richteten unser Lager ein, sprachen über Andreas und suchten zum wiederholten Male nach einer Erklärung für sein geheimnisvolles Verschwinden. Trotz unserer Müdigkeit wurde es eine lange unruhige Nacht. Wir analysierten wiederholt die Vorkommnisse, ohne eine logische Erklärung zu finden. Dann studierten wir die mitgebrachte Wehrmachtskarte und suchten einen geeigneten Weg zur jugoslawischen Grenze, erwogen aber auch, falls notwendig, die Flucht über Ungarn nach Österreich. Ich optierte für eine Flucht über Ungarn, weil ich der Meinung war, dass es für uns der Sprache wegen einfacher gewesen wäre als über Jugoslawien. Ich sprach fließend Ungarisch und auch Fredi beherrschte die Sprache sehr gut, Serbisch hingegen konnte keiner von uns. Was einen eventuellen längeren Aufenthalt in der „Wildnis“ betraf, machten wir uns erst jetzt Gedanken über die fehlende Kleidung und sonstige Ausrüstung. Zu Mittag aßen wir nur sparsam von dem mitgebrachten Essen, in der Hoffnung, dass mein Vater Nachschub zu unserem geplanten Treffen bringen würde. Schon gegen 15 Uhr fuhren wir los, wissend, dass wir auf dem Weg zum Treffpunkt Umwege würden in Kauf nehmen müssen. Die Bega überquerten wir bei Ghiroda erst, nachdem wir die Umgebung der Brücke längere Zeit beobachtet hatten und sahen, dass man sie unbehelligt passieren konnte. Als wir auf meine Eltern trafen und sie Fredi erblickten, waren sie sehr überrascht, denn sie wussten noch nicht, dass wir uns zusammen auf der Flucht befanden. Sie waren auf getrennten Wegen, meine Mutter auf einem Ufer und mein Vater auf dem anderen, bis Ghiroda gefahren. Erst von dort fuhren sie gemeinsam bis zum Treffpunkt. Wir erfuhren, dass Andreas’ Mutter mich schon am Vortag gesucht hatte. Sie war wegen Andreas, der sich bis dahin noch immer nicht gemeldet hatte, sehr besorgt. Meine Mutter sagte ihr, ich wäre nicht daheim, ohne ihr aber zu erklären, dass ich mich abgesetzt hatte. Andreas’ Mutter wollte noch einen Tag zuwarten und anschließend Vermisstenanzeige bei der Miliz (Polizei) erstatten. Meine Eltern wussten jetzt natürlich, dass es zwischen dem Verschwinden von Andreas, Fredis Anwesenheit und meinem Absetzen einen Zusammenhang geben musste. Erneut versuchte meine Mutter, von mir zu erfahren, was wir denn angestellt hätten, ob es denn wirklich so schlimm sei? Das einzige, was ich ihr zur Beruhigung sagen konnte, war, dass wir niemanden totgeschlagen oder ermordet hatten. „Es geht um Politik, mehr kann ich euch jetzt nicht sagen.“
Mein Vater konnte uns von keiner verdächtigen Beobachtung berichten, was zwar beruhigend war, bezüglich des spurlosen Verschwindens von Andreas aber auch nicht weiterhalf. Meine Mutter fragte ich, ob sie die Bücher, Zeitschriften und sonstigen Papiere, die ich ihr zu Vernichtung übergeben hatte, auch verbrannt habe. Sie bejahte, meinte aber, ein Buch – es war das Liederbuch des BDM – sei noch hier und sie sei eben dabei gewesen, es zu verbrennen. Ich riss einige Blätter vom Anfang des Buches heraus und steckte sie ein, den Rest gab ich ihr zum Vernichten. In der nachfolgenden Hektik vergaß ich die Blätter in meiner Tasche. Dann machten wir uns daran, dass von meiner Mutter mitgebrachte Essen zu „vertilgen“. Obwohl Fredi gar nicht einberechnet worden war, war genug da. Für lange Zeit sollte es zum letzten Mal sein, dass wir so gut speisen konnten. Beim Abschied versprachen meine Eltern, auch am kommenden Tag mit Proviant und hoffentlich mit guten Nachrichten zu kommen. Meinem Vater, welcher sich an der Temesch gut auskannte, erklärte ich, wo wir ungefähr lagerten.
Nach 20 Uhr fuhren wir wieder nach Temeschburg, diesmal in Richtung Elisabethstadt. Aus Gründen der Sicherheit hatten wir den größten Teil unserer Ausrüstung, die Landkarten, den Kompass und die von Franzi geliehene FN-Pistole im Versteck zurückgelassen. Unsere Fahrt war wegen der Umwege, die wir bei den Druschplätzen machen mussten, beschwerlich und zeitraubend. Unser erstes Ziel war Harry. Es war 21 Uhr vorbei. Unter den großen Bäumen, die an diesem Platz standen, war es sehr dunkel. So näherten wir uns vorsichtig dem Haus, welches still und unbeleuchtet dalag. Wir warteten eine Weile, und erst als ich Harrys Onkel Willy im Hof hörte, er hustete und ging anscheinend wieder in seine Wohnung, wagte ich mich ans Tor und klingelte. Es geschah nichts. Also war weder Harry noch seine Mutter daheim. Jetzt war guter Rat teuer.
Wir fuhren über den Lahovary-Platz (Nicolae Bălcescu) Richtung Fredis Elternhaus. Unweit der Ecke der Vadul-Călugăreni-Straße, wo Fredi wohnte, sahen wir eine auffallende Gruppe junger Männer, die alle eine gleichfarbige Arbeitskleidung trugen. Sie waren gerade dabei, in einen bereitstehenden Lkw zu steigen. Das war schon seltsam, und wir wussten uns keinen Reim darauf zu machen. Jedenfalls wollten wir nicht direkt zum Haus Prack gehen, sondern fuhren bis zur ersten Parallelgasse zurück. Die Gruppe der vermeintlichen Arbeiter, die wir zuvor gesehen hatten, war anscheinend mit dem Lkw abgefahren. Trotzdem meinte Fredi, es sei etwas in seinem Viertel nicht wie gewohnt, man höre fremde, ungewohnte Geräusche. In der von uns anvisierten Straße, damals noch ohne Namen, später hieß sie Strada-Ulpia-Traiana, gab es damals auf der rechten Seite nur zwei Häuser, und es folgte eine mit Mais bebaute Fläche, die bis hinüber in die Vadul-Călugăreni-Straße reichte. In dieser Jahreszeit war der Mais hoch und sehr dicht gewachsen, also schlug Fredi vor, durch dieses Maisfeld zu gehen, um von dort die Straße und sein Haus zu beobachten. Wir ließen unsere Räder am Rand des Maisfeldes und durchquerten dieses ganz vorsichtig, um das Rascheln der Maisblätter möglichst zu vermeiden. Es war kurz nach 22 Uhr, als wir das Ende des Feldes genau dem Haus gegenüber erreichten. Von drüben hörte man keinen Laut, es brannte auch kein Licht.
Der Unsicherheit überdrüssig beschloss ich, zum Haus zu gehen. Fredi, der sich vor einem Zusammentreffen mit seinem Vater scheute, wollte zurückbleiben. Ich bat ihn, zu beobachten und – sollte mir etwas zustoßen – nach eigenem Ermessen zu handeln. Ich durchquerte erneut das Feld, nahm mein Rad und fuhr los. Kurz vor dem Haus stieg ich ab und ging zu Fuß bis zum Tor. Durch das dichte Gebüsch auf der Innenseite des Zaunes und wegen der Finsternis konnte ich im Vorgarten nichts erkennen. Vor dem Tor blieb ich stehen und griff nach dem Zugdraht der Glocke. Die Glocke erklang einmal.
Kapitel II: Bei der Securitate
Die Verhaftung
Die Pforte ging lautlos auf und ich erkannte zwei auf mich gerichtete Waffenläufe. Dann hörte ich die leise Aufforderung, einzutreten, und den berüchtigten Satz: „Esti arestat!“ (Du bist verhaftet) Ich wurde von rechts und links gepackt und fühlte zwei Waffenläufe in meinem Rücken. Flinke Hände tasteten mich ab und nahmen mir das Fahrrad weg. Danach führte man mich durch den Garten zur linken Ende des Hauses, wo eine Tür unmittelbar in ein Wohnzimmer mündete. Im Haus brannte gedämpftes Licht. Es kam von einer Tischlampe, die zur Straße hin mit einer Zeitung abgeblendet war, das schwache Licht im Zimmer war von der Straße her nicht zu sehen.
Beim Betreten des Raumes erkannte ich mit dem ersten Blick Harry in der linken Ecke der Stube auf einem Stuhl sitzend. Ich grüßte die Anwesenden und fragte, mit wem ich die Ehre hätte. Ein Mann, zivil gekleidet, der bei einem Tisch saß, antwortete: „Wir sind die Securitate.“ Worauf ich bemerkte: „Dann bin ich beruhigt.“ „Wieso?“, fragte er mich. „Ja, sie hätten auch Banditen sein können, so wie sie mich mit ihren Waffen bedroht haben.“ Mit einem verschmitzten Lächeln meinte er: „Iti arde de glume, dar o săţi treacă:“ (Du hast Lust, zu spaßen, aber es wird dir vergehen) Der andere, wahrscheinlich auch ein Offizier, sagte nichts und wies mich in die rechte Ecke des Zimmers, wo ebenfalls ein Stuhl stand. Die Häscher, die mich bis zur Haustür geleitet hatten, verschwanden wieder in der Dunkelheit. Sie hatten Arbeitskleider an, und ich erinnerte mich an die in Overalls gekleideten Arbeiter, die uns vor einer Stunde in der Porumbescu-Straße aufgefallen waren. Ich vermutete, dass es sich auch bei diesen um Leute der Securitate gehandelt hatte, nur deren große Zahl von 20 bis 30 Mann wunderte mich. Nun saßen wir da, Harry und ich, in einem Zimmer, konnten höchstens Blicke tauschen, und auch das ging wegen der stark abgeschirmten Lampe schlecht. Irgendwann fragte mich der eine Offizier nach Fredi. Ich antwortete, dass ich nichts von ihm wüsste und ich eigentlich hergekommen sei, um ihn zu treffen. Ob er mir diese Antwort abnahm oder nicht, war nicht zu erraten, jedenfalls fragte er mich nichts mehr. Natürlich dachte ich an Fredi und hoffte, dass er meine Gefangennahme gesehen und sich aus dem Staub gemacht hatte.
Es mag gegen Mitternacht gewesen sein, als einer der Offiziere den Aufbruch befahl. Uns wurden Handschellen angelegt, man führte uns einzeln aus dem Haus und wir mussten zusammen mit zwei Begleitern und dem Fahrer einen Jeep besteigen. Obwohl ich gefesselt war, hielt während der gesamten Fahrt einer der Offiziere