B. die Wandlung von Immobilität im Krankenhaus in Mobilität im eigenen Zuhause. Dort sind die vertrauten Menschen und Tiere, die Möbel, die umstrittenen Teppiche (Sturzgefahr), der Wille das Bett zu verlassen, weil in der Tagesstruktur Verantwortungen anfallen, wie z. B. der Haushalt/Garten gestaltet werden muss, etc. Diese ganz eigene, individuelle Anordnung von Raum-Zeit-Dimensionen und Gewohnheiten/Rituale sind das Bedingungsgefüge einer Sinnstiftung in der Lebenswelt der Betroffenen. Gleichzeitig ist dieses Bedingungsgefüge möglicherweise gekoppelt an die Angst vor Verlust der Autonomie und der Heimat, weil die Gefahr, wieder ins Krankenhaus oder womöglich in ein Pflegeheim zu kommen, immer präsent ist.
2.2.1 Zuhause gepflegt werden – Garant für Sicherheit und Geborgenheit (?)
Gerade die Generation des Falls Meier, die größtenteils heute krank und pflegebedürftig ist, hat durch die Kriegsjahre elementare Verluste in Bezug auf Sicherheit, wie z. B. Wohnungslosigkeit, Hunger, erzwungene Ortsveränderungen durch Flucht etc., erlebt. Nicht umsonst gibt es gerade in Deutschland ein ausgeprägtes Versicherungswesen, das dem Wunsch der Bevölkerung nach Absicherung jedweder Lebensrisiken nachkommt. Die Absicherung von Not, so wie sie nach dem 2. Weltkrieg im Nachkriegsdeutschland auftrat, sollte z. B. durch die Einführung des Bundessozialhilfegesetzes in den 1960iger Jahren abgemildert werden. Die Einführung der Pflegeversicherung komplettierte als fünfte Säule des Sozialversicherungswesens die (teilweise) Absicherung der Bürger vor dem Risiko der Pflegebedürftigkeit (Conze 2009).
Das Ehepaar Meier profitiert heute von dieser Entwicklung, können doch beide im Falle der Pflegebedürftigkeit Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Dabei gibt es vielfältige Anforderungen für das Ehepaar an den Bezug solcher Leistungen, die bewältigt werden müssen. Das Prinzip der Pflegeversicherung »ambulant vor stationär« soll dem Wunsch vieler pflegebedürftiger Menschen nach Sicherheit3 und Geborgenheit ansatzweise gerecht werden. Für die Betroffenen steht das Zuhause synonym für ihre persönliche Sicherheit. Dieser Aspekt ist nicht unerheblich, gerade dann, wenn körperliche, kognitive oder psychische Einschränkungen durch Krankheit zunehmen.
In den klassischen Pflegetheorien ist für die Sicherheit der anvertrauten Patienten das professionelle Pflegepersonal in den unterschiedlichen Settings zuständig. Sicherheit bedeutet hierbei nicht nur die Einhaltung von Hygienevorschriften (Stichpunkt Patient Safety), sondern auch die Beobachtung von Veränderungen und die Einleitung von Interventionen, die für die Sicherheit des Patienten notwendig sind.
In der Tradition von Virginia Henderson (1966) befassten sich die klassischen Pflegetheoretikerinnen Nancy Roper, Winifred Logan und Alison Tierney (1976), Liliane Juchli (1983) und Monika Krohwinkel (1994) in ihren Pflegetheorien mit dem Thema Sicherheit (vgl. Kirkevold 1997, S. 55). Ich möchte die Lebensaktivität »Für sichere Umgebung sorgen« herausgreifen, weil sie eine der elementarsten Aufgaben der Pflege in der täglichen Praxis ist. Warum diese Aktivität und nicht die anderen?
Für die Pflegetheoretikerinnen sind es die vielen täglichen Handgriffe, die ein Mensch zur Sicherung seiner Umgebung am Arbeitsplatz oder zu Hause durchführt. Sie beschreiben die schutzorientierten Aufgaben des professionellen Pflegepersonals auf der Metaebene z. B. des Modells des Lebens von Roper, Logan, Tierney (1987). Nach ihrem Verständnis muss der Mensch körperlich, geistig und seiner Entwicklungsstufe gemäß in der Lage sein, für sich selbst eine sichere Umgebung zu schaffen. In dieser Beschreibung wird deutlich, dass sich hinter dem Begriff Sicherheit sehr verschiedene Aspekte verbergen.
Ausgehend von den Grundbedürfnissen des Menschen nach Obdach, Nahrung, Kleidung, Liebe und Anerkennung wird in diesen Theorien davon ausgegangen, dass Menschen selbstständig und aktiv diese Bedürfnisse befriedigen können. Zwischen den Grundbedürfnissen des Menschen liegt das Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Krankheit. In diesem Verständnis bietet die Krankenpflege Hilfe zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des kranken Menschen an, wenn er diese nicht mehr selbstständig befriedigen kann. Im Weltbild dieser Theorien ist der Mensch ein selbständig handelndes Individuum, das seine Bedürfnisse auf die ihm eigene Weise und vor seinem kulturellen und sozialen Hintergrund ausdrückt und sich diese selbst erfüllen kann.4
Für das Ehepaar Meier hat der Wunsch, zuhause gepflegt zu werden, Vorrang vor allen anderen möglichen institutionellen Lösungen. Das eigene Zuhause vermittelt eben jene Sicherheit und Geborgenheit, die notwendig ist für einen positiven Krankheitsverlauf. Um mit dem Modell der Salutogenese von Aaron Antonovsky (1923–1994) zu erklären, spielt bei Krankheit, das eigene Zuhause insofern eine Rolle, weil es ein Ort ist der Handhabbarkeit, Verstehbarkeit von Lebenszusammenhängen und Kontrolle ist. Die lebensnotwendige Selbstbestimmung mit dem Gefühl das eigene Leben gestalten zu können ist zuhause eher möglich als in institutionellen Settings. Das Zuhause bietet durch die Dinge, die in der Alltagspraxis getan werden müssen einen Sinn sowie die Reduktion von Komplexitäten die von außen kommen. Diese Merkmale stellen das Kohärenzgefühl für viele Lebensbereiche her und geben Antwort auf die Frage wie Gesundheit entsteht (Antonovsky 1997).
Eng verbunden mit dem Begriff der Sicherheit ist auch die Geborgenheit, die bisher noch wenig erforscht ist. Das Phänomen der Geborgenheit erweitert den Begriff der Sicherheit im Sinne eines Lebensgefühls. Hans Mogel, befragte in einer Untersuchung 1.995 Menschen unterschiedlichen Alters, was für sie der Begriff der Geborgenheit beinhaltet. Unter dem von ihm benannten Geborgenheitsbegriffen ist die Sicherheit der zentralste Begriff für 80 % aller Befragten. Als wesentliches Merkmal gehört die Sicherheit zum Erleben von Geborgenheit. »In dem Wort Geborgenheit steckt das ›Bergen‹ genauso wie das ›Verbergen‹. Etwas aus dem Verborgenen herauszuholen, um seine Unzulänglichkeit, vielleicht auch Unbestimmtheit aufzulösen, heißt, sich seiner selbst sicher zu sein oder es für andere zu sichern, bevor es unter Umständen andere tun.« (Mogel 2016, S. 29).
Gerade im letzten Textabschnitt des Zitates sind die vielfältigen Aufgaben der Pflege enthalten, wenn es z. B. darum geht Beobachtungen bei Patienten einen Namen, einen Wert oder eine Bedeutung zu geben und weitere Interventionen zu veranlassen. An dieser Stelle ist es für Patienten oft der »unsichere Moment«, der durch Krankheit im Sinne eines Ausnahmezustandes entsteht. Unsicherheiten, wie das Nicht-Vorhersehbare oder Zukunftsangst, können zu existentiellen Lebenskrisen werden, die professionell Pflegende im Alltag erleben. Dieser Moment äußerster Verwundbarkeit eines Menschen ist auf einen hohen Akzeptanzgrad von außen angewiesen. Nicht umsonst ist die bedingungslose Akzeptanz für die Geborgenheit wichtig. Mogel benennt noch weitere Geborgenheitsbegriffe, wie Wohlbefinden, Wärme, Liebe Glück, Vertrauen, sich Zu-Hause-Fühlen, Sorglosigkeit, Umgebung, Zufriedenheit, bedingungslose Akzeptanz, Familie (Mogel 1995). Joachim Finke (1992), beschreibt eine Art Kontinuum der Wandlungsfähigkeit das für Geborgenheit notwendig ist. Es sind die sechs folgende Aspekte:
1. Um sich geborgen zu fühlen, wird eine »schützende Abschirmung« notwendig. Dennoch sind mitmenschliche Strukturen für den Erhalt der Geborgenheit wichtig.
2. Für die Abschirmung sind eine zeitliche Beständigkeit und ein Zulassen dieser Beständigkeit erforderlich. Geborgenheit benötigt eine Art Statik um sich zu entfalten, bei einer gleichzeitigen Dynamik, dies bedeutet, dass Geborgenheit ständig in Gefahr ist verloren zu gehen.
3. Die Abschirmung setzt eine gewisse äußere Ordnung voraus, beinhaltet aber gleichzeitig die Möglichkeit der Freiheit und der vollen eigenständigen Wesensentfaltung.
4. Wenn es eine äußere Ordnung gibt so gibt es auch eine innere Ordnung- Geborgenheit setzt Angstfreiheit, innere Ruhe, ein freies Gewissen voraus.
5. Geborgenheit ist kein reiner Selbstzwecksie benötigt Sinn- und Wertehorizonte.
6. Geborgenheit kann nicht unter Zwang herbeigeführt werden
Sicherheit und Geborgenheit sind wichtige Komponenten in der Pflege zuhause, die in der Alltagspraxis eher selbstverständlich, unsichtbar und damit als normaler Status von allen Beteiligten hingenommen werden. Die Bedeutung dieser Komponenten wird erst im Moment von kritischen Lebensereignissen, wie Krankheit mit den verbundenen Einschränkungen, bewusst.