wir von mehreren Gerichtsbeamten in einen Saal geführt wurden, fiel uns auf, dass die Bilder von nur fünf der vormals sieben Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei an der Wand hingen. Die Plätze, wo vorher vermutlich die Bilder von Vasile Luca und Teohari Georgescu gehangen hatten, stachen hell von der ansonsten verrauchten Wand hervor. Was mit ihnen geschehen war, wussten wir natürlich nicht, doch die Tatsache, dass sie weg waren, war überraschend und erfreulich zugleich. Wie wir später erfuhren, waren sie kurz vorher ihrer Ämter enthoben und zu schweren Strafen verurteilt worden. Zuerst wurden unsere persönlichen Daten überprüft, und man teilte uns mit, dass wir weiter zu Verfügung der Securitate stünden. Die Anklage, die dann verlesen wurde, bestand aus den folgenden Punkten:
•politische Hetze (Flugblätter) und Anstiftung zum Aufruhr (Artikel Nr. 327/3 Strafgesetzbuch),
•Gründung einer bewaffneten Geheimorganisation (Artikel Nr. 209/3 Strafgesetzbuch),
•Zerstörung von Nachrichtenmitteln (Telefonleitungen),
•Verstoß gegen das Gesetz Nr. 199/1b aus dem Jahre 1952 für versuchtes Terrorverbrechen gegen die Staatsordnung (Strafmaß: Todesstrafe, lebenslange Zwangsarbeit oder 25 Jahre Zwangsarbeit),
•illegaler Waffenbesitz.
Die ganze Prozedur, von der wir kaum etwas verstanden, denn dazu hätten wir den Beistand eines Rechtsanwaltes gebraucht, dauerte vielleicht eine Viertelstunde. Dann wurde ich wieder von meinen Kameraden getrennt; sie wurden offensichtlich wieder ins Gefängnis geführt, während ich noch eine Weile warten musste, bis ein Jeep den Feldwebel und mich wieder zurückbrachte. Mit der von mir so geliebten Blechbrille auf der Nase fand ich mich bald wieder in meiner „trauten“ Zelle ein.
Andreas Verhaftung
Anlässlich unseres ersten Zusammentreffens bei Gericht hatte ich endlich auch die Möglichkeit gehabt, von Andreas zu erfahren, wie es seinerzeit zu seiner Verhaftung gekommen war. Nachdem er mit seinen 250 Flugblättern allein losgezogen war, begab er sich in sein Operationsgebiet, welches im südlichen Teil der Elisabethstadt lag. Es handelte sich um einen „besseren“ Bezirk, den er recht gut kannte, in welchem hauptsächlich Kleinbürger in ihren Einfamilienhäusern wohnten. Bis gegen 21.30 Uhr ging alles gut, er war fast fertig und hatte nur noch wenige Flugblätter zu verteilen. Als er sich in der Putna-Straße befand, traf er plötzlich auf einen gewesenen Klassenkollegen, Viktor Alexandrescu, genannt „Purschi“, welcher vor etwa einem Jahr wegen mangelnder Disziplin der Schule verwiesen worden war. Auf dessen Frage, was er, Andreas, hier mache, antwortete er, dass er Geta (Georgeta Georgescu), seine Ex-Freundin, nach Hause begleitet habe. Eigentlich keine gute Ausrede, denn „Purschi“ wusste von der Trennung der beiden, aber Andreas wollte seinen unerwünschten Gesprächspartner schnell loswerden. Dieser hatte aber anscheinend noch Lust zum Plaudern und ließ sich nicht so schnell abwimmeln, weshalb das Gespräch noch andauerte, als plötzlich ein Militärfahrzeug um die Ecke bog und in ihrer Nähe anhielt.
Ein junger Mann in Zivil stieg aus und näherte sich ihnen, während ein zweiter beim Wagen stehen blieb, in dem auch noch der Fahrer saß. Der zuerst Ausgestiegene hatte sie fast erreicht, als er sich mit der Frage an Andreas wandte, was er da mache? Andreas antwortete, er sei auf dem Heimweg. „Purschi“, der von Andreas zurücktrat, sagte unaufgefordert, auch er sei auf dem Weg nach Hause, und fügte hastig hinzu: „Ich habe nichts getan.“ So, als ob er gewusst hätte, dass Andreas etwas getan hatte. Die Frage, ob er tatsächlich etwas gewusst hatte, konnten wir nie klären. Der Mann hatte zwischenzeitlich Andreas erreicht, verlangte dessen Ausweis und packte ihn am Arm. Als dieser nicht sofort reagierte, sagte er, dass er von der Securitate sei, und versuchte gleichzeitig, Andreas zu umklammern. Andreas verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht und stieß ihn zurück, konnte ihn jedoch nicht daran hindern, ihn noch im Fallen festzuhalten, als der zweite Mann, neben dem Geländewagen stehend, bereits einen Schuss abfeuerte.
Der Schuss traf den ersten Mann, der noch immer an Andreas hing, an der Schulter. Der Getroffene begann zu schreien, Andreas ließ ihn los, aber der Verwundete fasste ihn noch einmal, diesmal an den Beinen, um ihn festzuhalten. Andreas geriet aus dem Gleichgewicht, stürzte fast und befand sich in einer Drehbewegung mit dem Rücken zum Wagen, als dort der zweite Schuss brach und ihn in den Rücken traf. Die Kugel drang zwischen den Schulterblättern ein und streifte die Wirbelsäule, was zur Folge hatte, dass Andreas von der Wunde abwärts nichts mehr fühlte. Nach vorne gefallen war er sich seiner schweren Verletzung bewusst und zog seine Pistole mit der Absicht, sich zu erschießen. Der zweite Agent war aber schon neben ihm, trat ihm auf die Hand und entriss ihm die Waffe. Unter wüsten Beschimpfungen wurde er dann zum Wagen geschleift und hineingeworfen. Andreas bekam noch mit, dass sie losfuhren, verlor aber dann immer wieder phasenweise das Bewusstsein. Der zweite Agent kümmerte sich ausschließlich um den von ihm angeschossenen Kollegen, während der Fahrer den Wagen im halsbrecherischen Tempo durch die Stadt lenkte und erst vor dem „Begasanatorium“ hielt. An diesen Moment erinnerte sich Andreas später noch, verlor aber dann wieder das Bewusstsein. Aus seiner Ohnmacht erwachte er erst am Nachmittag des 12. September und wurde dann auch zum ersten Mal vernommen. Der Verlauf dieser Vernehmung blieb ihm nur sehr unklar in Erinnerung. Übrigens wurde der angeschossene Securist vorerst im gleichen Krankenhaus versorgt.
Das Geschoss, welches Andreas von hinten getroffen hatte, hatte die Wirbelsäule zwischen dem 4. und 5. Rückenwirbel gestreift, weshalb Andreas von der Verletzung abwärts gelähmt war. Im „Begasanatorium“ wurde er von Dr. I. Mihailescu, einem Bekannten seiner Familie, behandelt, welcher später auch seine Eltern verständigte – ein sehr mutiger Schritt. Die Blutungen in der Lunge dauerten drei Wochen, dabei musste Andreas jeden zweiten Tag das ausgelaufene Blut aus der Lunge gepumpt werden. Später wurde er dann in die „Clinicile Noi“ (Neue Kliniken) verlegt und dort von Dr. Stefanovici, einem Neurologen, weiter behandelt. Infolge der Lähmungen waren viele Körperfunktionen wochenlang beeinträchtigt, und daher konnte er erst am 4. März 1952 in das Gefängnis an der Popa-Şapca-Straße verbracht werden. Vermutlich wurde auch unser erster Prozesstermin wegen seines Zustands nochmals um zehn Tage verschoben.
Meine letzten Tage bei der Securitate verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Am Abend des 13. März wurde ich noch einmal von unserem Frisör „zivilisiert“. Er rasierte mich und stutzte mir auch die Haare. Nachdem er fertig war und verschwand, durfte ich mich mit kaltem Wasser duschen. Sauberkeit war unter den gegebenen Bedingungen ohnehin mehr Illusion denn Wirklichkeit. Dann ging es wieder in die Zelle. In dieser letzten Nacht bei der Securitate habe ich wenig geschlafen. Die Aussicht, endlich fortzukommen und mit meinen Kameraden zusammen zu sein, erfreute mich ungemein. Wie sich unsere nächste Zukunft gestalten würde, konnte ich mir kaum vorstellen. Ich vermutete, dass wir nach der Verurteilung würden arbeiten müssen, ohne jedoch eine Vorstellung darüber zu haben, unter welchen Bedingungen und wie lange. Einzig sicher schien mir, dass es nicht leicht sein würde.
Am Morgen gab es das übliche Programm, ich wurde zur Toilette geführt, konnte mich noch kurz waschen und bekam zum Frühstück den mir schon wohlbekannten Muckefuck, der durch seine Wärme und die Spuren von Süße angenehm war, aber ansonsten nur hungriger machte. Schon bald nach acht Uhr kam der diensthabende Feldwebel, um mich aus meiner Zelle abzuholen. Ich wurde in einen Raum geführt, wo mir ein Sack mit meinen Kleidern und sonstigen persönlichen Gegenständen aushändigt wurde. Nachdem ich den Empfang quittiert hatte, wurde ich – mit der obligatorischen Brille auf der Nase – in den Hof geführt und stieg in einen mit laufendem Motor wartenden Jeep. Ohne Wehmut verließ ich die Securitate von Temeschburg nach 178 Tagen Untersuchungshaft. Im Wagen saßen bereits mehrere Personen. Ich hörte das Tor quietschen und scheppern, es wurde geöffnet, der Wagen rollte los. Kaum auf der Straße, nahm mir jemand die Brille ab. Wir waren zu fünft im Wagen. Vorne neben dem Fahrer saß Deitel. Ich saß hinten zwischen einen Leutnant und einem Feldwebel, die mir beide unbekannt waren. Als sich Deitel zu mir nach hinten wandte, grüßte ich, was er nur mit einem ironischen Lächeln beantwortete.
Deitel fragte mich, wie ich mich fühlte und ob ich wüsste, wohin wir jetzt fuhren? Als ich antwortete, dass wir vermutlich auf dem Weg zum Gericht seien, sagte er, das sei richtig, wir würden jedoch noch einen kleinen