Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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noch einmal in aller Ruhe anschneiden. Dann würde er sich in dieser Frage ohne jeden Zweifel durchsetzen.

      Er legte nun einmal keinen Wert auf das Zusammenleben mit einem Kind. Aus Kindern hatte er sich noch nie etwas gemacht, nach seiner Erfahrung waren sie störend und lästig. Sie wurden immer gerade dann krank, wenn man selbst im Stress war, sie tauchten genau in jenen Augenblicken auf, in denen man sie nicht gebrauchen konnte, und wenn sie älter wurden, stellten sie Ansprüche, die man gefälligst zu erfüllen hatte. Nein, nein, das Kapitel Kinder in seinem Leben war abgeschlossen. Endgültig.

      Er hatte Gabriele noch gar nicht erzählt, daß er, genau wie sie, bereits verheiratet gewesen war und zwei Söhne hatte. Mit seiner Ex-Familie hatte er keinen Kontakt mehr, und dieser fehlte ihm auch nicht. Er hatte ganz bestimmt nicht die Absicht, seine bisherigen schlechten Erfahrungen jetzt noch einmal zu machen.

      Aber Florian war ein Hindernis, das ihm im Weg stand, und er war entschlossen, dieses Hindernis zu überwinden. Er mußte die Zuneigung des Jungen gewinnen und ihn dann elegant loswerden. Das würde er schon schaffen, davon war er überzeugt.

      Er klingelte, und gleich darauf stand er Florian gegenüber. »Ist deine Mama nicht da, Flo?« fragte er. »Wir sind verabredet.«

      »Weiß ich«, antwortete Florian. Er haßte es, wenn Rainer ihn ›Flo‹ nannte, das durften nur Leute, die er gern hatte, und Rainer hatte er ganz bestimmt nicht gern. »Mama kauft noch was ein, sie will kochen, hat sie gesagt.«

      Er schlurfte zurück in die Wohnung. Rainer blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Die Gelegenheit erschien ihm günstig, das Kind endlich von seinen Qualitäten zu überzeugen. Sie waren bisher noch nie allein gewesen. »Ich hab’ dir Schokolade mitgebracht, bitte schön«, sagte er.

      Florian nahm die Schokolade und warf einen gelangweilten Blick darauf. Dann sagte er: »Danke«, legte sie auf den Tisch, lümmelte sich wieder auf das Sofa und sah weiter fern.

      Rainer biß sich auf die Lippen. »Ich dachte, wir könnten vielleicht zusammen schwimmen gehen«, sagte er.

      Immerhin wandte der Junge mit einem Anflug von Interesse den Kopf. »Heute?«

      »Heute oder ein andermal.«

      »Heute nicht, da kocht Mama!« Florian verfolgte erneut, scheinbar voller Aufmerksamkeit, das Fernsehprogramm.

      »Dann eben ein andermal!« Rainer verlor allmählich die Geduld. Wer war er denn, daß er sich von diesem Bengel so behandeln ließ? Er wollte eben eine scharfe Bemerkung über unhöfliche Kinder machen, die sich auch durch Gäste nicht vom Fernsehen abhalten ließen, als die Wohnungstür geöffnet wurde.

      Aufatmend ging er Gabriele entgegen, nahm sie in den Arm und küßte sie. »Hallo, mein Schatz, schön, daß du kommst.«

      »Du bist schon da?« fragte sie erstaunt. »So früh hatte ich noch gar nicht mit dir gerechnet, Rainer.«

      »Aber du freust dich hoffentlich?«

      »Sicher!« antwortete sie und warf einen forschenden Blick auf das verschlossene Gesicht ihres Sohnes. »Was ist los? Habt ihr euch gestritten?«

      »Aber nein«, versicherte Rainer. »Wir haben beschlossen, demnächst zusammen schwimmen zu gehen.«

      »Wirklich?« Das wunderte sie, aber Florian widersprach nicht, also schien es wahr zu sein. »Na dann«, sagte sie mit gespielter Munterkeit, »werde ich mich mal gleich ans Kochen machen. Hilft mir jemand?«

      »Wir helfen dir beide, nicht, Flo?« sagte Rainer und zwinkerte dem Jungen zu.

      »Nö«, sagte Florian. »Geht ihr ruhig in die Küche, ich guck’ noch den Film zu Ende.«

      »Auch gut«, flüsterte Rainer Gabriele zu. »Dann kann ich dich endlich richtig küssen, ohne daß uns jemand dabei zusieht.«

      Sie verschwanden in der Küche, und Florian hörte seine Mutter leise kichern. Er biß sich auf die Unterlippe, bis sie blutete, aber das merkte er gar nicht. Mit bösem Gesicht starrte er weiterhin auf den Fernsehschirm.

      *

      »Was ist denn hier los?« fragte Adrian, als er in den Warteraum kam. »Wo kommen Sie denn her?« fragte er einen der jungen Männer, die Betten und Wagen mit Verbandszeug hereinschoben.

      »Herr Laufenberg hat uns hierhergeschickt. Er hat gesagt, Sie brauchen Hilfe.«

      In diesem Augenblick kam der Verwaltungsdirektor selbst herein und sagte knapp: »Stellen Sie die Betten da drüben an der Wand in einer Reihe auf. Guten Tag, Dr. Winter. Sie hatten ja um unsere Hilfe gebeten, nicht wahr? Kann ich was tun?« Er hatte sein Jackett offenbar im Büro gelassen, seine Hemdsärmel waren aufgekrempelt, und er sah den Notaufnahmechef fragend an.

      »Ja, das können Sie«, antwortete Adrian. »Wir brauchen jemanden, der das Ganze hier dirigiert und die Übersicht behält. Können Sie das machen? Ich muß dringend nach oben und operieren, die brechen da zusammen.«

      »In Ordnung«, sagte Thomas Laufenberg. »Gehen Sie, im Organisieren bin ich ganz gut.«

      Adrian wollte noch etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Er drehte sich um und rannte im Eilschritt zu den Aufzügen. Im Laufen rief er Julia Martensen zu: »Ich operiere oben, Julia!«

      »Ja, aber wie soll das denn hier…«

      Der Fahrstuhl verschluckte Adrian Winter, und so hörte sie seine Antwort nicht mehr.

      »Frau Dr. Martensen?«

      Erstaunt drehte sie sich um. »Ja, bitte?«

      »Ich bin Thomas Laufenberg. Kümmern Sie sich bitte weiterhin um die Verletzten, ich werde versuchen, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen, damit Sie besser arbeiten können. Wir funktionieren gerade den Warteraum um.«

      Sie starrte ihn sprachlos an, dann rief von irgendwoher Bernd Schäfer: »Julia, komm bitte sofort, ich brauch’ dich hier!« Und sie rannte los.

      Thomas Laufenberg aber fing sofort an zu organisieren. Er beauftragte seine Helfer zunächst einmal damit festzustellen, wer ganz dringend behandelt werden mußte und wer noch warten konnte. So bildete sich allmählich eine gewisse Ordnung heraus, in welcher Reihenfolge die Patienten behandelt werden sollten.

      Als nächstes sorgte er dafür, daß Schwerverletzte hingelegt werden konnten und nicht länger auf dem Boden sitzen mußten, während sie auf ihre Behandlung warteten. Außerdem ermittelte er, wieviel Platz die Stationen noch hatten, um weitere Patienten aufzunehmen.

      Er rannte rastlos hin und her. Fast unmerklich legte sich nach einiger Zeit die Aufregung. Die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik war zwar immer noch überfüllt, aber es kehrte innerhalb des Chaos eine gewisse Ordnung ein.

      *

      Sie wollten gerade anfangen zu essen, als das Telefon klingelte. »Geh doch einfach nicht ran!« sagte Rainer. »Komm, wir lassen uns jetzt von niemandem mehr stören!« Er versuchte, sie in den Arm zu nehmen, aber Gabriele entwand sich ihm und nahm den Hörer ab.

      Sie meldete sich, danach sagte sie eine Weile nichts mehr, sondern hörte nur noch schweigend zu. »Ja, natürlich«, sagte sie schließlich. »Nein, es ist wirklich kein Problem. Ich komme sofort.«

      Rainer zog die Stirn unwillig in Falten. »Du willst doch jetzt nicht etwa weggehen?«

      Und auch Florian jammerte: »Wir wollen doch essen, Mama!«

      »Ich will nicht gehen, ich muß«, erklärte Gabriele mit

      fester Stimme. »Es hat ein schreckliches Brandunglück gegeben – irgendeine Gasleitung ist explodiert, und mehrere Häuser sind in Flammen aufgegangen. Die Krankenhäuser sind überfüllt, unsere Notaufnahme bricht fast zusammen. Sie brauchen Chirurgen, weil die Leute aus den Fenstern gesprungen sind, um sich vor den Flammen zu retten. Sie haben sich sämtliche Knochen gebrochen.«

      Florian hatte mit großen Augen zugehört. »Kann ich mit?« fragte er sofort.

      »Flo, natürlich