Blätter, und ich überließ ihm noch zu seinem persönlichen Schutz meine Frommer-Baby. Er kannte die Waffe, denn er hatte mit ihr bei Übungen geschossen. Ich hatte gleichzeitig Franzis FN bei mir, während Franzi mit seiner Sauer & Sohn gut gerüstet war. Ich hatte ein höchst ungutes Gefühl, als wir Andreas allein ziehen ließen, er jedoch war die Heiterkeit in Person und lachte uns unserer Bedenken wegen nur aus. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Fredi ihn mit den Worten „Andreas, zeige keinen Übermut, was wir tun, kann sehr gefährlich werden“ verabschiedete.
Das Einsatzgebiet der Gruppe 1, Harry u. Edi, war ganz gezielt in den Osten der Stadt in das Arbeiterviertel östlich der Stefan-cel-Mare-Straße gelegt worden. Gruppe 2, Fredi und ich, hatte als Einsatzgebiet die Zone westlich der Mihai-Viteazul-Straße, Gruppe 3, die nur noch aus Andreas bestand, sollte im Süden der Elisabethstadt die Flugblätter verteilen. Gruppe 4, bestehend aus Emmerich und Franzi, operierte im Südwesten der Josefstadt. Wir hatten hauptsächlich Stadtteile im Visier, die von Bürgern der Mittelschicht bewohnt waren. Bereiche wie die innere Stadt und die unmittelbaren Stadtteilzentren waren vom Einsatz ausgespart, denn es wäre zu gewagt gewesen, die stark beleuchteten Straßen der Zentren mit Flugblättern zu versorgen. In den zumeist weniger gut beleuchteten Außenbezirken hingegen war es viel leichter, den Leuten die Flugblätter direkt in die Briefkästen zu werfen, und dort bot sich auch im Falle einer Gefahr eher die Gelegenheit, zu verschwinden. Andreas entfernte sich in Richtung Lahovari-Platz, Fredi und ich wandten uns auf Höhe des Polytechnikums in Richtung Kreuzplatz und später mehr nach Süden. Mit Fredi durchstreifte ich Straße um Straße nach dem gleichen Muster, und zwar ging er immer auf der rechten Seite, etwa 20 Meter vor mir, mehr auf die Umgebung vor sich achtend, während ich, nach links versetzt, die schon durchstreifte Straße im Auge behielt. Es gelang uns, fast überall unsere Blätter in die Briefkästen zu werfen, und wir hatten die Arbeit bereits kurz nach 22 Uhr erledigt. Es war beschlossen worden, dass nach dem Einsatz ein Mann aus jeder Gruppe zur Berichterstattung auf die Lloyd-Zeile gehen sollte. Dort, in der ganzen Zone zwischen Oper und Kathedrale, flanierten an den Sommerabenden viele Leute, darunter sehr viele Studenten, also schien es uns ein guter, unauffälliger Treffpunkt zu sein.
Weil Fredi und ich wegen des Alleingangs von Andreas immer noch beunruhigt waren, kam auch Fredi zum Treffen ins Zentrum mit. Wir hatten den kürzesten Weg, kamen als erste an und stellten uns bei der Uhr in der Mitte des Platzes auf. Bald kam auch Emmerich gut gelaunt, denn bei ihnen hatte ebenfalls alles geklappt, an. Er erfuhr erst jetzt von uns, dass Andreas allein im Einsatz war, machte sich aber vorerst noch keine Sorgen. Er meinte aber, er habe den Eindruck, dass in der letzten Stunde mehr Pkw als sonst in den Straßen der Stadt umherfuhren. Tatsächlich waren auch Fredi und mir zwei oder drei sehr schnell fahrende Pkw in der Nähe des Polytechnikums aufgefallen. Als Harry ankam, war es schon nach 23 Uhr, auch bei ihm und Edi hatte es keine Zwischenfälle gegeben. Als er von uns erfuhr, dass Andreas allein zum Einsatz gegangen war, wurde er ziemlich verstimmt und machte mir Vorwürfe. Ich beteuerte, dass ich vergeblich versucht hätte, Andreas zu überreden, mit uns zu gehen. Jetzt war jedenfalls nichts mehr zu machen, wir konnten nur noch warten und hoffen. Aber die Zeit verging und Andreas kam nicht. Gegen 1 Uhr schickte ich Fredi und Emmerich heim und versprach, sie sofort zu verständigen, sobald ich etwas über Andreas erfahren würde. Harry blieb weiter mit mir am Opernplatz, und wir behielten die Zone des Treffpunktes im Auge. Nach 2 Uhr gaben auch wir es auf und machten uns auf den Heimweg. Zuvor aber näherten wir uns vorsichtig der Voltaire-Straße und dem Haus, in dem Andreas wohnte. In der ganzen Umgebung konnten wir nichts Auffälliges feststellen. Ich versprach Harry, am nächsten Morgen zu Andreas nach Hause zu gehen, um nach ihm zu sehen; die Entfernung von mir daheim zu Andreas’ Elternhaus betrug nur etwa 200 Meter.
Nach einer mehr als unruhigen Nacht, in welcher ich kaum geschlafen hatte, stand ich um 6 Uhr auf und begab mich in die Voltaire-Straße, ohne dort jedoch etwas Auffälliges zu sehen. Ich wartete noch ungeduldig bis 8 Uhr, klingelte dann und wurde von Andreas’ Mutter empfangen, die ich flüchtig kannte. Ich trachtete, so unbesorgt wie nur möglich zu erscheinen, und fragte nach ihrem Sohn. Die Frau war völlig ruhig und sagte nur, Andreas sei am Abend weggegangen, habe aber nicht gesagt wohin und auch nicht, ob er über Nacht fortbleiben würde. Ich bat sie, mich nach seiner Rückkehr sofort zu benachrichtigen, und verabschiedete mich. Da stand ich nun, ich armer Tor, und war so klug als wie zuvor.
Ich ging heim, verbarg zuerst das Druckerset, raffte noch andere belastende Sachen zusammen und fuhr mit dem Fahrrad direkt zu Harry. Das spurlose Verschwinden von Andreas konnte auch er sich nicht erklären. Uns war unverständlich, wieso die Securitate, sollte sie ihn erwischt haben, bis vor einer halben Stunde nicht zumindest bei ihm zu Hause aufgetaucht war, zumal sie bis spätestens um Mitternacht von unserer Flugblattaktion erfahren haben musste. Wenn aber Andreas doch nicht erwischt worden war, wo war er dann geblieben, warum meldete er sich nicht? Unsere Hoffnung schwand sozusagen von Minute zu Minute. Von Harry fuhr ich noch schnell zu Fredi, schilderte auch ihm die Lage, und wir gingen zurück zu Harry. Dort besprachen wir, was zuerst zu tun sei. Vor allem war es wichtig, Vorkehrungen für jene zu treffen, die von Andreas genannt werden konnten, denn wir waren uns im Klaren darüber, dass im Falle einer Festnahme wohl keiner von uns den harten Vernehmungsmethoden widerstehen und schweigen können würde, also mussten wir danach trachten, die Gefahr weiterer Verhaftungen so weit als möglich zu minimieren. Als am meisten gefährdet betrachteten wir Fredi und mich, also beschlossen wir, vorerst mal abzutauchen und zu beobachten. Ebenfalls galt es, belastendes Material in Sicherheit zu bringen, so etwa eine Menge Notizen, Landkarten und Übungspläne, die ich noch daheim hatte. Diese Dinge wollte ich durch Herbert verbergen lassen. Bei Harry lagerten beträchtliche Mengen an Dauerlebensmitteln, die ebenfalls getarnt werden mussten. Fredi verlagerte das bei ihm befindliche Depot mit Sanitätsmaterialien zu Bekannten.
Ich fuhr nach Hause, beobachtete längere Zeit aus der Ferne, ob sich bei unserem Haus irgendetwas Verdächtiges tat, konnte aber nichts Besonderes erkennen; die Kunden meines Vaters kamen und gingen unbehelligt. Also eilte ich ins Haus und bereitete ein beträchtliches Paket brisanten Inhalts vor, welches ich Herbert übergeben wollte. Anschließend raffte ich eilig mein vorläufiges Fluchtgepäck zusammen. Dabei wurde meine Mutter wahrscheinlich wegen meiner Hektik aufmerksam und stellte mich zur Rede. Jetzt konnte ich meine Lage nicht mehr verheimlichen, also rief ich auch meinen Vater herbei und eröffnete ihnen Folgendes: „Ich bin in eine illegale politische Aktion verwickelt, es könnte sein, dass mich die Securitate suchen und festnehmen wird. Aus diesem Grunde muss ich jetzt vorsichtshalber verschwinden.“ Meine Eltern zeigten sich verständlicherweise bestürzt, wollten wissen, was und mit wem ich etwas „angestellt“ hätte, erhielten aber natürlich keine nähere Auskunft. Ich erklärte ihnen nur, dass es besser sei, wenn sie nichts wüssten. Mein Vater machte dann folgenden Vorschlag: Er habe sowieso die Absicht, am kommenden Nachmittag mit dem Fahrrad nach Ghiroda (ein Ort östlich der Stadt an der Bega gelegen), genauer zwei Kilometer weiter Richtung Remetea am rechten Ufer der Bega zum Angeln zu fahren. Dort solle ich ihn um 17 Uhr suchen. Sollte dieses Treffen aus irgendeinem Grund nicht stattfinden können, so sollte ich, wenn notwendig, einen Tag später an den gleichen Platz kommen. Ich war einverstanden, und wir verabschiedeten uns in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch alles zum Guten wenden würde.
Als erstes führ ich in die Fabrikstadt zu den Winklers. Stefan war vor einigen Tagen nach Bukarest gefahren, er studierte dort im dritten Semester Musik. Sein Bruder Herbert wusste bis zu diesem Zeitpunkt von unserem Einsatz noch nichts, und ich klärte ihn auch gar nicht auf. Dafür übergab ich ihm zwei Pakete, die er verbergen sollte. Das eine enthielt Dokumente wie Pläne, Landkarten und verschlüsselte Weisungen sowie Notizen über Personen, die wir im Verdacht hatten, Spitzel der Polizei zu sein. Insbesondere diese „Schwarze Liste“ war höchst brisant. Das zweite Paket enthielt Munition und Sprengstoff. Ich wies ihn an, die beiden wasserdicht verschlossenen Pakete getrennt voneinander an einem bestimmten Platz jenseits des Stadtrandes zu vergraben. Auch schärfte ich Herbert ein, bis auf Weiteres weder zu mir noch zu Harry oder Fredi Verbindung aufzunehmen, bei Bedarf werde er von Harry Weisungen erhalten. Dann fuhr ich wieder zu Harry, wo auch Fredi bald eintraf. Wir besprachen mit Harry, dass er sich ganz vorsichtig nach Andreas erkundigen solle. Fredi und ich wollten vorerst hinaus an die Temesch fahren, um uns dort ein geeignetes Versteck zum Lagern zu suchen.
An der Temesch angekommen wählten wir als Versteck ein größeres Dickicht