unterstützen heute sogar die „Ehe für alle“ und Gender-Mainstreaming.21 Mit der kirchlichen Lehrverkündigung hat eine solche Einbeziehung natürlich nichts zu tun, eher mit einer willkürlichen Interpretation der überlieferten Botschaft und einer Geringschätzung der menschlichen Natur.
Eine umfangreichere, ausgewogene Darstellung über das Verhältnis von Christentum und Populismus bleibt ein Desiderat der Forschung. Eine solche Monografie müsste auch Veränderungen der Sichtweise über das Volk in beiden Kirchen berücksichtigen. Im katholischen Raum gab es bereits vor über einem halben Jahrhundert entscheidende Umbrüche: War Kirche im Grunde genommen vor dieser Zäsur stark elitär und in wichtigen Fragen primär oder ausschließlich auf den Klerus bezogen, kann man seither Neuorientierungen auf allen Ebenen beobachten. Der Gedanke des „Volkes Gottes“ wurde in der Theologie bereits vor dem Zweiten Vaticanum mitunter reflektiert22; infolge des Zweiten Vaticanums bekam er einen neuen Stellenwert, der sich seinerseits wiederum theologisch niedergeschlagen hat23. In linkskatholischen Aufbrüchen und Kreisen, etwa in Südamerika, erhielt er schnell eine politisch-progressive Ausrichtung. In den letzten Jahren ist man gegenüber dieser anscheinend demokratisierend wirkenden Redeweise wieder etwas kritischer geworden.24 Ein wichtiger Grund liegt in dem seit 1945 nicht mehr unproblematischen Verhältnis zwischen dem Alten und dem Neuen Volk Gottes (vor allem im Hinblick auf die Ablösung Israels durch die Kirche).
Sieht man von politischen Streitthemen im Einzelfall einmal ab, ist die Einordnung zwischen dem realen Christentum und sogenannten „Populisten“ auch aus einem anderen Grund nicht einfach. Die liberalen, längst global organisierten Eliten – nennen wir exemplarisch Angela Merkel, George Soros, Emmanuel Macron und Hillary Clinton – propagieren trotz aller unterschiedlichen Vorstellungen letztlich eine Agenda, die man vereinfacht als „Neue Weltordnung“ bezeichnen kann. Deren Eckpfeiler sind ein multilaterales Handelsnetzwerk, länderübergreifende politische Eingriffe und schrankenlose Migration. Dieser Gedanke von der „Einen Welt“, der wichtige Vorläufer in Freimaurertraktaten der Zeit der Aufklärung und noch danach erkennen lässt, ist vom katholischen Lehramt mehrfach verurteilt worden – und das mit Recht, wird doch auf diese Weise der Auftrag zur Bekehrung der ganzen Welt für rein profane Aktionen instrumentalisiert. Gerade deshalb ist es irritierend, wenn Papst Franziskus den Eindruck erweckt, er mache sich den vom „Wall Street Journal“ verliehenen Titel „Führer der globalen Linken“ zu eigen.25 Protestiert hat er dagegen nicht; jedenfalls drang nichts davon an die Öffentlichkeit. Zum globalistischen Habitus des gegenwärtigen Oberhauptes der katholischen Kirche gehört auch das Verfassen von gemeinsamen, stark relativierenden Erklärungen, wie 2019 in Abu Dhabi mit dem Kairoer Großimam geschehen.26 Dazu passt sein warmherziger Empfang der schwedischen Schulverweigerin Greta Thunberg, die von mächtigen, global operierenden Organisationen wie der radikalen Umweltgruppierung „Extinction Rebellion“ instrumentalisiert wird. Zur Debatte um den menschlichen Anteil am Klimawandel, dessen Bekämpfung spätestens seit der Gründung der UN-Unterabteilung IPCC als Teil einer weltumspannenden Agenda gilt, können pseudoprophetische Halbwüchsige jedoch nichts beitragen.27 Weiter werden Franziskus nicht zu Unrecht Vorlieben für die Auflösung von Nationen und Ethnien nachgesagt. Dessen ungeachtet führt historisch gesehen kein Weg von der katholischen Glaubenslehre zum liberalistisch-individualistischen Gedankengut der weltweit einflussreichen Eliten. An dieser Kluft ändert auch die Tatsache nichts, dass einige höhere Kirchenführer sich dem Establishment zugehörig fühlen. Wer die katholische Lehrverkündigung über die Jahrhunderte auch nur oberflächlich kennt, weiß um ihre liberalismuskritische Ausrichtung.
Nur am Rande zu erwähnen ist, dass Visionäre durchaus schon vor längerer Zeit den Schulterschluss des katholischen Kirchenoberhauptes mit EU-Kommissaren und Nichtregierungsorganisationen prophezeit haben. Zu erinnern ist an den im Original Mitte der 1990er-Jahre auf den Markt gekommenen, leider zu wenig rezipierten Roman „Der letzte Papst“ von Malachi Martin SJ (1921–1999).28 Der Autor, ein Geistlicher und zeitweiliges Mitglied der Gesellschaft Jesu, beschreibt eine kriminelle Kardinalsclique, die am Stuhl des amtierenden Nachfolgers Petri (Papst Johannes Paul II.) sägt. Schließlich tritt das Kirchenoberhaupt zurück. Das Ziel dieser verweltlichten Kurienmitglieder, die überlieferte Glaubenslehre zu einem humanitären Weltethos umzufunktionieren, ist in der Erzählung offenkundig. Heute kann man einiges von diesem fiktionalen Szenario in der Realität wahrnehmen.
Man mag mit Recht einwenden, dass die (wenigstens lehramtliche) Kluft von Kirche und Moderne lange zurückliegt. Das Zweite Vaticanum war sichtlich um die Zuschüttung wenigstens der ärgsten Gräben bemüht. Heute sind selbst die meisten höheren Amtsträger – für den weitaus größten Teil der Laien gilt der Konformismus ohnehin – um starke Anpassung bemüht, ungeachtet des Ratschlages des heiligen Apostels Paulus: „Nolite confirmari huic saecolo.“
Gibt es Affinitäten zu den sogenannten Populisten in einigen Staaten Osteuropas? Hier stellen „Populisten“ nicht eine Minderheit dar, sondern sogar die Mehrheit. Jedenfalls regieren sie. Natürlich gibt es keine zwingenden Korrelationen von christlichen Traditionen und den politischen Vorstellungen der Regierungen in Budapest und Warschau. Eine solche Annahme wäre wohl in der Tat eine unzulässige Vereinnahmung religiöser Gedanken zugunsten politischer Zwecke.
In Erinnerung zu rufen ist, dass Viktor Orbán in einem ideengeschichtlichen Exkurs seiner viel beachteten Rede vor jungen Ungarn in Rumänien am 26. Juli 2014 eine „illiberale Demokratie“ der liberalen gegenüberstellte.29 Konkret thematisierte er die tendenzielle Entmachtung des politischen Souveräns, des Volkes, in der liberalistischen Auslegung der Demokratie. Diese Variante offenbare Affinitäten zur Herrschaft mächtiger globaler Konzerne, Organisationen und deren Interessenvertretern in verschiedenen Regierungen. Besonders registrierte er die Einflüsse des „Open.Society“-Börsenspekulanten George Soros, der vor Interventionsversuchen in seinem Herkunftsland nicht zurückschrecke. Orbáns Vorwurf an die Repräsentanten der liberalen Demokratie lautete, wohl zugespitzt, aber im Kern zustimmungsfähig: Sie überhöhten ihr System und trügen die damit verbundenen prioritären Freiheitsrechte gleich einer Monstranz vor sich her, könnten diese aber immer weniger garantieren. Grund hierfür sei zuvörderst die Akzeptanz der Masseneinwanderung durch die dominanten Eliten. Die Schlussfolgerung angesichts dieser Lagebeurteilung lautete: „Die liberale Demokratie“, so Orbán, sei „nicht mehr in der Lage, die Würde der Menschen zu schützen, Freiheit zu schaffen, die körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten bzw. die christliche Kultur aufrechtzuerhalten.“ Auch an anderer Stelle hat er seine Aversionen gegen eine rein liberale Ausdeutung der Demokratie ausgedrückt, so in der Ansprache zur Lage der Nation am 19. Februar 2018 in Budapest: „Sie wollen, dass wir […] die Politik übernehmen, die aus ihren eigenen Ländern Einwanderungsländer gemacht und dem Niedergang der christlichen Kultur und der Expansion des Islam den Weg geebnet hat. Sie wollen auch, dass wir […] Länder mit gemischter Bevölkerung werden.“ Der wahre Europäer „verteidigt solche veralteten, mittelalterlichen Konzepte wie Heimat und Region nicht“30, so der Ministerpräsident, womit er den Standpunkt seiner Opponenten süffisant wiedergab. Diese beiden Schlüsselzitate liefern die Begründung dafür, warum er die Grundausrichtung der liberalen Demokratie im Widerspruch zu jener Spielart sieht, die er „christliche Demokratie“ nennt. Letztere korreliert Orbán zufolge in zentralen Punkten mit der „illiberalen Demokratie“. Natürlich ragen in den Reden Orbáns existenziell politische Akzente heraus; er will keine ideengeschichtlichen Traktate vorlegen. Dennoch lohnt ein Blick auf geistesgeschichtliche Traditionslinien, die durchaus