Sie können ihn doch nicht einfach weglassen?«
»Nicht? Das Lied könnte doch auch um so ein kleines Stückchen kürzer sein?«
Darauf wusste Herr Pfäffling nichts mehr zu sagen. Er nahm ein in rosenrotes Seidenpapier gewickeltes Päckchen in Empfang und sagte zuletzt zu Fräulein Vernagelding, er wolle ihr nicht zumuten, vor dem 8. Januar wieder zu kommen. Darüber hatte sie eine kindliche Freude, und diese Freude, vierzehn Tage lang nichts mehr miteinander zu tun zu haben, war wohl die einzige innere Gemeinschaft zwischen dem Musiklehrer und seiner Schülerin.
In vergnügter Ferienstimmung kam er in das Wohnzimmer herüber. Er hielt hoch in seiner Rechten das eine Ende eines buntgestickten Streifens, das über einen Meter lang herunter hing.
»Da seht, was ich erhalten habe!« sagte er, »was soll's denn wohl sein? Zu einem Handtuch ist's doch gar zu schön, kannst du es verwenden, Cäcilie?« Da wurde es mit Sachkenntnis betrachtet und als eine Tastendecke für das Klavier erkannt.
»Und das soll ich in täglichen Gebrauch nehmen, immer so ein Tüchlein ausbreiten?« rief Herr Pfäffling erschreckt; »nein, Fräulein Vernagelding, das ist zu viel verlangt. Ich bitte dich, Cäcilie, ich bitte dich, nimm mir das Ding da ab!«
Herr Pfäffling hatte bis zum späten Abend keine Gelegenheit gefunden, seiner Frau von dem Gespräch mit Herrn Rudolf Meier sen. zu erzählen. Nun waren die Kinder zu Bett gegangen, Karl allein saß noch mit den Eltern am Tisch, und Herr Pfäffling berichtete getreulich die Vorgänge im Zentralhotel. Er stellte sich selbst dabei nicht in das beste Licht, aber Frau Pfäffling war der Ansicht, dass Herr Meier die Kritik seines Sohnes wohl auch in milderer Form übel genommen hätte. »Es gibt so wenig Menschen, die sich Unangenehmes sagen lassen,« meinte sie. »Und wenige, die es taktvoll anfassen,« sprach Herr Pfäffling und fügte lächelnd hinzu: »wo aber zwei solche zusammen kommen, gibt es leicht ein glückliches Paar, nicht wahr?«
Frau Pfäffling wusste, was ihr Mann damit sagen wollte, aber Karl sah verständnislos darein. »Du weißt nicht, was wir meinen,« sagte der Vater zu ihm, »soll ich es dir erzählen, oder ist er noch zu jung dazu, Cäcilie?«
»O nein,« rief Karl, »bitte, erzähle es!«
»Soll ich? Nun also: Wie die Mutter noch ein junges Mädchen war und dein Großvater Professor, da kam ich als blutjunger Musiklehrer in die kleine Universitätsstadt und machte überall meine Aufwartung, um mich vorzustellen. Fast zuerst machte ich bei deinen Großeltern Besuch. Es war Regenwetter und ich trug einen langen braunen Überrock und hatte den Regenschirm bei mir.«
»Du musst auch sagen, was für einen Schirm,« fiel Frau Pfäffling ein, »einen dicken baumwollenen grünen, so ein rechtes Familiendach, wie man sie jetzt gar nicht mehr sieht. Mit diesem Überrock und diesem Schirm trat dein Vater in unser hübsches, mit Teppichen belegtes Empfangszimmer, und er behielt den Schirm auch fest in der Hand, als mein Vater ihn aufforderte, Platz zu nehmen. Meine Mutter war nicht zu Hause, so war ich an ihrer Stelle, und mir, die ich noch ein junges, dummes Mädchen war, kam das so furchtbar komisch vor, dass ich alle Mühe hatte, mein Lachen zu unterdrücken.«
»Ja,« sagte Herr Pfäffling, »du hast es auch nicht verbergen können, sondern hast mich fortwährend mit strahlender Heiterkeit angesehen, und um deine Mundwinkel hat es immerwährend gezuckt. Ich aber hatte keine Ahnung, was die Ursache war. Dein Vater verwickelte mich gleich in ein gelehrtes Gespräch, und wenn ich dazwischen hinein einen Blick auf dich warf, so kam es mir wunderlich vor, dass du wie die Heiterkeit selbst dabei warst. Aber nun paß auf, Karl, nun kommt das Großartige. Als ich wieder aufstand, äußerte ich, dass ich im Nebenhaus bei Professor Lenz Besuch machen wollte.«
»Ja,« sagte Frau Pfäffling »und ich wusste, dass Lenzens zwei Töchter hatten, so kleinlich lieblos und spöttisch, dass jedermann sie fürchtete. Ich dachte bei mir: wenn der junge Mann im Überrock und mit dem Schirm in der Hand bei Professor Lenz in den Salon tritt, so wird er zum Gespött für den ganzen Kreis. Da dauerte er mich, und ich sagte mir, ich sollte ihn aufmerksam machen, doch war ich schüchtern und ungeschickt.«
»Du hast mich auch bis an die Türe gehen lassen,« fiel Herr Pfäffling ein, »ich hatte schon die Klinke in der Hand, da riefst du mich an, wurdest dunkelrot dabei und sagtest: ›Herr Pfäffling, wollen Sie nicht lieber ihren Überrock und Schirm ablegen?‹ Ich verstand nicht gleich, was du meintest, wollte dir doch zu Willen sein und machte Anstalt, meinen Überrock auszuziehen. Da war es aus mit deiner Fassung, du lachtest laut und riefst: ›Ich meine nicht, wenn Sie gehen, sondern wenn Sie kommen!‹ Dein Vater aber wies dich zurecht mit einem strengen Wort und setzte mir höflich auseinander, dass es allerdings gebräuchlich sei, im Vorplatz abzulegen; du aber warst noch immer im Kampf mit der Lachlust.«
»Ja,« sagte Frau Pfäffling, »so lange bis du freundlich und ohne jede Empfindlichkeit zu mir sagtest: ›Lachen Sie immerhin über den Rüpel, Sie haben es doch gut mit ihm gemeint, sonst hätten Sie ihm das nicht gesagt.‹ Da verging mir das Lachen, weil die Achtung kam.«
»Ja, Karl, so haben sich deine Eltern kennen gelernt;« schloss Herr Pfäffling.
8. Kapitel Endlich Weihnachten.
Gibt es ein schöneres Erwachen als das Erwachen mit dem Gedanken: Heute ist Weihnachten? Die jungen Pfäfflinge kannten kein schöneres, und an keinem anderen kalten, dunkeln Dezembermorgen schlüpften sie so leicht und gern aus den warmen Betten, als an diesem und nie waren sie so dienstfertig und hilfsbereit wie an diesem Vormittag. Man musste doch der Mutter helfen aus Leibeskräften, damit sie ganz gewiss bis abends um 6 Uhr mit der Bescherung fertig wurde. An gewöhnlichen Tagen schob gerne eines der Kinder dem andern die Pflicht zu, aufzumachen, wenn geklingelt wurde; heute sprangen immer einige um die Wette, wenn die Glocke ertönte, denn an Weihnachten konnte wohl etwas Besonderes erwartet werden, so z.B. das Paket, das noch jedes Jahr von der treuen Großmutter Wedekind angekommen war und durch das viele Herzenswünsche befriedigt wurden, zu deren Erfüllung die Kasse der Eltern nie gereicht hätte.
Zunächst kam aber nicht jemand, der etwas bringen, sondern jemand, der etwas holen wollte: Es war die Schmidtmeierin, eine Arbeiterfrau aus dem Nebenhaus, die manchmal beim Waschen und Putzen half und für die allerlei zurechtgelegt war. Sie brachte ihre zwei Kinder mit. Aber damit war Frau Pfäffling nicht einverstanden. »Marianne,« sagte sie, »führt ihr die Kleinen in euer Stübchen und spielt ein wenig mit ihnen, bis ich sie wieder hole.« Als die Kinder weg waren, sagte Frau Pfäffling: »Sie hätten die Kinder nicht bringen sollen, sonst sehen sie ja gleich, was sie bekommen; hat Walburg Ihnen nicht gesagt, dass wir einen Puppenwagen und allerlei Spielzeug für sie haben?« »Ach,« entgegnete die Frau, »darauf kommt es bei uns nicht so an, die Kinder nehmen es, wenn sie's kriegen, und wenn man ihnen ja etwas verstecken will, sie kommen doch dahinter und dann betteln sie und lassen einem keine Ruhe, bis man ihnen den Willen tut. Bis Weihnachten kommt, ist auch meist schon alles aufgegessen, was man etwa Gutes für sie bekommen hat. Ich weiß wohl, dass es anders ist bei reichen Leuten, aber bei uns war's noch kein Jahr schön am heiligen Abend.«
»Wir sind auch keine reichen Leute, Schmidtmeierin, aber wenn ich auch noch viel ärmer wäre, das weiß ich doch ganz gewiss, dass ich meinen Kindern einen schönen heiligen Abend machen würde. Meine Kinder bekommen auch nicht viel – das können Sie sich denken bei sieben – aber weil keines vorher ein Stückchen sieht, so ist dann die Überraschung doch groß. Glauben Sie, dass irgend eines von uns einen Lebkuchen oder sonst etwas von dem Weihnachtsgebäck versuchen würde vor dem heiligen Abend? Das käme uns ganz unrecht vor. Und wenn der Christbaum geputzt wird, darf keines von den Kinder hereinschauen, erst wenn er angezündet ist und alles hingerichtet, rufen wir sie herbei, mein Mann und ich, und dann sind sie so überrascht, dass sie strahlen und jubeln vor Freude, wenn auch gar keine großen Geschenke daliegen.«
»Bei Ihnen ist das eben anders, Frau Pfäffling, mein Mann hat keinen Sinn für so etwas und will kein Geld ausgeben für Weihnachten.«
»Haben Sie kein Bäumchen kaufen dürfen?« fragte Frau Pfäffling.
»Das schon,« sagte die Schmidtmeierin, »er hat selbst eines