kommen Sie doch auch hin. Erweisen Sie uns die Ehre, an diesem Tage mit uns zu dinieren. Für mich würde das sein, als wenn ich das Kreuz zweimal erhielte. Ich würde Ihnen vorher noch eine schriftliche Einladung zusenden.«
»Schön, ich werde kommen«, sagte Vauquelin.
»Mein Herz will mir vor Freude springen«, rief der Parfümhändler aus, als sie auf der Straße waren. »Er wird zu mir kommen. Ich fürchte, ich habe vergessen, was er über das Haar sagte, erinnerst du dich noch daran, Popinot?«
»Ja, Herr Birotteau, und in zwanzig Jahren werde ich mich noch daran erinnern.«
»Was für ein großer Mann! Was für ein Blick und was für ein durchdringendes Verständnis!« sagte Birotteau. »Eins, zwei, drei hat er unsre Gedanken erraten und uns die Wege gezeigt, um das Macassaröl zu vernichten. Ah, es gibt nichts, was die Haare wieder wachsen macht, also lügst du, Macassar! Popinot, wir haben ein Vermögen in der Hand. Morgen früh um sieben Uhr sind wir in der Fabrik, da kommen die Nüsse und dann machen wir Öl; er hat gut reden, daß jedes Öl gleich gut ist, wenn das Publikum das wüßte, dann wären wir verloren. Und wenn in unserm Öl nicht etwas Nußextrakt und Parfüm drin wäre, wie könnten wir vier Unzen davon für drei bis vier Franken verkaufen?«
»Sie bekommen den Orden, Herr Birotteau?« sagte Popinot. »Welche Ehre für …«
»Für den Handelsstand, nicht wahr, mein Kind?«
Die triumphierende Miene Cäsar Birotteaus, der seines Erfolges sicher war, wurde von den Kommis bemerkt, die sich untereinander Zeichen machten, denn die Fahrt im Wagen, die festliche Kleidung des Kassierers und des Chefs hatten sie bereits die wildesten Romane kombinieren lassen. Und Cäsars und Anselms zufriedenes Aussehen, was durch diplomatische, zwischen ihnen gewechselte Blicke bekräftigt wurde, der hoffnungsvolle Blick, den Popinot zweimal auf Cäsarine warf, ließen irgendein schwerwiegendes Ereignis erwarten und bestärkten die Kommis in ihren Vermutungen. In diesem beschäftigten und gleichsam klösterlichen Leben nahm man an den kleinsten Vorfällen dasselbe Interesse, wie es der Gefangene seinem Gefängnis zuwendet. Die Haltung der Frau Konstanze, die den olympischen Blicken ihres Mannes mit zweifelnder Miene begegnete, ließ eine neue Überraschung erwarten, denn in normalen Zeiten hätte Frau Konstanze zufrieden sein müssen, weil alle Erfolge im Detailhandel sie froh stimmten. Und außergewöhnlicherweise hatte dieser Tag eine Einnahme von sechstausend Franken gebracht; es waren mehrere ältere Rechnungen bezahlt worden.
11
Das Speisezimmer und die Küche, die ihr Licht von einem kleinen Hof her erhielt und vom Speisezimmer durch einen Korridor getrennt war, auf dem eine in einer Ecke des hinteren Ladens angebrachte Treppe mündete, lagen im Zwischengeschoß, wo sich früher Cäsars und Konstanzes Wohnung befand; das Speisezimmer, wo sie ihre Flitterwochen verlebt hatten, machte daher den Eindruck eines kleinen Salons. Während des Essens hütete Raquet, der zuverlässige Hausdiener, den Laden, wenn aber der Nachtisch aufgetragen wurde, gingen die Kommis wieder hinab und ließen Cäsar, seine Frau und seine Tochter ihre Mahlzeit allein am Kaminfeuer beenden. Diese Sitte stammte von den Ragons her, bei denen die alten Herkommen und Gebräuche, die im Handelsstande immer noch in Übung waren, jene riesige Distanz zwischen ihnen und den Kommis festhielten, wie sie früher zwischen Meister und Lehrling bestand. Cäsarine oder Konstanze bereitete dann dem Parfümhändler seine Tasse Kaffee, die er in einem Lehnstuhl am Kamin trank. Während dieser Stunde erzählte Cäsar seiner Frau die kleinen Tagesereignisse, wen er in Paris gesehen hatte, was im Faubourg du Temple passiert war und was er für Unannehmlichkeiten in der Fabrik gehabt hatte.
»Liebe Frau,« sagte er, als die Kommis hinuntergegangen waren, »heute war einer der wichtigsten Tage unseres Lebens! Die Nüsse sind eingekauft, die hydraulische Presse kann morgen zu arbeiten anfangen, das Terraingeschäft ist abgeschlossen. Verwahre doch diesen Scheck auf die Bank«, sagte er und gab ihr Pilleraults Schein.
»Die Neuausstattung der Wohnung, die vergrößert wird, ist bestellt. Mein Gott, was für einen merkwürdigen Menschen habe ich im Holländischen Hof kennengelernt!« Und er erzählte von Herrn Molineux …
»Ich sehe nur,« sagte seine Frau, ihn mitten in einer Tirade unterbrechend, »daß du zweihunderttausend Franken Schulden gemacht hast.«
»Das ist richtig, mein Kind«, sagte der Parfümhändler mit gespielter Ängstlichkeit. »Mein Gott, wie werden wir die bezahlen können? Denn die Terrains um die Madeleine kann ich ja nicht in Rechnung stellen, wo eines Tages das schönste Viertel von Paris stehen wird.«
»Eines Tages, Cäsar.«
»Ach,« sagte er, in seinem scherzenden Tone fortfahrend, »meine drei Achtel davon werden ja erst in sechs Jahren eine Million wert sein. Wie soll ich also die zweihunderttausend Franken bezahlen?« fuhr Cäsar mit Zeichen des Schreckens fort. »Nun, wir werden sie hiermit bezahlen«, sagte er und zog eine Haselnuß aus der Tasche, die er bei Frau Madou eingesteckt und sorgfältig aufgehoben hatte.
Er zeigte die Nuß zwischen zwei Fingern Cäsarine und Konstanze. Seine Frau sagte nichts, aber Cäsarine, die ihm den Kaffee brachte, fragte ihren Vater neugierig: »Worüber lachst du denn, Papa?«
Der Parfümhändler hatte, ebenso wie seine Kommis, während des Essens die Blicke, die Popinot Cäsarine zugeworfen hatte, wahrgenommen; er wollte nun über seinen Verdacht Gewißheit haben. »Nun, mein Töchterchen, diese Nuß wird eine große Umwälzung in unserm Haushalt hervorrufen.«
Cäsarine sah ihren Vater mit einem Gesicht an, auf dem geschrieben stand: »Was geht mich das an.«
»Popinot verläßt uns.«
Obgleich Cäsar ein schlechter Beobachter war und mit seinen letzten Worten zunächst seiner Tochter eine Falle stellen, dann aber auch auf die Gründung des Hauses »A. Popinot und Kompanie« kommen wollte, ließ ihn doch seine zärtliche väterliche Liebe die Verwirrung ihrer Herzensempfindungen wahrnehmen, die Rosen auf ihre Wangen und ihre Stirn malten und ihre Augen aufleuchten ließen, bevor sie sie niederschlug. Cäsar nahm daher an, daß zwischen Cäsarine und Popinot schon eine Aussprache stattgefunden hätte. Das war nicht der Fall: die beiden Kinder verstanden sich, wie alle zaghaften Liebenden, ohne ein Wort gewechselt zu haben.
Einige Psychologen sind der Ansicht, daß die Liebe die ungewollteste, uneigennützigste,