worauf dieser einen Treueeid zu leisten hatte. Damit wurde er Mitglied der Organisation und konnte mit seinen zukünftigen Gruppenkameraden bekannt gemacht werden. Es war ihm ab sofort gestattet, an unseren gemeinsamen Lehrgängen, Ausbildungsübungen, Arbeiten und Einsätzen teilzunehmen. Ferner war er verpflichtet, einen monatlichen Geldbeitrag in Höhe von 40 Lei zu erbringen.
Das Geld wurde hauptsächlich zur Vervollständigung unserer umfangreichen Ausrüstung verwandt. So wurden zum Beispiel haltbare Lebensmittel für Notverpflegung und insbesondere viel Sanitätsmaterial eingekauft und gelagert. Mit der Zeit hatten wir einen beachtlichen Vorrat an Injektionsspritzen, Ampullen mit blutstillendem Inhalt, Scheren, Pinzetten, Wundklammern und sogar medizinische Knochenbruchschienen, gespendet von Egon Zirkl aus Restbeständen seines verstorbenen Vaters Dr. Emil Zirkl. Ferner wurden Chemikalien zur Fertigung von pyrotechnischen Materialien, Papier, das wir zum Drucken der Flugblätter brauchten, zwei Marschkompasse, ein Feldstecher, Trockenspiritus und eine größere Menge Dextroenergen erstanden. Diese speziellen Waren stammten alle noch aus erbeuteten Beständen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, die zum Großteil in einem staatlichen Gebrauchtwarenladen, der „Consignaţia“, feilgeboten wurden.
Eines Vormittags erschien der Schulleiter Professor Iovănescu auf dem Schulhof und sagte, als er mich sah, ganz aufgeregt: „Gut, dass du da bist, wir kriegen hohen Besuch. Der Ministerpräsident Dr. Petru Groza wird gleich da sein. Er will die ersten Absolventen unserer Schule sehen. Versammle so schnell wie möglich alle Mädchen und Jungen des vierten Jahrganges und lasse sie antreten. Wenn der Ministerpräsident ankommt, erstatte ihm Meldung.“ Von meinen Kameraden waren nur Egon und Jakob zugegen. Inzwischen war der Ministerpräsident schon angekommen und erschien mit unserem Schulleiter, drei Securitate-Offizieren als Leibwächter und einem Fotografen im Hof. Als er sich uns näherte, erstattete ich ganz militärisch, wie damals üblich, Meldung für beide Klassen und nannte meinen Namen. Der Ministerpräsident trat näher, gab mir die Hand und beglückwünschte uns alle zu unseren bestandenen Prüfungen. Er fragte Herrn Iovănescu, ob ich ein guter Sportler und zukünftiger Lehrer sein werde. Dieser bejahte und meinte, ich wäre einer der besten Sportler der Schule, Zehnkämpfer und in Zukunft auch ganz bestimmt ein sehr guter Sportlehrer. Während er noch mit den Schülern und Schülerinnen sprach, wurden vom mitgekommenen Fotografen viele Bilder geschossen, von welchen ich später auch welche erhielt. Der Zufall wollte es, dass ich an diesem Tag Groza noch einmal begegnen sollte. Es war bereits spät am Nachmittag und ich war zu Fuß unterwegs zu Harry, als beim Durchqueren des Rosengartens plötzlich der Ministerpräsident mit seinen Begleitern vor mir stand. Ein Ausweichen war für mich nicht mehr möglich, umso mehr, da Groza mich sofort wiedererkannte und ansprach, und zwar in einem Ton, als ob wir uns schon immer gekannt hätten. Er sagte: „Da kommt ja der Klassenführer und Zehnkämpfer!“ Er gab mir die Hand und wir plauderten kurz, bevor er sich verabschiedete.
Ende Juli erhielt ich dann die Mitteilung der Sporthochschule in Bukarest über meine Zulassung zur Aufnahmeprüfung im August des gleichen Jahres. Von meinen Kameraden war außer mir nur noch Fredi dabei, während Jakob, Emmerich und Egon als Turnlehrer ihren Dienst an verschiedenen Schulen im Lande antreten sollten. Die Aussicht, dass ein Teil unserer Organisation im Lande zerstreut werden würde, ergab ein Problem, das es noch zu lösen galt. Vorerst sollte während unserer Abwesenheit Harry, der seit April wieder daheim war, das Kommando in Temeschburg übernehmen. Er und Edi waren von der Militärfliegerschule aus politischen Gründen ausgeschlossen und aus dem Militärdienst entlassen worden. Harry entschloss sich daher kurzfristig, sich zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Wasserkraftwerke zu melden, welche ebenfalls gegen Ende August stattfinden sollte. So fuhren also Fredi und ich nach Bukarest zum „Institut de Cultură Fizică“ (Institut für Leibesübungen), um an der dortigen Prüfung teilzunehmen. Die Prüfung wurde bestanden und der Weg für ein Sportstudium in der Hauptstadt schien vorgezeichnet. Zwischenzeitlich war jedoch ein anderes, größeres Ereignis eingetreten, welches unser aller Lebensweg maßgeblich beeinflussen sollte.
Die Deportation in die Bărăgan-Steppe
Am 18. Juni 1951 zeigte das kommunistische Regime in Rumänien wieder einmal sein unmenschliches Gesicht – es begann die Deportation in den Bărăgan. Wir Stadtbewohner, die nicht unmittelbar betroffen waren, wussten zuerst nichts Genaues. Das erste, das man erfuhr, war, dass Leute aus diversen Banater Ortschaften in entfernte Gebiete im Osten des Landes umgesiedelt wurden. Einzelheiten der Deportation – etwa die Namen der betroffenen Dörfer – wurden nur allmählich bekannt. Diese lagen ausnahmslos innerhalb eines etwa 30 Kilometer breiten Streifens entlang der jugoslawischen Grenze.
Von den Angehörigen unserer Organisation war Jakob Stein – wenn auch nur indirekt – betroffen, da seine Eltern und weitere Verwandte aus der Gemeinde Tolvădia, die unmittelbar an der Grenze lag, verschleppt wurden. Er selbst entkam dadurch, dass er als Schüler in der Stadt wohnte. Sein Vetter Portscheller, der Kandidat der Organisation war, hatte weniger Glück. Er wohnte zwar als Schüler ebenfalls in der Stadt, war aber gerade zu Besuch daheim und wurde daher auch mitverschleppt. Genaue Einzelheiten erfuhren wir erst Ende August durch Jakob, der einige Tage zu Besuch im Bărăgan bei seinen Eltern war. Nach seiner geglückten Rückkehr – für illegale Besuche dieser Art war eine Haftstrafe vorgesehen – berichtete er uns von der fürchterlichen Lage, in welche die Verschleppten unschuldig geraten waren. Er hatte bei seiner Rückkehr auch seinen acht Jahre alten Vetter, der wegen der katastrophalen hygienischen Bedingungen, unter welchen die Deportierten litten, schwer erkrankt war und in Lebensgefahr schwebte, illegal aus der Zwangsaufenthaltszone mitgebracht. Bei seiner abenteuerlichen Rückreise musste er mit dem Jungen unter anderem Wasserarme in den Donauauen schwimmend durchqueren. Wir waren über das Gehörte hell empört und kamen zu dem Schluss, dass es Zeit sei, nun „richtig“ etwas gegen das verbrecherische Regime zu unternehmen.
Gleichzeitig verbreitete sich noch das Gerücht über eine weitere geplante Deportation, voraussichtlich im Herbst desselben Jahres. So beschlossen wir, als Protest eine Flugblattaktion zu starten. Zur Verfügung hatten wir ein primitives Stempeldruckset, eher ein Spiel- denn ein Werkzeug. Es bestand aus Rahmen, in welche bewegliche Buchstaben aus Gummi gesteckt werden konnten. Die Texte – sie sollten kurz und markig sein – waren in rumänischer Sprache verfasst, denn wir wollten ja die ganze Bevölkerung ansprechen.
Um Fingerabdrücke zu vermeiden, kauften wir neues verpacktes Papier, welches wir bei allen Operationen nur mit Handschuhen berührten. Die ganze vorbereitende Arbeit vom Verfassen der Texte über das Setzen und bis zum Drucken führte Fredi zusammen mit Emmerich, Herbert und Dietmar durch. Dabei war auch Edda Konrad, ein Freund und langjähriger Bekannter Fredis. Fredi, der vollstes Vertrauen zu Edda hatte, bestand darauf, ihn sofort, also ohne das langwierige Prüfungsverfahren, in die Organisation aufzunehmen. Ich hatte wegen der unbegründeten Hast erhebliche Bedenken und ebenso Harry, als er später hiervon erfuhr. Grundsätzlich bedauere ich noch heute mein damaliges Nachgeben, wenngleich es nicht erwiesen ist, dass dieses für uns tatsächlich schlimme Folgen gehabt hat. Jedenfalls waren bis zum September die geplanten 1200 Blätter fertiggestellt. Die Verteilung der Flugblätter – der „scharfe Einsatz“ – war für den 11. September 1951 vorgesehen. Dazu waren vier Einsatzgruppen bzw. -orte vereinbart worden, und zwar:
•Gruppe 1: MILDT u. SZILAGYI, II. Stadtbezirk,
•Gruppe 2: PRACK u. RESCH, III. Stadtbezirk,
•Gruppe 3: JASZBERENYI u. BRÖSSNER, III. Stadtbezirk und
•Gruppe 4: BAYER u. HOCHSTRASSER, IV. Stadtbezirk.
Der 11. September 1951
Gegen 20 Uhr traf ich wie besprochen Fredi und Andreas gleich nach der Bischofsbrücke an der Ecke der Begazeile. Andreas hätte zusammen mit Dietmar kommen sollen, teilte uns jedoch mit, dass Dietmar aus irgendeinem familiären Grund seine Teilnahme an der Aktion absagen müsse, was er sehr bedauere. Spontan schlug ich vor, Andreas solle mit uns gehen. Er wollte jedoch nicht und erklärte sich vielmehr bereit, alle für Dietmar vorgesehenen Flugblätter zu übernehmen und allein zu verteilen, so als ob er wie zur Entschuldigung