Tag wurde ich noch ziemlich spät aus der Zelle geholt und in einen Büroraum geführt, wo ein dicker Feldwebel auf mich wartete. Aus einem Sack zog er der Reihe nach Kleidungsstücke hervor, die ich als meine erkannte. Dabei waren ein Anzug, warme Hemden, Unterhosen, mehrere Paar Strümpfe, Taschen- und Handtücher sowie ein Paar hoher Schuhe. Dazu ein Stück Seife, Zahnbürste und Zahnpaste. Der Feldwebel sagte: „Wie du siehst, war ich bei deinen Eltern und habe dir diese Sachen mitgebracht.“ Ich fragte ihn, wie es meinen Eltern gehe. Er beruhigte mich und sagte, es gehe ihnen gut und mein Vater arbeite in seiner Werkstatt. Weil er sich so gutmütig zeigte, wagte ich noch einige Fragen, etwa ob er auch meine Oma und Tante gesehen habe. Er bejahte und meinte, sie wären hinzugekommen, während er bei meinen Eltern war. Diese Einzelheiten ließen ihn glaubwürdig erscheinen. Er meinte noch: „Sie lassen dich grüßen.“ Dann machte er sich daran, eine Liste aller mitgebrachten Sachen zu erstellen, und ließ mich deren Empfang bestätigen. Anschließend ging er in den Nebenraum und brachte einen Rucksack, den ich sofort als jenen Rucksack erkannte, den ich auf der Flucht in unserem Versteck am Temeschufer zurückgelassen hatte. Ich hatte bis dahin meinen Vernehmern kein Wort über die von uns dort gelassenen Sachen gesagt, weil ich die von Franzi Bayer leihweise bekomme Pistole auch dort gelassen hatte. Im Rucksack fand ich noch ein Hemd, zwei oder drei Paar Socken und sonstige Kleinigkeiten. Dann kam er noch mit einigen persönlichen Gegenständen, die man mir bei der Verhaftung abgenommen hatte, darunter auch die aus dem Liederbuch gerissenen Blätter mit den belastenden Texten und Zeichnungen, die zwar von Moiş begutachtet worden waren, deren Brisanz er aber wohl übersehen hatte. Da ich merkte, dass der Feldwebel noch mit seiner Schreibarbeit beschäftigt war, steckte ich kurz entschlossen die Papiere vorerst unter mein Hemd und wenig später in den im Raum befindlichen Kachelofen, nachdem ich aufgefordert worden war, Holz nachzulegen. Der Feldwebel merkte zwar, dass ich außer dem Holz noch etwas in den Ofen befördert hatte, gab sich aber mit meiner Erklärung, es hätte sich um ein Stück Zeitungspapier gehandelt, zufrieden. Mit den erhaltenen Kleidern konnte ich mich endlich wärmer anziehen, was auch nötig war, denn es war früh Herbst geworden und ziemlich kalt. Was den Rucksack mit Kleidungsstücken betraf, wusste ich jetzt, dass man diese Sachen an der Temesch gefunden und hergebracht hatte. Fredi musste mit Begleitung draußen an der Temesch gewesen sein, denn die Securisten allein hätten das Versteck kaum finden können. Wie das Ganze wirklich gelaufen ist, habe ich erst später, nachdem wir verurteilt waren, von Fredi erfahren.
In diesen Tagen wurde ich wieder mal zu einer Vernehmung zu Leutnant Neda geführt. Gleich zur Einleitung teilte er mir mit, dass man unser Versteck an der Temesch aufgespürt habe. Er sagte auch, dass von unseren zurückgelassenen Sachen nur noch wenig, und zwar bei einem Schäfer, sichergestellt worden sei. Dieser habe erklärt, unsere gebündelten Sachen im Gebüsch nahe dem Flussufer gefunden zu haben. Die Lebensmittel habe er vertilgt, und von unseren Kleidungsstücken hatte er welche angezogen. Außerdem hätte er noch eine Landkarte, eine Uhr – in Wirklichkeit war es ein Marschkompass – und eine Pistole gefunden. Natürlich interessierte die Securitate am meisten die Pistole, aber er sagte, dass er die Karte verbrannt und die „Uhr“ sowie die Pistole in die Temesch geworfen habe. Die genaue Stelle konnte er nicht mehr angeben. Über diese Nachricht war ich froh, weil so die Marke der Waffe nicht mehr zu klären war. Das war für Franzi und mich wichtig, denn ich hatte bei einem Verhör – in die Enge getrieben – zugegeben, dass ich bei unserer Flugblattaktion anstelle meiner Pistole, die ich Andreas gegeben hatte, eine andere von Franzi bei mir gehabt hatte, die aber auf der Flucht verloren gegangen sei. Auf die Frage nach der Art der Waffe hatte ich vorsichtig erklärt, dass es sich möglicherweise um eine französische Marke gehandelt habe. Franzi hingegen hatte sich „verredet“ und von einer Sauer, also einer deutschen Waffe gesprochen. Über diesen Fehler Franzis ärgerte ich mich sehr, denn so ergab sich zwangsläufig die Vermutung bei unseren Vernehmern, dass es sich eigentlich um zwei verschiedene Waffen handeln müsse, von welchen noch eine versteckt sei. Wenn die von mir an der Temesch gelassene Pistole gefunden worden wäre, hätte es sich herausgestellt, dass ich richtig ausgesagt hatte und dass es sich tatsächlich um eine französische Waffe handelte. Dann wäre jedoch die Securitate sicher gewesen, dass es die von Franzi genannte Sauer auch noch gab und sie logischerweise noch in Franzis Versteck liegen müsse. Dieses Versteck war wirklich sehr gut, das bewies auch die Tatsache, dass es trotz der gründlichen Hausdurchsuchung nicht gefunden worden war. Jetzt galt es die Vernehmer zu überzeugen, dass es sich doch nur um eine Waffe handelte. Da die Gefahr bestand, dass die Waffe, die ich von Franzi bekommen hatte, nicht mehr zu finden sein würde, änderte ich meine Erklärung dahin gehend, dass ich nun doch nicht sicher wüsste, ob es sich bei Franzis Pistole tatsächlich um ein französisches Modell gehandelt habe. Dafür musste aber auch Franzi dabeibleiben, dass die Waffe, die er mir geliehen hatte, eine Sauer war. Durch diesen Fehler hatte Franzi das Misstrauen der Vernehmer geweckt, was zur Folge hatte, dass er von uns allen die schwersten Misshandlungen ertragen musste. Einen Tag, nachdem mir Leutnant Neda vom Auffinden unserer Ausrüstung an der Temesch berichtet hatte, wurde ich noch spät am Abend aus meiner Zelle geholt und eilig zum Verhör geführt. Man brachte mich in ein kleineres Zimmer im Erdgeschoss, und obwohl man mir die Blechbrille nicht abnahm, wurden mir zusätzlich Handschellen angelegt. In dem relativ kleinen Raum war es sehr heiß, und es stank nach Schweiß und Urin. Aus einem Rundfunkgerät ertönte laute Schlagermusik. Dennoch konnte ich anhand der Stimmen und Geräusche erkennen, dass sich noch mindestens fünf Leute im Raum befanden. Ich wurde mit einer ordinären Schimpftirade überschüttet, die aus Gott, Müttern, Genitalien und was die auf diesem Gebiet so reiche rumänische Sprache sonst noch zu bieten hat, bestand. Dazu kamen Faustschläge in den Nacken sowie Tritte in die Schienbeine und Knie, und ich bekam zu hören, dass Bayer und ich verlogene Schweine seien. Jetzt erst erkannte ich, worum es eigentlich ging. Der Stimme nach war es Neda, der mich fragte: „Was für eine Pistole hat Bayer dir am Abend des 11. September gegeben?“ Ich wiederholte meine frühere Erklärung, wonach ich es nicht genau wüsste, dass es aber eine französische Waffe gewesen sein dürfte, was ich wegen der Beschädigung an der Waffe und der schlechten Lichtbedingungen, es war schon halb dunkel, jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen könnte. Ich wurde auf den Boden gestoßen, meine gefesselten Hände wurden mir über meine Knie hinweg hinuntergeschoben. Durch meine Kniekehlen steckte man einen Holzknüppel, dessen Enden vermutlich über zwei Tische gelegt wurden. So hing ich nun zwischen den Tischen und wartete auf Schläge, die ich auf den Hosenboden oder auf die Fußsohlen kriegen würde. Da fragte Neda noch einmal: „Was für eine Pistole hat dir Bayer gegeben? Wo ist Bayers zweite Pistole?“ Ich gab die gleichen Antworten wie schon zuvor. Dann hörte ich die Frage an Franzi: „Hörst du, Bandit, wo ist die Sauer-Pistole?“ Und ich hörte Franzi, der bis dahin nur gestöhnt und geächzt hatte, antworten: „Ja, es ist so, dass man die Schrift auf der Waffe wegen Beschädigung sehr schlecht lesen konnte. So kann es sein, dass Resch recht hat und auf der Waffe etwas in französischer Sprache geschrieben stand. Ich kann kein Französisch. Und eine zweite Waffe habe ich auch nicht besessen.“ Anscheinend glaubte man uns jetzt, denn nach dem man Franzi noch mit zwei oder drei Fußtritten bedacht hatte, band man ihn los. Auch mich hob man von den Tischen herunter, nutzte aber diese Gelegenheit und ließ mich von ziemlich weit oben auf den Rücken fallen. Wenn ich Nierensteine gehabt hätte, wären diese bei solcherart „Behandlung“ bestimmt zertrümmert worden. Dann wurden mir auch die Handschellen abgenommen, sie hatten mir, solange ich gefesselt an der Stange hing, große Schmerzen verursacht. Man befahl mir, aufzustehen, und es gab zur Aufmunterung noch schnell von einem der für mich unsichtbaren „Assistenten“ einige Tritte in den Rücken und, wahrscheinlich weil ich mich nicht flott genug bewegte, zusätzlich einige in meine Schienbeine und Fußknöchel. Als die Tür geöffnet wurde, verpasste mir ein „Wohlwollender“ noch einen mächtigen Fußtritt in meinen Allerwertesten, sodass ich mit seiner Hilfe auf den Korridor hinaus und mit dem Kopf gegen die Wand flog. Bevor ich noch die Folterkammer verließ, hörte ich Franzis Ächzen und Wimmern Er tat mir unendlich leid. Mit einem kleinen Fehler beim Verhör hatte er uns beiden, aber besonders sich selber, ein schlimmes Problem geschaffen. Am Korridor nahm mich mein diensthabender „Bulle“ am Arm und führte mich in meine Zelle zurück. So ganz sicher war ich mir allerdings noch nicht, ob nun die Sache mit den Pistolen ausgestanden war. Wie ich später von Franzi erfuhr, war sein Rücken und insbesondere sein Gesäß noch monatelang von den Schlägen gezeichnet.
Über die Suchaktion draußen an der Temesch habe ich ebenfalls erst nach