Andreas Laun

Gegen den Zeitgeist


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Und ich wundere mich im Rückblick über so manches, was ich in den ersten Priesterjahren nicht sah, und natürlich hatte ich auch meine Krisen. Es erstaunt mich, dass ich diese mehr oder weniger gut überstanden habe. Gerade weil ich mir bewusst bin, wie leicht es hätte anders ausgehen können, verstehe ich jene Mitbrüder, die andere Wege gegangen sind, und urteile nicht über sie. Dass ich Priester geblieben und heute sogar Bischof bin, schreibe ich weder meinem Verstand zu noch meiner Kraft, sondern wirklich einzig und allein der Gnade Gottes. Man könnte auch sagen: Ohne diese bliebe es unerklärbar!

       Irgendwas glauben

      Es gibt wahrscheinlich nicht wirklich so viele Atheisten wie Menschen, die »irgendetwas« doch noch glauben, aber es nicht ungern sehen, für ungläubig gehalten zu werden. Manche merken nicht einmal, wenn sie ihren Unglauben mit Glauben vermischen wie der Mann, den ich neulich sagen hörte, er sei Atheist und wenn es ans Sterben gehe, werde er »Gott ein Schnippchen schlagen«, indem er seinen Tod selbst bestimme. Viel häufiger ist die Variante, die neulich im Bericht über einen Politiker zu lesen war: Bis zu seinem 13. Lebensjahr sei er jeden Sonntag in die Kirche gegangen und seine streng katholische Großmutter habe ihm das Bewusstsein gegeben, »dass es etwas Geistiges und Überirdisches gebe«. Aber »die Amtskirche« habe ihm auch eine tiefe Angst vor dem Teufel eingeimpft. Darunter habe er als Bub gelitten. So weit der Bericht in der Zeitung.

      Solche »Berichte« hört man nicht selten, und ich frage mich dann, ob ich wirklich in derselben Kirche aufgewachsen bin wie z. B. dieser Politiker: Ich habe vom Teufel gehört, aber hatte nie wirklich Angst vor ihm. Umgekehrt frage ich mich, wie man an etwas so ungenau beschriebenes »Geistiges« und »Überirdisches« glauben kann. Was könnte das sein, gibt es einen rationalen Grund, an solche Gespenster-Begriffe zu glauben? Auch habe ich nie die »böse Amtskirche« erlebt, die man zu unterscheiden scheint von einer anderen, vielleicht lieben Kirche? Und was soll die eine oder andere Kirche sein, wenn man ohnehin meint, sie sei reines Menschenwerk, warum misst man ihr dann überhaupt Autorität zu? Fragen, die ich vielen Zeitgenossen gerne stellen möchte. Aber in einem Punkt nehme ich den zitierten Politiker sehr ernst: mit seiner Teufelsangst, denn darüber sollte man wirklich sprechen: Also, was ist mit dem Teufel? Gibt es ihn, wer ist der Teufel, haben wir Grund, ihn zu fürchten, was kann er denn tun, dass wir ihn und damit auch die Hölle – der Begriff gehört dazu – fürchten sollten, und nicht zuletzt: Gibt es einen Schutz gegen ihn? Dieser Schutz liegt auch im Weihwasser und erst recht in den Sakramenten und im ganzen Leben im Glauben.

       Abtreibung – und was die Kirche tun sollte!

      Wie gut tut es zu hören, dass die Kroaten die »Homo-Ehe« in einem Volksreferendum entschieden abgelehnt haben und jetzt die Definition der Ehe als Verbindung von Mann und Frau in die Verfassung schreiben. Und auch in anderen Ländern beginnen die Menschen, sich gegen Homo-Ehe und die Gender-Ideologie zu wehren. Auch im Kampf gegen die Abtreibung tut sich etwas und es ist vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber doch schön zu hören: Heute hat man mich zu einer Kundgebung in den Niederlanden eingeladen, aber ich musste absagen, weil an demselben Tag eine solche Kundgebung auch in Salzburg stattfindet! Vielleicht bahnt sich eine Art »Frühling« an, in dem das Leben erwacht ohne Gewalt und hoffentlich viel erfolgreicher als der bislang missglückte »Arabische Frühling«!

      Mit Blick auf diese Entwicklung: Natürlich ist die katholische Kirche ein, letztlich das einzig unbezwingbare Bollwerk zum Schutz des Lebens. Aber dennoch muss man zugeben: Das lebensfeindliche Gift der Abtreibungslobby hat auch Katholiken erreicht und dies in einem unvorhersehbaren Ausmaß. Etwa so, dass in Religionsbüchern nicht mehr klar ist, ob die Frau nicht doch das Recht haben soll, sich für eine Abtreibung »zu entscheiden«. Oder dass ein Bereichslehrer für Religion einer jüngeren Kollegin vorschreiben will, über Abtreibung nur »ergebnisoffen« zu sprechen und nicht die offizielle Lehre der Kirche zu unterrichten. Und ein letztes, selbst erlebtes Beispiel: Bei einer Tagung über Missbrauch meinte der »katholische« Redner, die Kirche müsse endlich ihre Haltung zu Sexualität und auch zu Abtreibung ändern. Meinen Einspruch quittierte die Mehrzahl der Anwesenden mit Buhrufen! Wir hätten nicht Papst Franziskus gebraucht, um zu wissen, was er jetzt der Welt wieder einmal mehr gesagt hat. Aber wie gut, dass er es getan hat und wie:

      »Unter den Schwachen, deren sich die Kirche mit Vorliebe annehmen will, sind auch die ungeborenen Kinder. Sie sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann. […] Gerade weil es eine Frage ist, die mit der inneren Kohärenz unserer Botschaft vom Wert der menschlichen Person zu tun hat, darf man nicht erwarten, dass die Kirche ihre Position zu dieser Frage ändert. Ich möchte diesbezüglich ganz ehrlich sein. Dies ist kein Argument, das mutmaßlichen Reformen oder ›Modernisierungen‹ unterworfen ist. Es ist nicht fortschrittlich, sich einzubilden, die Probleme zu lösen, indem man ein menschliches Leben vernichtet« (Evangelii gaudium, 213, 214).

      Hätten wir es schon gewusst, unnötig, darauf hinzuweisen? Nein, wie gut, dass Papst Franziskus es noch einmal gesagt hat, auch wenn seine Vorgänger es schon gesagt hatten und seine Nachfolger es wieder sagen werden!

      Positiv bleibt, dass es kaum einen Priester zu geben scheint, der einigermaßen offen »pro choice« eintritt, erst recht keinen Bischof. Und doch, ganz »heil« ist die Lage trotz allem nicht. Denn man kann das »Nein!« zu Abtreibung nur flüstern, man kann es an ein Gremium delegieren, man kann es in einem Hirtenbrief verstecken! Oder man kann es laut von den Dächern rufen, unermüdlich rufen und prophetische Zeichen setzen, sodass es in der Öffentlichkeit nicht mehr überhört werden kann. Darum geht es und dazu wären drei Schritte nötig, bei denen die Bischöfe als Hirten vorausgehen sollten:

      Erstens sollten die Bischöfe den Dialog und die Zusammenarbeit mit Pro-Life-Gruppen suchen und pflegen. Die Bischöfe sollten sich für dieses Thema Zeit nehmen, viel Zeit! Wenn man sich Zeit nimmt für Gremien, in denen nicht selten unkundige Leute über eher unbedeutende Dinge reden, wie viel mehr Zeit sollte man einsetzen, um über den Schutz und die Rettung der Ungeborenen mit denen zu reden, die das Thema Abtreibung nicht nur intellektuell wirklich kennen, sondern auch aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung, erworben im Ringen um jedes Menschenleben, zum Beispiel durch den Straßendienst, »Wissende«. Die Bitten um einen solchen Dialog wurden im Fall des großen, verdienstvollen Pro-Lifers Bernward Büchner, wie ich bestürzt lese, fast immer nur abgelehnt! Aber müsste nicht jeder Christ sozusagen »alles liegen und stehen lassen«, um mitzuhelfen, Menschen zu retten?

      Besonders schlimm und ungerecht ist es, sich die Lebensschützer samt und sonders vom Leib zu halten mit Behauptungen, sie seien zu »emotional« und »unsachlich« oder zu »radikal«! Falsch: Über den Massenmord an Kindern kann man nicht »cool« reden. Die Emotion, die das Reden und Handeln begleitet, ist in solchen Fragen einzig die »sachliche, rationale, angemessene Reaktion«. Dasselbe gilt für das abwertend gemeinte Beiwort: »radikale« Abtreibungsgegner! Es gibt viele Bereiche, in denen man nur »radikal« dafür oder auch dagegen sein kann, nicht aber »nur ja nicht radikal«! Man kann nur radikal gegen Völkermord sein und auch radikal für den Glauben an Christus, wobei in diesem Zusammenhang »radikal« niemals Gewalttätigkeit mit einschließt. »Radikal« war Mutter Teresa in ihrem Dienst für die Armen, Franz Jägerstätter war radikal gegen Hitler eingestellt. Ungerecht ist es auch, Leute, die für das Leben und gegen Abtreibung kämpfen, pauschal als Fanatiker oder Psychopathen zu verunglimpfen, mit denen man nichts zu tun haben will und sich besser nicht sehen lässt! Sogar wenn der eine oder andere von ihnen wirklich psychisch nicht im Gleichgewicht sein sollte: Wäre es nicht höchste Zeit, sich selbst zu fragen, ob er oder sie nicht doch zumindest »auch recht« hat? Oder würde man nicht nachschauen, wenn ein solch angeblicher Fanatiker »Feuer!« riefe, weil es vielleicht wirklich brennt und es ohnehin schon nach Rauch stinkt? Werden nicht irgendwann viele von uns versucht sein zu sagen: »Das haben wir nicht gewusst!«, und dabei denken: Wir hätten vielleicht doch auf die »Fanatiker« und »Psychopathen« hören sollen, deren Art uns unangenehm war, dann hätten wir es wissen können! Der erste Imperativ wäre: Die Kirche