nicht mehr viel für den Patienten tun.
»Ich kann ihn gleich rüberbringen«, sagte Schwester Monika, als sie zurückkam.
»Gut, dann mach dich sofort auf den Weg«, bat Adrian. Sie halfen ihr, das Bett aus der Notfallkabine in Richtung Fahrstuhl zu schieben, und Monika rollte es eilig den Gang entlang.
»Und der war in einem Bordell?« fragte Bernd, als sich die Fahrstuhltüren hinter der Schwester und dem Patienten geschlossen hatten. »Ist der nicht mit einer wunderschönen blonden Frau verheiratet? Ich habe mal Bilder von den beiden in einer Zeitschrift gesehen. Wieso geht der denn ins Bordell, wenn er so eine Frau hat?«
»Keine Ahnung«, antwortete Adrian. »Interessiert mich auch nicht. Aber was immer er getan hat: Es war nicht gut für ihn.«
»Arme Frau«, sagte Bernd nachdenklich. »Stell dir mal vor, du hörst, daß dein Mann im Krankenhaus ist – das ist schon mal ein Schock. Aber dann hörst du auch noch, wo er zusammengebrochen ist. Findest du nicht, daß das der totale Hammer ist?«
Adrian nickte müde. »Ja, das finde ich auch, Bernd. Aber vielleicht liebt sie ihn nicht, sondern hat ihn nur des Geldes wegen geheiratet. Dann wird sie eine solche Nachricht verkraften können, meinst du nicht auch?«
Bernd war erschüttert. »Du bist doch sonst nicht so zynisch«, sagte er. »Was ist denn auf einmal in dich gefahren?«
»Ich weiß es auch nicht«, antwortete Adrian traurig. »Es war gar nicht zynisch gemeint, Bernd. Aber manchmal fürchte ich, daß die Welt viel schlechter ist, als wir denken.«
»Du arbeitest zuviel, und das schlägt dir aufs Gemüt«, stellte Bernd fest. »Und dann noch dieser verflixte Nachtdienst! Der muß einen Menschen ja fertig machen!« Er sagte es mit einer Art grimmiger Genugtuung.
*
»Der Rest is’ für Sie, Frollein«, sagte der beleibte ältere Fahrgast und stieg erstaunlich behende aus dem Taxi.
»Danke schön«, erwiderte Mareike und verstaute das Geld sorgfältig in ihrer Tasche. Alter Geizkragen, dachte sie, versuchte aber gleichzeitig, sich nicht zu ärgern. Der Mann war nicht arm gewesen, das hatte sie sofort gesehen. Aber sein Trinkgeld war mehr als mickrig!
Sie hatte überhaupt, seit sie an einigen Tagen die Woche Taxi fuhr, feststellen können, daß die Leute mit dem meisten Geld die kleinsten Trinkgelder gaben.
Natürlich gab es Ausnahmen, aber die Regel war so. Sie fand es merkwürdig.
Für heute jedenfalls war sie fertig, und darüber war sie froh. Denn sie hatte für diesen Abend noch etwas ganz Besonderes vor: Sie würde zum Club fahren. Und sie würde sich nicht darum kümmern, was man hinter ihrem Rücken tuschelte. Sollten sie alle sagen, was sie wollten!
Als sie bei ihrer Tante Rosemarie gewesen war, hatte sie im Club angerufen und gebeten, daß jemand ihr Pferd bewegte. Sie würde, hatte sie erklärt, eine Zeitlang nicht kommen können. Aber das war jetzt vorbei, und wenn sie sich auch sonst keinerlei Luxus mehr leisten konnte: Das Reiten würde sie nicht aufgeben. Sie wußte jetzt, daß sie mit dem Taxifahren immerhin genug verdienen konnte, um für einige Zeit über die Runden zu kommen – alles andere mußte man abwarten.
Sie fuhr den Wagen zurück in die Zentrale, setzte sich in ihr eigenes Auto – das immerhin hatte sie klugerweise behalten – und machte sich auf den Weg. Ihre Vorfreude machte sie ganz kribbelig.
Aber sie kam gar nicht bis zum Club, denn als sie an Langhammers Bauernhof vorbeifuhr, auf dem Esther Berger ihre Stute Luna untergebracht hatte, sah sie, daß die junge Ärztin gerade dabei war, ihr Pferd zu satteln. Sie hupte ganz kurz, um das Pferd nicht zu erschrecken, und hielt an.
»Frau Berger!« rief sie, und Esther drehte sich erstaunt um.
»Meine Güte, Frau Sandberg, Sie schickt mir ja der Himmel über den Weg. Ich habe schon bei Ihnen zu Hause angerufen, leider vergeblich.«
Mareike stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und lief auf Esther zu. »Sie haben versucht, mich anzurufen?« fragte sie verwundert. »Einfach nur so – oder gab es einen Grund?«
»Na, hören Sie mal! Sie verschwinden spurlos, und da fragen Sie noch?« Esther sah Mareike neugierig an. Sie wirkte völlig verändert, fand sie, und das lag nicht allein an der ungewöhnlichen Kleidung.
Mareike bemerkte ihren Blick und sagte verlegen: »Bei mir hat sich einiges geändert, aber das wissen Sie dann ja schon. Haben Sie mit meinem… mit meinem Mann gesprochen?«
»So kann man das nicht ausdrücken«, antwortete Esther trocken.
»Er wollte wissen, was ich von Ihnen will, und das wollte ich ihm nicht sagen. Daraufhin hat er das Gespräch vorzeitig beendet. Ich weiß also gar nicht – was immer sich bei Ihnen geändert haben mag.«
Eine leichte Röte stieg in Mareikes Gesicht. »Wir haben uns getrennt«, sagte sie. »Ich wohne dort nicht mehr. Aber bitte, Frau Dr. Berger, ich möchte nicht, daß sich das jetzt schon herumspricht. Wenn es soweit ist, wird es sicher noch schlimm genug werden. Ich war bei einer Tante auf dem Land, um überhaupt erst einmal zu mir zu kommen und mir darüber klarzuwerden, was ich will und was nicht.«
»Ach, so ist das«, sagte Esther, die allmählich die Zusammenhänge begriff. Das erklärte natürlich auch die überaus ausgelassenen Party-Geräusche, die sie im Hause Sandberg im Hintergrund gehört hatte. Robert Sandberg schien den Weggang seiner Frau nicht besonders zu bedauern, aber sie hatte schon oft sehr unschöne Gerüchte über ihn gehört. Bisher allerdings hatte sie ihnen keine Bedeutung beigemessen. Doch wenn etwas Wahres an dem war, was man über den reichen Industriellen munkelte, dann hatte seine junge Frau sicher eine kluge Entscheidung getroffen.
»Und weshalb wollten Sie mich nun wirklich sprechen?« fragte Mareike.
»Nun, einmal tatsächlich, weil Sie auf einmal wie vom Erdboden verschwunden waren. Und dann, um Sie zu fragen, ob Sie von John Tanners schwerem Unfall gehört haben?«
Mareike wurde schneebleich. »Unfall? Herr Tanner hatte einen Unfall? Was denn für einen Unfall?«
Esther erzählte ihr in wenigen Sätzen, was sich ereignet hatte, und Mareike Sandbergs Gefühle für John Tanner ließen sich deutlich an ihren Reaktionen ablesen.
»Das ist ja schrecklich«, flüsterte sie, als Esther ihren Bericht beendet hatte. »Und in welcher Klinik liegt er?«
»In der Kurfürsten-Klinik.«
»Ich muß ihn sofort besuchen«, sagte Mareike. »Wenn ich bedenke, wie lange er schon dort ist, und ich habe überhaupt nichts davon gewußt…«
Sie merkte plötzlich, wie verräterisch ihre Reaktion war und versuchte zu retten, was zu retten war. »Ich meine, wir sind immerhin öfter zusammen ausgeritten. Nicht, daß wir uns besonders gut kennen, aber man nimmt doch Anteil…«
Sie brach ab, es war aussichtslos. Ein Blick in Esther Bergers Augen sagte ihr außerdem, daß sie sich nicht zu bemühen brauchte. Die junge Ärztin wußte längst Bescheid über ihre Gefühle für John Tanner.
Esther beschrieb ihr genau, wo sie John finden würde. Mareike bedankte sich, stieg wieder in ihr Auto, wendete und fuhr zurück.
Esther sah ihr lange nach. Sie hoffte, daß diese beiden Menschen, die sie sehr gern hatte, obwohl sie sie kaum kannte, endlich zueinander finden würden.
*
Dieser Tag war bisher der schlimmste, fand John. Er hatte wieder einmal nichts gespürt, als einer der Ärzte ihm über den Unterschenkel gestrichen hatte. Seine Beine erschienen ihm vollkommen nutzlos, sie hingen einfach an seinem Körper, aber er konnte sie nicht mehr gebrauchen. Und wenn er seine Beine nicht mehr gebrauchen konnte, dann war sein Leben nichts mehr wert!
Sicher, er hatte sich die ganze Zeit über keine Hoffnungen gemacht, zumindest hatte er sich das eingebildet. Aber sein verrücktes Herz hielt sich nicht an die Regeln, die der Kopf aufstellte. Es war jedesmal enttäuscht, wenn sich wieder einmal herausgestellt hatte, daß sein Zustand