Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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      »Wirklich?« Erneut flossen die Tränen, aber dieses Mal eher aus Erleichterung, das sah Rosemarie.

      »Dann mal an die Arbeit, womit fangen wir an?« fragte sie und rieb sich unternehmungslustig die Hände.

      »Ach, Tante Rosi, du bist unmöglich«, sagte Mareike schniefend. »Aber ich bin so froh, daß du da bist.«

      Sie räumten das Auto aus, das Rosemarie bis unters Dach vollgepackt hatte, und stellten fest, daß Mareike die Sachen ohne Ausnahme gut gebrauchen konnte. Danach öffneten sie eine Flasche Wein, und nun konnte Mareike schon etwas ruhiger erzählen, was ihr alles auf der Seele lag: die Scheidung, die Angst vor Robert, die Angst um John Tanner – so heißt er also, dachte Rosemarie –, die ganze ungewisse Zukunft. Es war nicht wenig, das Mareike ängstigte, und ihre Tante bemühte sich nach Kräften, ihr gut zuzureden.

      Sie waren beide ein wenig beschwipst, als sie ins Bett gingen, schliefen aber trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – wie die Murmeltiere.

      *

      Adrian Winter und Bernd Schäfer hatten die Notaufnahme verlassen und durchquerten den Eingangsbereich der Klinik. Ihr Dienst war zu Ende, und sie waren beide mehr als froh darüber.

      »Mann, bin ich müde«, sagte Bernd. »Dabei war es heute doch auch nicht schlimmer als sonst, oder?«

      »Bestimmt nicht. Aber ich bin auch müde, muß ich sagen.«

      »Ich werd’ verrückt«, murmelte Bernd plötzlich und hielt Adrians Arm fest. »Guck mal, wer da kommt!«

      »Meine Schwester schon wieder«, stellte Adrian fest und sah seinen Kollegen erstaunt an. »Sie kommt doch im Augenblick relativ oft, um Herrn Tanner zu besuchen. Und was ist daran so bemerkenswert?«

      »Die andere!« stieß Bernd hervor. »Die, die bei ihr ist!«

      Jetzt erst bemerkte Adrian die schöne blonde Frau, die seine Schwester begleitete. Die beiden Frauen waren in ein intensives Gespräch vertieft.

      »Die andere kenne ich nicht. Du etwa?«

      »Das ist Frau Sandberg!« zischte Bernd.

      »Die Frau von Robert Sandberg. Sie sieht genauso aus wie auf den Fotos. Was hat Esther denn mit Frau Sandberg zu tun?«

      »Keine Ahnung«, antwortete Adrian. »Bist du sicher, daß du dich nicht irrst?«

      »Absolut!« sagte Bernd.

      »Nun«, murmelte Adrian entschlossen, »das werden wir ja gleich sehen.« Laut rief er: »Hallo, Esther!«

      Seine Schwester blickte auf. »Oh, Adrian!« Sie lächelte erfreut. »Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dich noch hier anzutreffen.« Sie begrüßten einander liebevoll, auch Bernd bekam einen Kuß auf die Wange. Dann drehte sie sich zu der blonden jungen Frau um, die bescheiden im Hintergrund geblieben war.

      »Frau Sandberg, das ist mein Bruder Adrian Winter, und dies ist Bernd Schäfer. Die beiden sind Ärzte in der Notaufnahme.«

      Mareike schüttelte beiden Männern die Hand und lächelte schüchtern. Sie ist wirklich sehr schön, dachte Adrian. Bernd hat nicht übertrieben.

      Laut sagte er: »Ich wußte gar nicht, daß Sie meine Schwester kennen, Frau Sandberg. Sie wollen sicher zu Ihrem Mann?«

      Sie sah ihn höchst erstaunt an, während eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. »Zu meinem Mann?« fragte sie verwirrt. »Wieso denn zu meinem Mann? Ist er hier?«

      Adrian und Bernd wechselten einen ratlosen Blick. Auch Esther merkte, daß etwas nicht stimmte, und warf rasch ein: »Wir wollten eigentlich Herrn Tanner besuchen, den wir beide vom Reiten kennen. Wir haben uns zufällig unterwegs getroffen. Was ist denn mit Herrn Sandberg?«

      Adrian zögerte. »Robert Sandberg ist doch Ihr Mann, oder?«

      Auch die blonde junge Frau zögerte, dann sagte sie: »Ja, sicher. Aber nun sagen Sie mir doch bitte endlich, was mit ihm ist!«

      »Er hatte einen leichten Schlaganfall und ist gestern hier eingeliefert worden«, erklärte Adrian. »Er hat großes Glück gehabt und kann schon bald wieder entlassen werden. Gestern hatte er Sprachstörungen und Lähmungserscheinungen, aber das hat sich alles wieder zurückgebildet. Er ist ja schon einmal hiergewesen, und ich hatte ihn gewarnt, daß er seinen Lebensstil ändern muß. Aber offenbar hat er nicht auf mich gehört.«

      Mareike Sandberg war sehr blaß geworden. Hilfesuchend sah sie zu Esther, als könne diese ihr sagen, was sie jetzt tun solle, und Adrian spürte, daß Esther mehr über die ganze Sache wußte als er.

      »Wo liegt Herr Sandberg, Adrian?« fragte sie nun. »Natürlich müssen Sie zuerst nach Ihrem Mann sehen, Frau Sandberg.«

      »Er wollte nicht, daß wir Sie benachrichtigen«, sagte Adrian. »Wir haben ihn gefragt, aber…«

      »Schon gut«, sagte Mareike ruhig. »Bitte sagen Sie mir, wo ich ihn finde, Herr Doktor.«

      Adrian beschrieb ihr den Weg. Er hoffte, Esther werde zurückbleiben und ihm diese merkwürdige Geschichte erklären, aber das tat sie nicht.

      »Ich begleite Sie, Frau Sandberg«, sagte sie. »Wenigstens bis zur Tür!« Sie wandte sich den beiden Männern zu, die einigermaßen ratlos herumstanden. »Bis später, Adrian, ich ruf’ dich an. Tschüß, Bernd.« Dann nahm sie Mareike Sandbergs Arm und zog sie mit sich zu den Fahrstühlen.

      »Habe ich das jetzt eben wirklich erlebt?« erkundigte sich Bernd. »Oder habe ich das geträumt? Da stimmt doch etwas nicht, Adrian, oder?«

      »So muß man das wohl sehen«, antwortete Adrian. »Aber ich gehe jetzt trotzdem nach Hause. Die Lösung dieses Rätsels wird warten müssen, bis ich ein bißchen geschlafen habe.« Er setzte sich wieder in Bewegung.

      Bernd folgte ihm. Seine Stimme klang enttäuscht. »Schade! Findest du nicht auch, daß sie eine richtige Schönheit ist?«

      »Wer? Esther?« fragte Adrian, um ihn zu ärgern.

      »Esther sowieso«, antwortete Bernd unbeirrt. »Nein, diese Frau Sandberg. Blonde Haare und braune Augen…«

      »Ich denke, du bist in Moni verliebt?«

      Bernd blieb mit einem Ruck stehen. »Woher weißt du das?« fragte er entsetzt.

      Adrian packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. »Du hast es mir selbst erzählt, Bernd, als wir mal ein Bier zusammen getrunken haben, weißt du das etwa schon nicht mehr?«

      Bernd warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, denn daran konnte er sich in der Tat nicht mehr erinnern. Adrian hütete sich, ihm zu sagen, daß alle Bescheid wußten über seine Gefühle für Schwester Monika – auch diese selbst. Denn Bernd trug sein Herz auf der Zunge, aber ihm selbst war das wohl nicht bewußt.

      »Los jetzt, ab nach Hause. Wir reden morgen weiter über die schöne Frau Sandberg.«

      »Na gut«, sagte Bernd unzufrieden. »Bis morgen, Adrian.«

      *

      Robert Sandberg starrte Mareike an. »Was willst du hier?« fragte er.

      »Ich habe zufällig erfahren, daß du einen Schlaganfall hattest, Robert«, sagte sie und bemühte sich darum, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. Er hatte keine Macht mehr über sie, das sagte sie sich immer wieder vor.

      »Du hättest nicht extra herkommen müssen«, sagte er kalt.

      »Ich bin nicht deinetwegen hier«, erwiderte sie zu ihrer eigenen Überraschung. »Ich wollte jemand anders besuchen – und da bin ich Dr. Winter begegnet.«

      Er sah sie aufmerksam an. »Du hast mich verlassen«, sagte er. »Ohne Erklärung, bei Nacht und Nebel.«

      »Ja, Robert, das habe ich. Aber nicht ohne Erklärung. Du hast meine Erklärungen nur nie ernstgenommen. Wir beide können nicht glücklich sein zusammen.«

      »Glücklich!« Es klang verächtlich,