Ruth Ketzer

Ambulante Pflege in der modernen Gesellschaft


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als organisierte Hilfen hinzukommen – dies geschieht indes getrennt von den o. g. Pflegeleistungen, tendenziell als Laienhilfe und ebenfalls auf kleine Zeitfenster beschränkt.

      Die Koordination des Pflegearrangements für Frau oder Herr Meier obliegt in der Regel diesen selbst – bzw. in der Realität meist verfügbaren Angehörigen: Diese suchen selbst diejenigen Dienste und Helfer, die das häusliche Arrangement arrondieren; dabei werden zuweilen Beratungen (z. B. in Pflegestützpunkten) wahrgenommen; doch die Informationen dort bleiben allgemeiner Natur, müssen die Berater doch im Hinblick auf Anbieter neutral bleiben. Es gilt als normal, dass Unterstützungsbedürftige bzw. ihre Angehörigen einen Pflegedienst und Betreuungsangebote eigenständig am Markt auswählen, nach Maßgabe vermuteter oder in Werbebotschaften behaupteter Eigenschaften – nicht zuletzt bezüglich der (vermeintlichen) Angebotsqualität. Nutzer gelten als Verbraucher, sie sollen kontrollieren, was die externen Helfer leisten – und (ggf. mit einem Anbieterwechsel) reagieren, wenn sie unzufrieden sind.

      Letztlich müssen Frau oder Herr Meier bzw. ihr privates Umfeld sehen, wie sie mit diesem Ordnungsmodell klar kommen. So ganz will sich die Gesellschaft – genauer: das Gefüge der von der Sozialpolitik instruierten Instanzen – auf diese Form der »Interventionssteuerung« allerdings nicht verlassen: Auch weil die Hilfe (zumindest teilweise) durch parafiskalische Abgabesysteme finanziert wird, behalten sich Geldgeber und staatliche Aufsichten eine eigene, rechtlich ausgefeilte Qualitätssicherung vor. Zumindest für die (ver-)öffentlich(t)e Meinung scheint die formalisierte Anbieterkontrolle im Stile eines »Pflege-TÜVs« (des MDK) die einzige Möglichkeit zur Sicherung angemessener Versorgungsleistungen. Wenn die vermeintlichen Kunden der Dienste frei zugängliche, offiziell »verbriefte« Leistungsbewertungen kennen, verschwinden schlechte Qualitäten vom Markt – so die Leitvorstellung. Bei den Kostenträgern schwingt auch die Hoffnung mit, man könne (zukünftig) für schlechte Qualität, oder besser: bei Nicht-Erfüllung bestimmter formaler Richtwerte, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ausgaben einsparen und Leistungsdruck ausüben.

      Dieses Steuerungsregime basiert seinerzeit auf weiteren »typischen« Normalitätsannahmen: Man kann (auch gemeinnützig) organisierten Hilfsangeboten nicht (mehr) trauen; nur scharfe Kontrollen und Sanktionen tragen dafür Sorge, dass ordentlich gepflegt wird, und nur eine (quasi-)marktförmige Ausgestaltung des Unterstützungssystems kann sicherstellen, dass Ressourcen nicht verschwendet werden. Dieses Gefühl ist bei Herrn oder Frau Meier bzw. den Angehörigen vielleicht eher diffus ausgebildet – aber die zuständigen Instanzen und ihre Diskurse lassen keinen Zweifel daran, dass mit diesem Regime die Bewältigung der Pflegebedürftigkeit für die Betroffenen und ggf. ihre Angehörigen nicht nur möglich, sondern – sofern alle ihre Pflicht erfüllen – im Sinne anerkannter ethischer Normen vollumfänglich leistbar ist.

      Letzteres entspricht freilich nur selten dem, was die Betroffenen erleben, und das ist wenig überraschend. Denn die Organisation des Leistungsangebots provoziert eine Engführung des Versorgungsgeschehens. Die Interventionen werden von Unternehmen angeboten, die ihre Nutzer als Kunden bezeichnen, mit ihresgleichen konkurrieren und angesichts begrenzter Refinanzierungen (aus Sozialkassen) mit knappen Ressourcen »Minutenpflege« betreiben, indem sie Auftragslisten abarbeiten bei nicht Vor(her)gesehenem mit Aufmerksamkeit sparen. Privat-gewerbliche Anbieter können Gewinne machen, gemeinnützige mit ungünstigen »Produktionsstrukturen« stehen unter ständigem Kostendruck. Überall muss einem potenziell unbegrenzten Hilfebedarf mit Grenzziehungen begegnet werden, breit gefächerte Unterstützungsmöglichkeiten und -erwartungen müssen in enge(re) Arbeitsrollen gezwängt werden, die Organisationsführung muss viel versprechen, kann dies aber oft nicht halten.

      Die Herausforderungen für das Management der Dienste sind dementsprechend beträchtlich. Vielfach vertraut man auf Patentrezepte aus dem Repertoire von Unternehmensberatungen und gewerblichen Unternehmen: quasi-industrielle Einsatzplanung, Dienstleistungserbringung als Kundenbeziehung, Kommunikationen nach innen und außen im Stile einer Geschäftslogik. Allerdings wird häufig spürbar, dass vieles Fassade ist und die Diskrepanz zwischen Unterstützungsanspruch und Versorgungswirklichkeit unter den bestehenden Bedingungen schwer überbrückbar ist. Insofern besteht Bedarf an Orientierung und kreativen »Überlebenstipps«.

      Aachen, Königswinter, Bad Kreuznach, Frankfurt, im Mai 2020

      2 »Ich möchte zuhause gepflegt werden« Sozialwissenschaftliche und anthropologische Perspektiven auf die Ethik des ambulanten Arbeitsbereiches

      Renate Adam-Paffrath

      Im ersten Teil wird eine sozialwissenschaftliche und anthropologische Perspektive auf die Ethik des ambulanten Arbeitsbereichs entfaltet. Pflege zuhause ist nicht mehr nur eine Privatangelegenheit der Betroffenen. Sie unterliegt vielmehr gesellschaftlichen komplexen Einflüssen. In einer philosophisch-ethischen Perspektive wird der ambulante Arbeitsbereich mit Hilfe eines kurzen historischen Überblicks beobachtet: Wie wurde das, was wir vorfinden zu dem, wie es sich darstellt? Die Relevanz des Umfeldes, in dem ambulante Pflege sich vollzieht, wird verdeutlicht über die Begriffe Heimat, Ort und Wohnung vor einer philosophischen Perspektive anhand von zwei Weltbildern (Descartes und Heidegger) hin zu den ethischen Zusammenhängen zwischen Mensch, Umwelt, Pflege und Gesundheit. Chronisch kranke und alte Menschen zuhause pflegen bedeutet oft, dies über einen längeren Zeitraum zu tun. Dabei sind die Rolle bzw. der Status der Pflegenden, die von außen in den privaten Bereich (bspw. des Ehepaars Meier) hineinkommen, nicht immer eindeutig geklärt. Kommen sie als Gast ohne Einladung und ohne Gastgeber in den Haushalt und den Privatbereich der zu Hause lebenden auf Pflege angewiesenen Menschen? Unterschiedliche Abhängigkeitsmuster, chronische Überlastungserfahrungen, die bis zur Ausbeutung gehen können durch die Erwartungshaltungen der Familien forciert werden. Die (Angst um die) Finanzierung des (bezahlbaren) Umfangs der Pflege laufen beständig als Determinanten im Hintergrund mit und wirken sich auf die Interaktionsebene zwischen Angehörigen, pflegebedürftigen Menschen und Pflegefachkräften aus. Ambulante Pflege vollzieht sich innerhalb der Wohnung, als Habitat der pflegebedürftigen Menschen. Sie stellt gleichermaßen ein Biotop und ein Psychotop als persönlichen Lebensraum dar. Das Zuhause ist ein wichtiger und für pflegebedürftige Menschen zunehmend wichtiger werdender Bestandteil der Kontinuität in der Lebenswelt – auch des Ehepaars Meier. Es ist als privater Raum – mit Hannah Arendt gesprochen – der Gegenentwurf zum öffentlichen Raum. Von den nahezu 2,6 Mio. Menschen, die zu Hause gepflegt werden (76 % aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland), werden 1,76 Mio. Menschen ausschließlich von ihren Angehörigen mit gepflegt. Weitere 830.000 pflegebedürftige Menschen (32 % aller pflegebedürftigen Menschen, die zuhause leben) erfahren Unterstützung durch ambulante Dienste (Pflegestatistik 2017). Der Einfluss politischer und gesellschaftlicher Vorstellungen zu Art und Weise, wie die Pflege zuhause zu sein hat, hat seit Einführung der Pflegeversicherung (Mitte der 1990er Jahre) stark zugenommen. Im Beitrag wird dies anhand der vier Metaparadigmen Person, Umwelt, Gesundheit und Pflege verdeutlicht, um das Wirkgefüge auf das Ehepaar Meier zu veranschaulichen. Die philosophisch-ethische Perspektive auf Sorge und Fürsorge und damit