Tagen einen neuen Verwaltungsdirektor. Er heißt Thomas Laufenberg und soll ein ganz scharfer Hund sein.«
»Ist mir egal«, sagte Adrian. »Wenn er was will, kann er ja kommen und meckern. Tschüß, Werner, ich muß zurück. Dringend sogar.«
»Ich auch«, seufzte Werner Roloff. »Anästhesisten sind offenbar zur Zeit Mangelware an dieser Klinik. Ich war schon lange nicht mehr so gefragt wie im Augenblick. Tschüß, Adrian, ich hoffe, das nächste Mal ist es ein leichterer Fall, bei dem wir zusammenarbeiten können.« Er klopfte Adrian aufmunternd auf die Schulter und eilte mit wehender Mähne davon.
*
»Esther?«
»Wie geht’s ihm?« Esther Berger hatte Adrians Stimme sofort erkannt und offenbar bereits auf seinen Anruf gewartet, so schnell hatte sie sich gemeldet.
»Nicht gut«, antwortete er ehrlich. »Er hat Fieber und phantasiert. Die Antibiotika, die er zuerst bekommen hat, haben nicht angeschlagen, jetzt ist die Zusammensetzung verändert worden – wir hatten ja Kulturen anlegen lassen. Ich hoffe, er schafft es.«
Es war einen Augenblick still, so daß er sich schon fragte, ob die Verbindung unterbrochen worden war, aber dann hörte er seine Schwester leise sagen: »Er muß es schaffen, Adrian! Meine Güte, ich kenne ihn kaum, aber die Vorstellung, daß er vielleicht an einer ordinären Blinddarmentzündung stirbt, ist so ungeheuerlich! Daran stirbt man heute einfach nicht mehr.«
»O doch«, widersprach er, »das tut man auch heute noch. Manche Leute gehen zu spät oder überhaupt nicht zum Arzt, wenn ihnen etwas fehlt – und zu diesen Menschen scheint Herr Hollaender zu gehören. Ich bin fast wütend auf ihn gewesen, als ich ihn operiert habe, weil das alles so unnötig ist. Verstehst du das?«
»Ja, sicher«, antwortete sie hilflos. »Ich kenne dieses Gefühl, wenn ich denke, daß man eine Gefahr hätte vermeiden können. Aber es ist ja nun zu spät, ändern läßt sich das nicht mehr.«
»Ja«, bestätigte er, und seine Stimme klang bitter. »Jetzt kann man nur noch hoffen.«
»Er ist noch so jung, Adrian«, flüsterte sie. »Und dieses Baby ist so niedlich, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Die Schwestern sind alle verliebt in das kleine Mädchen.«
»Hier tun alle, was sie können, um ihn durchzubringen, Esther!« Adrian räusperte sich. »Ich muß Schluß machen, die Notaufnahme ist wieder einmal total überfüllt. Morgen melde ich mich wieder.«
»Oder früher – sobald es ihm bessergeht, ja?« bat Esther.
»Gut, mach’ ich. Bis dann!« Er legte auf und blieb gedankenverloren stehen. Erst als er hörte, daß man ihn rief, wachte er aus seiner Versunkenheit auf und eilte zu seinen Kolleginnen und Kollegen zurück.
*
»Na, sehen Sie, Schwester Katja«, sagte Julia Martensen am frühen Morgen freundlich, »nun ist die Nacht vorbei, und Sie haben sie doch besser überstanden als befürchtet – oder nicht?«
»Doch«, gab Katja zu. Es war tatsächlich so viel zu tun gewesen, daß sie nicht mehr zum Nachdenken gekommen war – zum Glück. Aber jetzt rückten ihr ihre Probleme wieder näher. Gleich würde sie sich auf den Heimweg machen und kurz darauf wissen, ob ihre Welt wieder in Ordnung war oder nicht. Wenn sie es nicht war… Aber daran wollte sie nicht denken. Andreas und Franziska würden wieder zu Hause sein, sie selbst würde sich entschuldigen, und dann würde sie die ganze Sache so schnell wie möglich vergessen.
»Sie können bestimmt gut schlafen nachher«, meinte Julia Martensen tröstend.
»Hoffentlich«, sagte Katja schüchtern. »Vielen Dank, Frau Dr. Martensen.«
»Wofür denn?« fragte Julia.
»Für Ihre Unterstützung«, sagte Katja schlicht. »Ich geh’ dann mal. Herr Dr. Winter ist wohl noch einmal auf die Intensivstation geeilt, um nach seinem Patienten zu sehen?«
»Ja, es geht ihm leider gar nicht gut. Er hat hohes Fieber und phantasiert. Die Kollegen hoffen jetzt, daß die neue Zusammensetzung von Antibiotika bald anschlägt.«
»Ich hoffe für Dr. Winter, daß sich der Patient bald erholt«, sagte Katja. »Er würde es sonst sehr schwer nehmen, glaube ich.«
»Ja, da haben Sie recht«, stimmte Julia ihr zu. »Ich kenne kaum einen Arzt, der so hartnäckig um das Leben eines Menschen kämpfen kann wie Dr. Winter. Er kämpft noch, wenn andere schon längst aufgegeben haben.«
Katja nickte. Genauso hatte sie Dr. Winter auch eingeschätzt. »Auf Wiedersehen, Frau Dr. Martensen«, sagte sie.
»Auf Wiedersehen, Schwester Katja. Ich gehe jetzt auch. Schlafen Sie gut!«
»Ich versuch’s«, versprach Katja, und dann rannte sie los.
*
»Herr Hollaender? Können Sie mich hören?«
Die Augenlider des Patienten flatterten wie Schmetterlingsflügel, doch sie hoben sich nicht.
Adrian seufzte, und der junge Stationsarzt, der neben ihm stand, sagte: »Es geht ihm schon viel besser, Herr Winter, wirklich. Die Antibiotika wirken, und das Fieber ist seit zwei Stunden nicht mehr gestiegen.«
»Trotzdem wäre mir wohler, wenn ich ein paar Worte mit ihm gewechselt hätte«, erwiderte Adrian. »Ich werde keine Ruhe finden, wenn ich jetzt nach Hause gehe, das weiß ich genau.«
Der