Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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beunruhigt. Denn tatsächlich fühlte sie sich, auf eine nicht genau bestimmbare Art, für Andreas Hollaender verantwortlich. Und wenn er nicht kam, obwohl er sein Kommen zugesagt hatte, dann gefiel ihr das ganz und gar nicht. Sie würde ein deutliches Wort mit ihm reden, wenn sie ihn das nächste Mal sah.

      Dann zwang sie sich, nicht mehr an ihn zu denken. Sie hatte jetzt anderes zu tun. Energisch griff sie zum Telefon und fing an, die Liste abzuarbeiten, die ihre Sekretärin ihr hingelegt hatte.

      *

      »Nanu, Katja, fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Dr. Julia Martensen freundlich, als sie einen Blick in das blasse Gesicht der neuen Schwester geworfen hatte. »Sie sind so blaß! Sie werden uns doch nicht krank werden? Wir brauchen Sie hier wirklich ganz dringend, das wissen Sie doch.«

      »Ich habe nicht gut geschlafen«, antwortete Katja. Sie versuchte zu lächeln, aber es mißlang ihr kläglich.

      »Das ist besonders schlimm, wenn man Nachtdienst hat«, erwiderte Julia ruhig. »Aber vielleicht wird es eine ruhige Nacht, und Sie können sich zwischendurch sogar ein wenig hinlegen – das kommt auch schon mal vor.«

      Ihre Freundlichkeit trieb Katja die Tränen in die Augen, und sie wandte sich hastig ab. Wenn es nur jemanden gäbe, mit dem sie über ihren Kummer hätte reden können! Dr. Winter vielleicht, dachte sie. Er hat es mir ja selbst angeboten, und zu ihm könnte ich Vertrauen haben.

      Aber was sollte sie ihm sagen? Daß ihr Freund mit ihrer gemeinsamen Tochter verschwunden war, weil sie sich gestritten hatten? Dann würden alle wissen, daß sie bereits ein Kind hatte. Und dann würde sie wahrscheinlich nicht einmal die Probezeit hier in der Klinik überstehen. Nein, das war auch keine Lösung. Sie mußte allein sehen, wie sie mit ihren Problemen fertig wurde.

      Trotzdem fragte sie: »Kommt Dr. Winter nicht?«

      »Er ist schon da, obwohl er gestern länger geblieben ist, weil er für einen Kollegen eingesprungen ist. Und dann hat er einen Notfall operieren müssen, einen Mann mit Peritonitis. Es geht ihm ziemlich schlecht, er liegt auf der Intensivstation. Dr. Winter ist zu ihm gegangen, um nach ihm zu sehen. Die Operation muß sehr schwierig gewesen sein.«

      Katja nickte. Das konnte sie sich vorstellen. »Kann ich schon etwas tun?« fragte sie.

      Julia Martensen nickte. »Ja, bitte kommen Sie mit mir. Ich brauche Hilfe bei einer älteren Dame, die sich einen Fuß verstaucht hat.«

      Katja folgte ihr. Sie war froh, daß sie arbeiten konnte. Das würde sie hoffentlich von ihren Gedanken ablenken. Denn sonst würde sie sich doch nur vorstellen, daß sie morgens nach Hause kommen und erneut eine leere Wohnung vorfinden würde…

      *

      Andreas war froh, daß er sich nicht mehr vor Schmerzen krümmen mußte, aber richtig gut fühlte er sich dennoch nicht. Etwas in seinem Bauch tat immer noch weh, und sein Kopf fühlte sich merkwürdig an. Er wollte gern wissen, was eigentlich passiert war, aber er konnte den Mund nicht öffnen, um zu fragen. Und nachdenken konnte er auch nicht.

      Das fand er unangenehm. Zugleich aber war es gut, hier ganz ruhig zu liegen und sich um nichts zu kümmern.

      Er hörte leise Stimmen und hätte gern gewußt, wer da sprach, aber er war zu müde, um die Augen zu öffnen. Das mußte noch ein wenig warten.

      Eine leise Männerstimme sagte in diesem Augenblick: »Er wird bald aufwachen.« Andreas kannte die Stimme nicht und fragte sich, woher der Mann das wohl wußte, wo er doch seine Augen fest geschlossen hatte.

      »Herr Hollaender?« Das war noch eine Männerstimme, aber eine andere. »Können Sie mich hören, Herr Hollaender?«

      Ja, dachte Andreas, das kann ich, aber ich bin zu müde, um es zu sagen.

      Was war nur passiert? Er hatte schreckliche Schmerzen gehabt, das wußte er noch. Und Fränzchen hatte auf einmal geweint. »Fränzchen!« murmelte er. Ob sie hier war? Sicher war sie hier, wo sollte sie sonst sein? Katinka arbeitete ja. Er sagte: »Katinka.«

      »Was hat er gesagt?« fragte die eine Stimme.

      »Ich habe es nicht genau verstanden, aber es klang wie ›Fränzchen‹ und ›Tinka‹.«

      »Fränzchen ist seine Tochter.«

      »Er hat eine Tochter? Er ist doch gerade mal Anfang Zwanzig…«

      Andreas schlief wieder ein. Er war zu müde, um den beiden Männern noch länger zuzuhören.

      *

      »Na?« fragte Julia Martensen, als Adrian Winter in die Notaufnahme zurückkehrte. »Wie geht’s dem Patienten?«

      Sie stand mit Schwester Katja auf dem Gang und schlürfte eilig einen Becher Kaffee.

      »Er ist noch nicht über den Berg. Ich mache mir nach wie vor große Sorgen um ihn«, antwortete Adrian. »Wenn ich bloß nicht so müde wäre.«

      »Tu dich mit Schwester Katja zusammen, sie hat auch schlecht geschlafen.«

      »Ich habe nicht schlecht geschlafen, sondern nur viel zu kurz! Was hat Ihnen denn den Schlaf geraubt, Katja?«

      Sie errötete und wich seinem Blick aus. »Ich weiß es nicht genau. Irgendwie sind mir so viele Sachen durch den Kopf geschwirrt, daß ich auf einmal hellwach war. Und dann konnte ich nicht mehr einschlafen.«

      »Das kenne ich«, sagte er lächelnd. »Autogenes Training, kann ich nur sagen. Wenn man das kann, wirkt es Wunder.«

      »Ich bin einfach zu ungeduldig dafür«, gab Katja zu.

      »Oder zu jung«, meinte er lächelnd. »Irgendwie werden wir diese Nacht schon durchstehen.«

      »Das hat Dr. Martensen auch gesagt, aber die Patienten wissen wohl noch nichts davon. Alle zehn Minuten kommt ein neuer.« Es tat Katja gut, hier zu stehen und zu reden, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Dann kam sie wenigstens nicht in Versuchung, darüber nachzudenken, ob Andreas wohl mittlerweile zu Hause war.

      »Ich möchte später noch einmal nach dem Patienten sehen«, sagte Adrian. »Jedenfalls, wenn unsere Arbeit hier es zuläßt. Guck nicht so, Julia! Ich weiß, daß ich nicht mehr für ihn zuständig bin und daß die Kollegen auf der Intensivstation hervorragende Mediziner sind…«

      »Dann ist es ja gut«, erwiderte sie. »Solange du das nicht vergißt, muß ich dich nicht daran erinnern.«

      »Nein, mußt du nicht. Aber ich werde trotzdem noch einmal nach dem Patienten sehen. Es läßt mir einfach keine Ruhe, daß ein so junger Mann vielleicht sterben muß, nur weil er nicht rechtzeitig zum Arzt gegangen ist.«

      »Wie alt ist er denn?« erkundigte sich Katja.

      »Dreiundzwanzig«, antwortete Adrian bekümmert. »Stellen Sie sich das einmal vor, Schwester Katja! Erst dreiundzwanzig. Da fängt das Leben doch erst richtig an.«

      Wie Andreas, dachte sie. Der Patient ist so alt wie Andreas. Aber Andreas hatte keine Blinddarmentzündung, das wußte sie. Wenn sie auch sonst im Augenblick über ihren Freund nicht so genau Bescheid wußte.

      *

      Andreas schwamm in einem Meer aus dichtem grauem Nebel. Vergeblich versuchte er, in dieser trüben Suppe etwas zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Merkwürdig fand er, daß ihm gleichzeitig heiß und kalt war. Wieso eigentlich? Er wollte an sich hinuntersehen, um festzustellen, was für Kleidung er anhatte, aber komischerweise konnte er seinen Kopf nicht bewegen.

      Das war lustig und beängstigend zugleich, und er kicherte leise. Das beruhigte ihn und vertrieb die bösen Geister, die sich bestimmt in dieser dicken Nebelsuppe versteckten. Er fragte sich plötzlich, welcher Tag heute war. Wie lange schwamm er schon dieser Suppe herum, ohne etwas zu sehen? Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Aber als er danach fragen wollte, wurde es auf einmal wieder schwarz um ihn, und er konnte gar nicht mehr nachdenken.

      »Er phantasiert«, sagte Werner Roloff, der zusammen mit Adrian Winter auf der Intensivstation neben Andreas Hollaenders Bett stand. »Er hat