Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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»Das ist Fisch?«

      »Fisch-Creme – was ganz Leckeres«, antwortete Adrian. »Ich kenne mich da aus. Das gibt es nur zu ganz besonderen Gelegenheiten, du kannst dir etwas darauf einbilden.« Frau Senftleben und er wechselten einen amüsierten Blick.

      Sie nahmen Platz, und einige Minuten lang war außer ›mhm‹ und ›lecker‹ nichts zu hören. Dann fragte Frau Senftleben: »Und, Adrian? Wie war Ihr Gespräch mit dem neuen Verwaltungsdirektor?«

      »Ach, das war heute?« fragte Esther interessiert. »Erzähl, Adrian!«

      »Bürokratenheini!« murmelte Adrian mißmutig. »Es verdirbt mir garantiert den Appetit, wenn ich jetzt über den reden muß!«

      »So schlimm ist er?« fragte Frau Senftleben. »Aber es muß sich doch einmal etwas ändern an Ihrer Klinik! Ich kann schließlich gut beurteilen, wie viele Überstunden Sie immer machen müssen.« Sie machte ein kampflustiges Gesicht. »Wenn es Ihnen hilft, kann ich ja mal mit dem Mann sprechen.«

      »Bloß nicht, Frau Senftleben«, wehrte Adrian erschrocken ab. Er wußte, daß sie dazu imstande gewesen wäre, wenn er sie nur ermuntert hätte. »Ich werde schon mit ihm fertig. Irgendwann bekommen wir mehr Personal, das garantiere ich Ihnen.«

      »Irgendwann, irgendwann!« wiederholte Frau Senftleben grimmig. »Aber bis dahin schuften Sie sich zu Tode!«

      »Sie sorgen schon dafür, daß es nicht soweit kommt, Frau Senftleben.« Er lächelte sie entwaffnend an. »Dumm ist er nicht, der Herr Laufenberg, das muß man ihm lassen. Er hat mir erzählt, daß er die gleichen Interessen hat wie wir, daß das nur leider immer alle vergessen.«

      »Ha!« rief Frau Senftleben und schob ihr Kinn ein wenig vor. »Das wüßte ich aber, wenn Ihre Verwaltung die gleichen Interessen hätte wie Sie.«

      »Er hat es jedenfalls behauptet. Er hat gesagt, wenn die Klinik nicht kostendeckend arbeitet, ist das für ihn genauso schlecht wie für alle anderen.«

      »Womit er recht hat«, stellte Esther trocken fest. »Nur hilft dir das erst einmal nicht weiter.«

      »Eben!« sagte Frau Senftleben.

      »Themawechsel!« bat Adrian. »Das Essen ist zu köstlich, um es sich mit Gesprächen über bürokratische Verwaltungsdirektoren zu verderben. Ich krieg’ den Kerl schon klein, Frau Senftleben, das verspreche ich Ihnen.«

      »Na gut!« erwiderte seine Nachbarin und erhob ihr Glas. »Ich freue mich sehr, daß Sie beide heute meine Gäste sind. Zum Wohl!«

      »Zum Wohl!« sagten Esther und Adrian wie aus einem Munde. Und dann wurde es noch ein langer und sehr anregender Abend.

      *

      »Was ist los, Flo?« fragte Gabriele, als ihr Sohn beim Frühstück noch länger trödelte als sonst. »Keine Lust auf Schule? Oder ist sonst etwas nicht in Ordnung?«

      »Alles im grünen Bereich, Mama! Ich hab’ noch Zeit genug.«

      »Hast du nicht! Los, komm in die Gänge, mein Freund. Du willst doch, daß ich dich mitnehme, oder?«

      »Mhm.« Er stand auf und verschwand in seinem Zimmer, während sie eilig Milch, Butter und Marmelade zurück in den Kühlschrank stellte.

      »Mama?«

      »Ja?«

      »Kommt Rainer heute abend?«

      Das war es also! »Nein«, sagte sie. »Wir sind nicht verabredet. Warum fragst du? Hast du etwas Besonderes vor?«

      »Nö, ich wollte bloß Bescheid wissen.«

      »Jetzt weißt du’s. Bist du endlich fertig?«

      »Ja!« Er kam aus seinem Zimmer und schien tatsächlich vollständig angezogen zu sein, und seine Tasche für die Schule hatte er bereits auf dem Rücken.

      »Dann komm!«

      Zwei Minuten später saßen sie im Auto. »Wirst du Rainer heiraten?« fragte Florian.

      Der gespannte Unterton in seiner Stimme entging ihr nicht.

      »Wie kommst du auf einmal darauf?« fragte sie. »Ich weiß es nicht, wir haben bisher nicht übers Heiraten gesprochen.«

      »Dann wäre er mein neuer Papa, oder nicht?«

      »Wenn wir heiraten würden, ja. Aber wie gesagt, darüber haben wir noch nicht gesprochen.«

      »Ich glaube, er will dich heiraten. Aber mich will er nicht als Kind«, sagte Florian.

      »Flo, wie kommst du denn darauf?« fragte sie erschrocken. Er hatte recht, genau das war auch ihr Gefühl, und das erschreckte sie nur noch mehr.

      Er zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster, dabei machte er ein gleichgültiges Gesicht. Das war sein Trick, den sie nur allzu gut kannte. Aber dahinter verbargen sich Ängste und Kummer, das wußte sie.

      »Wir reden später noch einmal darüber ja?« sagte sie, als sie die Schule erreicht hatten. »Heiraten ist eine ernste Sache, das weißt du doch. Und ich möchte mich nicht gern ein zweites Mal scheiden lassen, also werde ich diesmal noch länger überlegen als damals bei deinem Papa.«

      Er nickte, öffnete die Wagentür und rannte los. Aber er blieb noch einmal stehen und drehte sich um. Sie winkte ihm zu, wendete und fuhr davon.

      Ich muß eine Entscheidung fällen, dachte sie. Je eher, desto besser. Aber Rainer konnte eben wirlich so schrecklich lieb und zärtlich sein…

      *

      In der Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik herrschte das blanke Chaos – und nicht nur dort. Es hatte einen Großbrand im Berliner Norden gegeben, und sämtliche Krankenhäuser der Stadt hatten Brandopfer und Verletzte aufnehmen müssen. Viele Leute waren aus den Fenstern der brennenden Gebäude gesprungen und hatten lieber Knochenbrüche riskiert, als ein Opfer der Flammen zu werden. Es hatte auch Tote gegeben, über die genaue Zahl wußte zur Stunde jedoch noch niemand etwas.

      »Adrian, bitte komm zuerst hierher!« rief Schwester Monika. »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll…«

      Er hastete hinter ihr her und half ihr, einer verzweifelt nach Luft ringenden Frau eine Sauerstoffmaske aufzusetzen und ihre entsetzlichen Brandwunden wenigstens notdürftig zu versorgen.

      Sie hatten nicht genug Platz und viel zu wenig Personal, um die leidenden Menschen fachgerecht zu versorgen, und er konnte nur hoffen, daß der Patientenstrom endlich nachließ. Bisher aber kamen immer noch Sanitäter, die weitere Opfer brachten.

      Auf der Intensivstation und in den Operationssälen herrschte ebenfalls Alarmstimmung, denn die Kapazitäten der Klinik waren längst erschöpft. Jetzt ging es nur noch um Krisenmanagement und darum, in dieser Situation nicht völlig die Übersicht zu verlieren.

      Adrian rief in der Verwaltung an. »Sagen Sie Ihrem neuen Direktor, er soll gefälligst in die Notaufnahme kommen und sich ansehen, was hier los ist!« schrie er ins Telefon. »Und am besten bringt er gleich ein Dutzend Helfer und Verbandszeug und Decken mit! Was passiert ist? Sitzen Sie auf Ihren Ohren? Hören Sie keine Nachrichten? Ein Großbrand – das ist passiert!«

      Er knallte den Hörer auf und rannte zurück in eine der Notfallkabinen, die sich an diesem schrecklichen Tag mehrere Patienten teilen mußten.

      »Adrian?« Das war seine Kollegin, die Internistin Julia Martensen. »Wir können nicht mehr Leute aufnehmen, wir können sie einfach nicht mehr richtig versorgen…«

      »Ich weiß. Macht trotzdem weiter, Julia, es ist das einzige, was wir tun können…« Sie nickte und lief weiter.

      Am liebsten hätte er vor Verzweiflung geweint. Er war Arzt, er konnte helfen – aber doch nicht so! Sie waren zu wenige, viel zu wenige, um eine Katastrophe solchen Ausmaßes zu bewältigen!

      *

      Rainer Wollhausen hatte lange nachgedacht und war zu einem Entschluß gekommen. Wenn der Weg zu Gabrieles Herzen nur über ihren Sohn führte,