habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Wenn er jetzt unfruchtbar bleiben sollte…«
Konrad griff nach ihrer Hand, und sie entzog sie ihm nicht. »Wenn, wenn… Das hilft Ihnen doch nicht weiter. Sie hatten gute Gründe, gegen eine Operation zu sein. Florian ist wirklich sehr zart, und als er noch jünger war, war er das ja sicher noch viel mehr. Es ist also richtig, sich das gut zu überlegen, ob man einen noch ziemlich kleinen Jungen einer solchen Operation aussetzt.«
»Danke«, sagte sie und drückte seine Hand. »Ich weiß gar nicht, was ich in den letzten Wochen ohne Sie getan hätte.«
Er ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: »Ich denke, daß die Operation für Florian noch rechtzeitig kommt und daß Sie sich keine weiteren Sorgen darüber machen sollten. Er ist doch jetzt schon ganz aufgeregt, weil er in Zukunft nichts mehr verbergen muß. Er hat sich ja richtig auf die Operation gefreut.«
Nun lächelte sie. »Das stimmt allerdings. Seit Tagen hat er über nichts anderes mehr geredet, er konnte es gar nicht erwarten, bis es endlich soweit war.«
Noch immer hielt er ihre Hand in seiner, es fiel ihnen gleichzeitig auf. Instinktiv wollte sie ihre Hand zurückziehen, aber er hielt sie fest. »Nicht«, sagte er leise. »Ich träume schon lange davon, deine Hand zu halten.«
Sie lächelte. »Nur davon?« fragte sie.
Er zog ihre Hand an seinen Mund und küßte sie. »Davon auch«, antwortete er. Dann beugte er sich zu ihr und küßte ihre Wange. »Und davon.« Nun zögerte er einen winzigen Augenblick, aber als sie sich nicht rührte und auch nicht zurückwich, küßte er sehr zärtlich und behutsam ihren Mund. »Davon ganz besonders«, murmelte er.
»Ich auch«, flüsterte sie. »Obwohl der Zeitpunkt äußerst unpassend ist, findest du nicht?«
»Überhaupt nicht!« behauptete er, und dann mußte er sie gleich noch einmal küssen.
*
»Fertig!« sagte Adrian müde, aber zufrieden. »Von nun an wird niemand mehr den jungen Mann hänseln.«
»Wieso hat Frau Plessenstein die Operation nicht früher machen lassen?« fragte Bernd Schäfer, als sie den OP verließen. »Dazu rät man doch heute, oder?«
Adrian nickte. »Ja, früher gab es die Lehrmeinung, daß man ruhig bis zur Pubertät warten soll, ob sich die Hoden von selbst noch bewegen. Doch das gilt heute nicht mehr. Ich denke, Frau Plessenstein hatte Angst um ihren Sohn. Sie wollte eine Operation möglichst vermeiden. Aber für den Jungen ist es gut, daß er jetzt endlich genauso ist wie die anderen.«
»Das glaube ich auch«, sagte Bernd. »Stell dir mal vor, was für ein Streß das ist, wenn du ständig etwas verbergen mußt.«
»Bisher wird es noch nicht so schlimm gewesen sein«, meinte Adrian. »Der größte Streß kommt erst, wenn die Geschlechtsorgane plötzlich das Wichtigste im Leben werden. Aber damit hat Florian ja noch ein bißchen Zeit.«
Sie lachten, zogen ihre OP-Kleidung aus und traten auf den Gang hinaus. Nach wenigen Schritten blieb Bernd wie angewurzelt stehen. Adrian sah ihn fragend an, dann folgte er dem Blick seines Kollegen.
Er mußte sich ein Lächeln verkneifen. Vor ihnen im Warteraum saßen Gabriele Plessenstein und Konrad Eder Hand in Hand, und die Art, wie sie einander ansahen, sprach Bände. Er freute sich für Konrad – und auch für Gabriele, die er in den letzten Wochen schätzen gelernt hatte.
»Ich fürchte, Bernd, es wird nichts mit dir und Frau Plessenstein«, murmelte er.
Bernd nickte trübsinnig. Dann jedoch straffte er sich und sagte tapfer: »Das macht nichts. Es gibt ja auch noch andere schöne Frauen.«
»Bravo«, sagte Adrian. Dann hatten sie Gabriele und Konrad erreicht.
Gabriele sprang sofort auf. »Und?« fragte sie und suchte ängstlich in Adrians Gesicht nach irgendeinem Anzeichen von Beunruhigung.
Er lächelte. »Alles in Ordnung, Frau Plessenstein. Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen!«
Sie stand ganz ruhig da, während ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Vielen Dank, Herr Winter«, sagte sie leise. »Wenn Sie wüßten, was das für Flo und mich bedeutet.«
»Ich glaube, ich kann es mir vorstellen«, erwiderte Adrian. Dann verabschiedeten sie sich voneinander, wobei er es schaffte, Konrad leise ins Ohr zu flüstern: »Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke«, flüsterte Konrad zurück.
»Was tuschelt ihr da?« fragte Gabriele.
Konrad zog sie an sich, küßte sie und sagte lächelnd: »Adrian hat mir gratuliert.«
»Wozu?« erkundigte sich Bernd Schäfer.
»Wir werden heiraten«, erklärte Konrad schlicht. »Nur Florians Segen fehlt uns noch.«
Adrian fing an zu lachen. »Nach allem, was ich so gehört habe, hast du ganz gute Chancen«, meinte er. »Der Junge hat dich längst ins Herz geschlossen.«
»Bei seiner Mutter hat es etwas länger gedauert«, sagte Konrad. »Aber ich kann sehr ausdauernd sein.«
Nun lachten sie alle, selbst Bernd Schäfer stimmte mit ein. Eigentlich, dachte er, wäre Frau Plessenstein sowieso nicht die richtige Frau für ihn gewesen…
*
Frau Senftleben stand an der Tür, als Adrian nach Hause kam. »Und?« fragte sie gespannt. »Ist die Operation gelungen?«
»Jawohl«, antwortete er, »und nicht nur das. Mein Kollege Konrad Eder und die Mutter werden heiraten. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber er hat sie wirklich nach allen Regeln der Kunst erobert.«
»Kommen Sie rein«, kommandierte Frau Senftleben. »Ich habe zur Feier des Tages eine Flasche Champagner kalt gestellt.«
»Frau Senftleben, Frau Senftleben«, murmelte Adrian und folgte ihr in die Küche. »Das ist aber doch nicht der Champagner, der hier so duftet, oder?«
»Oh«, sagte sie mit unschuldigem Gesicht. »Wenn Sie natürlich Hunger haben, können wir auch noch eine Kleinigkeit essen. Zufällig…«
»… haben Sie gerade eines meiner Lieblingsgerichte gekocht.«
»Woher wissen Sie das?« fragte Frau Senftleben aufrichtig überrascht.
»Manchmal habe ich gewisse Eingebungen«, antwortete Adrian bescheiden und machte sich fachmännisch daran, die Champagnerflasche zu entkorken, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
Dr. Adrian Winter hob die Hand und winkte dem hochgewachsenen Mann zu, der eben den Zollbereich des Flughafens passiert hatte. Sekunden später begrüßten sich die beiden alten Freunde lebhaft und lautstark.
»Schön, dich wieder in Berlin zu haben«, sagte Adrian Winter. »Wie war der Flug?«
Markus Reinhard grinste. »Weißt du’s nicht mehr – ich kann auf Kommando einschlafen. Auch im Flieger. Also ist mir die Reise von Los Angeles bis hier nicht lang geworden.«
»Beneidenswert. Also denn… nehmen wir erst mal einen Begrüßungsschluck bei mir zu Hause.«
Dr. Reinhardt, dessen dunkelblonden Haare kurz geschnitten waren, nickte. »Auf ein deutsches Bier freu ich mich schon lange. Aber jetzt erzähl mal: Was gibt’s Neues bei dir? Als wir telefonierten, war für private Dinge ja kaum Zeit.«
Adrian Winter nickte. Er kannte Markus seit den Studientagen und wußte, welch hervorragender Chirurg er war. Als jetzt eine Stelle in der Kurfürsten-Klinik frei geworden war, hatte er spontan bei Markus angerufen und ihn gefragt, ob er nicht in die Heimat zurückkehren wolle.
Wenn ihre gemeinsame Studienzeit auch schon eine Weile zurücklag, so