die traurigen Beispiele der niedergeschlagenen Aufstände in Ostberlin, in Budapest und später in Prag belegten, war ein entschlossenes Eingreifen des Westens jedoch nie angedacht und militärisch auch gar nicht möglich.
Die zwangsläufige Folge für jene, die sich im kommunistischen Machtbereich zum aktiven Widerstand entschlossen hatten, war ihre schrittweise Zerschlagung und für die meisten der Beginn einer ungeheuerlichen Leidenszeit in dem für ausnahmslos alle kommunistischen Staaten typischen und von Alexander Solschenizyn so eindrucksvoll geschilderten Gulag-Archipel.
Der überwiegende Teil des Buches handelt von den Erfahrungen des Autors und seiner Kameraden in den annähernd dreizehn Jahren im kommunistischen Gefängnis- und Lagersystem.
Auch nach der Entlassung im Jahre 1964 ging die faktische Gefangenschaft weiter, denn ein legales Verlassen der „Sozialistischen Republik Rumänien“ war nicht oder nur sehr schwer möglich. Es glückte unserer Familie erst zweiundzwanzig Jahre später nach entsprechender Einflussnahme aus der Bundesrepublik und den USA.
In der Zwischenzeit hieß es, den real existierenden Sozialismus mit all seiner Heuchelei und seinen leeren Versprechungen zu ertragen und – soweit möglich – gute Miene zum bösen Spiel zu machen. In dieser Welt der alltäglichen Lüge, in welcher man bereits als Grundschüler verinnerlichte, dass das, was daheim gesprochen wurde, nicht außerhalb des Hauses gesagt werden durfte, bin auch ich aufgewachsen.
Mein Vater hat sich nach seiner Gefängniszeit bemüht, die nunmehr geltenden Regeln einzuhalten und sich insbesondere mit kritischen Äußerungen zurückzuhalten. Dies gelang ihm nur teilweise und entsprechend misstrauisch blieben ihm gegenüber auch die Vertreter des Regimes eingestellt, waren sie sich doch bewusst, dass sie mit all den durchgeführten Terrormaßnahmen die Menschen zwar einschüchtern und oft genug auch zerbrechen, aber niemals wirklich umerziehen konnten.
Um sich auf sinnvolle Art und Weise vom tristen Alltag abzulenken, widmete sich mein Vater schon kurz nach seiner Entlassung dem Hobby der Archäologie, einer Leidenschaft, die ihn zeitlebens nicht mehr losließ und seinem Wissensdurst und seiner ungebrochenen Abenteuerlust bestens entsprach. Auch nach der Ausreise in die Bundesrepublik im Jahre 1986 blieb er der Vorgeschichte treu und nahm in der Gegend von Freiburg im Breisgau, dem neuen Wohnort der Familie, jahrelang an archäologischen Ausgrabungen teil. Hier konnte er sich aber auch endlich anderen Epochen wie etwa der neueren deutschen Geschichte widmen und tat dies intensiv. Mit der Aufzeichnung seiner Memoiren begann er erst nach dem für uns alle überraschenden Zusammenbruch des „Ostblocks“.
Manfred Resch
Vaihingen/Enz, im November 2018
Kapitel I: Widerstand
Der Umsturz vom 23. August 1944
Wegen der steigenden Gefahr angloamerikanischer Luftangriffe auf meine Heimatstadt Temeschburg fuhr ich im Sommer 1944 viel früher als sonst zur „Sommerfrische“ nach Ferdinandsberg zu meiner Tante Nelly, der jüngeren Schwester meines Vaters, und ihrem Mann, Peter Barth, von Beruf Apotheker und ein schon damals bekannter Lyriker. Der Ort Ferdinandsberg liegt im Ostbanater Bergland und zählte nahezu 5000 Einwohner, davon mehr als 2000 Deutsche. Das dortige Hüttenwerk war zu jener Zeit als kriegswichtiges Rüstungsunternehmen eingestuft. Ihm stand ein reichsdeutscher Chefingenieur vor.
Dass die Vorsichtsmaßnahme meiner Eltern nicht unbegründet war, zeigte sich dann in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni, als der erste Luftangriff, ein britischer Nachtangriff, auf Temeschburg erfolgte. Dies erfuhren wir in Ferdinandsberg telefonisch von meinem Vater. Zwei Wochen später folgte dann ein amerikanischer Tagangriff. Obwohl das Stadtzentrum kaum betroffen war, forderte dieser zweite Angriff zahlreiche Menschenopfer. Die Bomben fielen fast ausschließlich auf die Josefsstadt, in den Bereich zwischen Hauptbahnhof und Notre-Dame-Klosterschule. Unabhängig von diesen Luftangriffen fühlten wir uns zu dieser Zeit noch relativ sicher im Banat, befand sich die Front doch noch Hunderte von Kilometern weit weg. Dann aber sollten sich plötzlich die Ereignisse überstürzen.
Am 21. August nachmittags landete ein Fieseler Storch der deutschen Luftwaffe auf dem „Gai“, einer ebenen Geländeterrasse bei Ferdinandsberg. Der Pilot blieb die Nacht über beim Flugzeug, während sein Begleiter, ein deutscher Offizier, zum Werk eilte. Am nächsten Morgen kam der Offizier in Begleitung des Chefingenieurs vom Werk. Das Flugzeug startete umgehend und flog nach Westen, vermutlich nach Temeschburg. Über die mögliche Ursache dieser plötzlichen Abreise des Chefingenieurs machte sich kaum jemand Gedanken. Doch sollten wir den Grund bald erfahren.
Am 24. August, früh am Morgen, also 48 Stunden, nachdem der Chefingenieur vom Werk abgeholt worden war, „platzte die Bombe“: In Bukarest hatte am 23. August ein Staatsstreich unter der Führung des Königs, Vertretern der bürgerlichen Parteien und der Kommunisten, die eilends quasi über Nacht aus der Illegalität geholt worden waren, stattgefunden. Marschall Antonescu, der Regierungschef, war verhaftet und die Regierung abgesetzt worden. Eine Schlüsselrolle bei diesem Staatsstreich spielten angeblich der spätere Minister Emil Bodnăraş wie auch andere aus der Sowjetunion eingeschleuste Kommunisten. General Sănătescu, der neu ernannte Regierungschef, erteilte als erstes allen Truppen den Befehl, die Kampfhandlungen gegen die Sowjets sofort einzustellen, obwohl es zwischen Rumänien und der Sowjetunion noch keinen offiziellen Waffenstillstand gab. Als Folge davon nahmen die Sowjets weiterhin rumänische Soldaten gefangen, insgesamt sollen es über 130.000 gewesen sein. Der Waffenstillstand wurde erst zwölf Tage später von den Sowjets unterschrieben.
Erstaunlich und für uns unverständlich war das Versagen des deutschen Botschafters in Bukarest, des Barons Manfred von Killinger, der anscheinend von keinem der in Rumänien tätigen deutschen Geheimdienste informiert worden war. Und dies, obwohl die geplanten Umsturzvorbereitungen, wie man später erfuhr, durchaus vielen bekannt gewesen waren. Das oben erwähnte, blitzartige Absetzen des Chefingenieurs aus Ferdinandsberg war nur eine von etlichen Aktionen, die darauf hinwiesen, dass viele Leute etwas wussten oder zumindest ahnten. Möglicherweise war selbst die damals noch unter der Führung des Admirals Canaris stehende „Abwehr“ informiert, aber nicht gewillt, der obersten deutschen Führung Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.
Was uns erst einmal beunruhigte, war die schon am 24. August durchgesickerte Nachricht, dass Funktionäre der deutschen Volksgruppe – auch in unteren Positionen wie zum Beispiel Ortsgruppenführer – festgenommen und interniert worden waren. Exponierten Personen aus Industrie und Handel wie auch vielen deutschen Intellektuellen erging es nicht anders. Personen mit reichsdeutschem Pass, aber auch mit anderen ausländischen Pässen, deren Staaten mit dem Reich verbündet waren, wurden in den nächsten Tagen ausnahmslos interniert. Der Staatsstreich und die einsetzenden Repressalien überraschten und verunsicherten natürlich die gesamte Volksgruppe. Unsere Familie war von den erwähnten Willkürakten vorerst noch nicht betroffen; was wir aber aus dem Bekanntenkreis mitbekamen, gab ausreichend Grund, um höchst besorgt zu sein. Interessanterweise dachten nur wenige an eine Flucht vor der anrückenden Sowjetarmee, vielleicht in der naiven Hoffnung, dass die deutschen Truppen doch noch zurückkehren würden. Eine organisierte Evakuierung aller Volksdeutschen kam sowieso nicht infrage, dazu war die Front der Heeresgruppe Süd infolge des Abfalls Rumäniens viel zu schnell zusammengebrochen.
Dann kamen die Sowjets in unsere Stadt. Auf den Straßen herrschte Gesetzlosigkeit, und die brutalen Übergriffe marodierender Soldateska waren an der Tagesordnung. Parallel dazu wurde von der rumänischen Übergangsregierung auch ganz offiziell gegen die verbliebenen Volksdeutschen vorgegangen. Es gab Hausdurchsuchungen und willkürliche Beschlagnahmungen. Fahrräder, Motorräder, Kraftwagen, Radios, Telefongeräte und selbst Nähmaschinen mussten von allen Deutschen per Verordnung an die Behörden abgegeben werden.
Beispielhaft sei der Fall des Juweliers Rieger, eines Bekannten unserer Familie, erwähnt. Die Riegers bewohnten eine der schönsten und repräsentativsten Villen der Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft des früheren deutschen Konsulatsgebäudes. Beim Einmarsch der Sowjets wurde die Villa beschlagnahmt und dort die örtliche Kommandantur eingerichtet. Die Eigentümer wurden vorerst in den Keller verbannt, von wo sie allerdings wegen der untragbaren