Andreas Laun

Gegen den Zeitgeist


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alles und jedes, was in diesen Jahren seit 1968 getan, reformiert, gedacht und geschrieben wurde, sei schlecht gewesen. Wahr ist vielmehr: So manches bedurfte der Korrektur und Reform. Einer primitiven, unvernünftigen Buchstabentreue gegenüber alten »Regeln«, nur weil sie alt sind, rede ich nicht das Wort. Natürlich geht es nicht um das Bewahren der Asche, sondern immer nur um das Hüten der Glut und darum, sie wieder zum Feuer werden zu lassen! Nur so kann es mit der Gnade Gottes und mithilfe gelebter Neuevangelisierung zur wirklichen Erneuerung kommen. Es gibt eine unverzichtbare Notwendigkeit für die Kirche, »mit der Zeit zu gehen« und in der heutigen Zeit das Evangelium zu verkünden. Wenn hier von den »Wunden der Kirche« gesprochen wird, so nur um die Therapie zu finden, die zur Heilung führen könnte.

      Was kann, was soll man tun, um die Lage zu ändern? Mit einigen frommen Gedanken wird sich die Situation nicht ändern. Aber zu überlegen wäre, ob man nicht von den »Kindern dieser Welt« lernen könnte: Wenn der Absatz eines – sagen wir – Autoherstellers stockt, werden die Manager zum Konkurrenten schauen: Was macht der andere anders, wie sehen seine Autos aus, könnten wir nicht auch …? Und dann wird man den Betrieb vermutlich »umbauen«, nicht um die eigene »Marke« aufzugeben, sondern um sie mit einem neuen Marketing neu aufzustellen! So könnte es auch in der Kirche sein: Es gibt heute viele »Aufbrüche« und es gibt auch Klöster, die blühen, nur einige Kilometer entfernt von solchen, die in Gefahr sind zu sterben. Daher die Frage: Warum schaut man nicht auch in der Kirche auf den jeweils anderen, der zudem nicht Konkurrent, sondern Bruder oder Schwester ist? Eine Geschichte kann das Gemeinte verdeutlichen:

      Vor einigen Jahren wurde der damalige Abt des Stiftes Heiligenkreuz gefragt, warum das Stift Nachwuchs hat und lebt, während andere in Gefahr sind auszusterben. Seine Antwort war denkbar knapp: »Weil wir unser Stundengebet beten, weil wir dem Papst gehorchen und weil wir unser Ordensgewand tragen!« Als ich diese kleine Geschichte einem P. Provinzial einer jüngeren Gemeinschaft, auch sie gefährdet im genannten Sinne, erzählte, wehrte dieser ab: »So einfach ist das nicht!« Ich antwortete: »Vielleicht ist es so einfach, man könnte es doch wenigstens versuchen.« Vertreter anderer Gemeinschaften könnten kommen und sehen, welche »Angebote« in Heiligenkreuz gemacht werden, von Einkehrtagen bis zu Sportwochen – jugendgerecht, aber immer eindeutig als Gemeinschaft, die »Gottes-Programme« anbietet, nicht Seminare für Kirchenkritik, nicht für Leute, die alles besser wissen wollen, nicht Wellness- oder Abenteuerevents, fromm überzuckert!

      Natürlich hatte mein Gesprächspartner, der zitierte Provinzial, auch recht: »So einfach ist es nicht!« Nein, tatsächlich, es ist nicht so einfach, überhaupt nicht einfach, weil dieses skizzierte Programm nicht machbar ist ohne eine Kehrtwende der Betroffenen. Das weiß aus der Erfahrung mit sich selbst ohnehin jeder Mensch, der sich auf den Weg zu Gott begeben hat. Natürlich, wenn man eine Neubelebung der Klöster und Gemeinschaften wirklich will, muss man umdenken! Das ist nicht sehr modern: eigene Ideenwelten dem »Gehorsam des Glaubens« unterzuordnen, zumal diese ohnehin sehr oft nur ein ideologisches Gemisch aus dem gerade modischen Zeitgeist sind und keine wirklich »eigenen« Ideen. Wie immer man es dreht und wendet, »wohlerworbene Rechte« wird man infrage stellen und vielleicht auch aufgeben müssen, wenn sie mit dem »Willen Gottes« nicht wirklich vereinbar sind. Denn junge, anspruchsvolle, sich nach Gott sehnende Menschen werden sich nicht einer Gemeinschaft anschließen wollen, die ihnen als »Haufen religiöser Individualisten« gegenübertritt, in der jeder »seine eigene Meinung« vertritt, »sein Leben selbst gestaltet« und bei jeder Gelegenheit betont, der Papst sei ja »auch nur ein Mensch«. Was mit solchen Sprüchen zur Verteidigung der eigenen Unveränderlichkeit gemeint ist, zeigt das kleine ironische Lächeln, das solche Sprechblasen zu begleiten pflegt. Beginnen könnte man auch damit, über den Gehorsam gegenüber der Kirche nachzudenken, gegenüber ihrer Lehre, gegenüber den liturgischen Vorgaben bis hin zur Überlegung, ob das Ordensgewand oder die priesterliche Kleidung nicht doch der Sache Gottes dient. »Vorkonziliare Enge«? Abgesehen von der Frage: Wo und wann hätte das Konzil diese »Dinge« relativiert? Gilt nicht auch für die Kirche der Satz: Bevor man eine Mauer abreißt, sollte man nachdenken, warum man sie gebaut hat.

      Mit diesen Gedanken lege ich kein fertiges Konzept vor. Sie möchten nur dazu anregen nachzudenken! Vor Kurzem erzählte mir eine Frau von einem österreichischen Kloster, das mit solchen Reformen bescheiden angefangen hat – und jetzt wieder mehrere Novizen hat. Ich bleibe dabei: Wenn man will, dass das eigene Kloster, die eigene Gemeinschaft, das diözesane Priesterseminar wieder aufblühen sollen, müsste man in diese Richtung denken und dann die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.

      Noch einmal: Ja, der genannte Provinzial hat recht, ein solches Programm ist keineswegs »einfach«. Nein, im Gegenteil, dieser Weg führt durch eine »enge Pforte«. Aber was im Evangelium ist schon »einfach«, »locker«, zeitgemäß« und »politisch korrekt«? Ja, tatsächlich, es wäre ein anspruchsvolles Vorhaben, wenn sich eine Klostergemeinschaft, die an der beschriebenen Krankheit, die zum Tod durch Aussterben führen könnte, leidet, aufmachen würde und die dazu notwendigen Schritte setzte. Der Einwand wird sicher kommen: Führen die Vorschläge nicht »hinter das Konzil« zurück? Was heißt in solchem Zusammenhang die Richtungsbezeichnung »zurück«? Abgesehen von der »Hermeneutik der Kontinuität« (Papst Benedikt XVI.) und auch abgesehen davon, dass es keine »Kirche des Konzils« gibt, sondern nur eine einzige Kirche, die schon seit rund 2000 Jahren durch die Geschichte wandert, sich wandelnd und doch immer als dasselbe Volk Gottes von Heiligen und Sündern: »Wenn man am Rand eines Abgrunds steht, ist der Schritt zurück ein Fortschritt« (Erzbischof Johannes Dyba). War nicht auch die von Johannes dem Täufer und mit noch größerer Vollmacht von Jesus gepredigte »Umkehr« ein Aufruf, endlich bestimmte »Schritte zurück« zu machen? Es ist schon so: Mancher Fortschritt beginnt mit einem »Rückschritt«, der in eine neue Zukunft, »nach vorn«, führt! Auch das »Zurück-zur-ersten-Liebe« ist kein negativ zu wertendes »Zurück«, sondern ein wunderbarer Fortschritt – in der Ehe, aber auch im religiösen Leben. Man könnte auch bedenken: Techniker machen sogar Fortschritte, indem sie uralte Strukturen und Verhaltensweisen von Tieren erforschen, die sich über Jahrtausende bewährt haben. Und: Ordnungen und Strukturen, die manche Gemeinschaften durch Jahrhunderte getragen haben, Heilige »hervorbrachten« und sogar Zeiten wie die des Nazi- oder Stalin-Terrors überleben ließen, können doch nicht so schlecht gewesen sein, dass man sie pauschal als »veraltet« diskriminieren dürfte, statt sie zu bedenken und von ihnen zu lernen. Eine »Reform der Reform« hat z. B. der Gemeinschaft der von Sr. Angelica, Gründerin des größten katholischen Fernsehsenders der Welt, nicht nur nicht geschadet, sondern die Gemeinschaft neu aufblühen lassen.

      Wenn man sich zu der skizzierten Erneuerung entschlösse, könnte man übrigens auch Mitbrüder aus anderen Gemeinschaften einladen und bitten, als »Trainer« behilflich zu sein und dazu vielleicht sogar eine gewisse Zeit lang in das Kloster zu übersiedeln.

      Einen Versuch wäre es doch wert, statt zuzuschauen, wie die Gemeinschaft, an die man als junger Mensch geglaubt und der man sich, mit Opfern verbunden, anvertraut hat, stirbt? Im Evangelium erzählt Jesus das passende Gleichnis: »Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!« (Lk 13,6–9). Wir selbst sind »Feigenbaum« und »Gärtner« in einem, die dann folgende Erholung des Baumes ist ein Versprechen Gottes.

      Also, das wäre es: Wir Ordensleute (und entsprechend auch die anderen Einrichtungen der Kirche für Priesterausbildung, natürlich auch die Frauengemeinschaften) sollten unseren »Feigenbaum« neu »aufgraben und düngen«!

      Ich füge hinzu: In der Zeit meines Ordenslebens war ich kein großes Vorbild, meine Mitbrüder wissen es. Und auch mir würde, zurück in der Gemeinschaft, ein solches Reformprogramm ziemlich schwerfallen – aber ich würde es zusammen mit den anderen Mitbrüdern versuchen, statt zu warten, ob vielleicht ich jener »Letzte« sein werde, »der das Licht ausmacht«. Der Eintritt ins Noviziat ist mir sehr schwergefallen, aber zu meiner Überraschung war ich in dieser Zeit der ersten Liebe besonders glücklich. Aber am Tag