Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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er­schi­en die Zer­stö­rung auf ih­rem Gip­fel: un­ge­heu­re Ris­se durch­furch­ten die drei Flü­gel die­ses recht­wink­lig er­rich­te­ten Bau­werks. Trüm­mer von Zie­geln und Schie­fer­plat­ten wa­ren auf der Erde an­ge­häuft, und zer­stör­te Dä­cher zeig­ten eine voll­kom­me­ne Un­be­küm­mert­heit an. Et­li­che Früch­te wa­ren un­ter den Bäu­men ab­ge­fal­len und ver­faul­ten, ohne daß je­mand sie auf­sam­mel­te. Eine Kuh ging quer über den Gras­p­latz und schnup­per­te in den Bee­ten her­um, wäh­rend eine Zie­ge die grü­nen Bee­ren und Ran­ken ei­nes Wein­stocks kau­te.

      »Hier ist al­les in Über­ein­stim­mung, und die Un­ord­nung ist ge­wis­ser­ma­ßen or­ga­ni­siert«, sag­te der Oberst und zog an der Schnur ei­ner Glo­cke; aber die Glo­cke hat­te kei­nen Klöp­fel.

      Die bei­den Jä­ger hör­ten nur den ei­gen­ar­ti­gen schar­fen Ton ei­nes ver­ros­te­ten Glo­cken­zu­ges. Ob­gleich sehr ver­fal­len, wi­der­stand die klei­ne Tür in der Mau­er doch je­dem Druck.

      »Ei, ei! Al­les macht einen hier neu­gie­rig«, sag­te er zu sei­nem Ge­fähr­ten.

      »Wenn ich kein Be­am­ter wäre,« ant­wor­te­te d’Al­bon, »wür­de ich das schwar­ze Weib für eine Hexe hal­ten.«

      Kaum hat­te er die­sen Satz be­en­det, als die Kuh an das Git­ter kam und ih­nen ihre war­me Schnau­ze hin­hielt, als ob sie das Be­dürf­nis fühl­te, mensch­li­che We­sen zu se­hen. Jetzt wur­de ein Weib sicht­bar, falls man das un­be­schreib­ba­re We­sen, das sich un­ter ei­ner Grup­pe von Sträu­chern er­hob, mit die­sem Na­men be­zeich­nen kann, und zog die Kuh am Stri­cke. Die Frau hat­te auf dem Kop­fe ein ro­tes Tuch, aus dem blon­de Flech­ten her­vor­sa­hen, die dem Hanf an der Spin­del ziem­lich ähn­lich wa­ren. Sie war ohne Hals­tuch. Ein Un­ter­rock aus gro­ber Wol­le, ab­wech­selnd schwarz und grau ge­streift, der um ei­ni­ge Hand­breit zu kurz war, ließ ihre Bei­ne se­hen. Man hät­te glau­ben kön­nen, daß sie zu ei­nem Stam­me von Coo­pers be­rühm­ten Rot­häu­ten ge­hör­te, denn ihre Bei­ne, ihr Hals und ihre nack­ten Arme schie­nen mit Zie­gel­far­be an­ge­malt zu sein. Kein Strahl von In­tel­li­genz be­leb­te ihr glat­tes Ge­sicht. Ihre bläu­li­chen Au­gen wa­ren ohne Wär­me und ohne Glanz. Ei­ni­ge wei­ße dün­ne Haa­re deu­te­ten Au­gen­brau­en an. Ihr Mund end­lich war so ge­schnit­ten, daß er schlecht ge­wach­se­ne Zäh­ne se­hen ließ, die aber so weiß wie die ei­nes Hun­des wa­ren.

      »Halt da, Frau!« rief Herr de Sucy.

      Sie kam lang­sam bis ans Git­ter her­an und be­trach­te­te mit stumpf­sin­ni­gem Ge­sicht die bei­den Jä­ger, bei de­ren An­blick ihr ein schmerz­li­ches, ge­zwun­ge­nes Lä­cheln ent­schlüpf­te.

      »Wo sind wir denn? Was ist das für ein Haus? Wem ge­hört es? Wer sind Sie? Sind Sie von hier?«

      Auf die­se Fra­gen und eine Men­ge an­de­rer, die die bei­den Freun­de nach­ein­an­der an sie rich­te­ten, ant­wor­te­te sie nur mit ei­nem aus der Keh­le kom­men­den Knur­ren, das eher ei­nem Tier als ei­nem mensch­li­chen We­sen zu ge­hö­ren schi­en.

      »Se­hen Sie nicht, daß sie taub und stumm ist? sag­te der Rich­ter.

      »Bons-Hom­mes!« rief die Bäue­rin.

      »Ah, sie hat recht! Dies könn­te wohl das alte Klos­ter Bons-Hom­mes sein«, sag­te Herr d’Al­bon.

      Die Fra­gen be­gan­nen von neu­em. Aber wie ein ei­gen­wil­li­ges Kind wur­de die Bäue­rin rot, spiel­te mit ih­rem Pan­tof­fel, dreh­te an dem Strick der Kuh, die wie­der ab­zu­wei­den be­gon­nen hat­te, sah sich die bei­den Jä­ger an und prüf­te alle Tei­le ih­res An­zugs; sie kreisch­te, sie knurr­te, sie glucks­te, aber sie brach­te kein Wort her­aus.

      »Wie heißt du?« sag­te Phil­ipp und sah sie fest an, als woll­te er sie hyp­no­ti­sie­ren.

      »Ge­no­ve­fa«, sag­te sie mit ei­nem dum­men La­chen.

      »Bis jetzt ist die Kuh die in­tel­li­gen­tes­te Krea­tur, die wir hier ge­se­hen ha­ben«, rief der Rat. »Ich wer­de einen Schuß ab­feu­ern, da­mit Leu­te kom­men.«

      Gera­de als d’Al­bon sei­ne Waf­fe er­griff, hielt ihn der Oberst mit ei­ner Ges­te zu­rück und zeig­te mit dem Fin­ger auf die Un­be­kann­te, die ihre Neu­gier­de so leb­haft er­regt hat­te. Die Frau schi­en in tie­fes Nach­den­ken ver­sun­ken und kam mit lang­sa­men Schrit­ten aus ei­ner ziem­lich ent­fern­ten Al­lee, so daß die bei­den Freun­de Zeit hat­ten, sie ge­nau zu be­trach­ten. Sie war mit ei­nem ganz ab­ge­tra­ge­nen schwar­zen Sei­den­rock be­klei­det. Ihre lan­gen Haa­re fie­len in zahl­rei­chen Wel­len über ihre Stirn, um ihre Schul­tern und reich­ten bis un­ter ihre Tail­le hin­ab, in­dem sie ihr als Schal dienten. An die­se Un­ord­nung of­fen­bar ge­wöhnt, schob sie nur sel­ten ihr Haar von bei­den Schlä­fen hin­weg; dann aber schüt­tel­te sie das Haupt mit jä­her Be­we­gung und brauch­te sich nicht zwei­mal zu be­mü­hen, um ihre Stirn oder ihre Au­gen von dem di­cken Schlei­er zu be­frei­en. Ihre Ges­te zeig­te üb­ri­gens wie bei ei­nem Tier die be­wun­de­rungs­wür­di­ge me­cha­ni­sche Si­cher­heit, de­ren Schnel­lig­keit bei ei­ner Frau wie ein Wun­der er­schei­nen muß­te. Die bei­den Jä­ger sa­hen sie er­staunt auf einen Ast des Ap­fel­baums sprin­gen und sich hier mit der Leich­tig­keit ei­nes Vo­gels fest­hal­ten. Sie griff nach den Früch­ten, ver­speis­te sie, dann ließ sie sich mit zier­li­cher Läs­sig­keit, wie man sie an den Eich­hörn­chen be­wun­dert, zur Erde fal­len. Ihre Glie­der be­sa­ßen eine Elas­ti­zi­tät, die ih­ren ge­rings­ten Be­we­gun­gen je­den An­schein von Mühe oder An­stren­gung nahm. Sie spiel­te auf dem Ra­sen, ku­gel­te sich dort wie ein Kind her­um; dann streck­te sie plötz­lich ihre Füße und Hän­de aus und blieb aus­ge­brei­tet auf der Wie­se mit der Un­be­küm­mert­heit, der Gra­zie und der Na­tür­lich­keit ei­ner jun­gen Kat­ze lie­gen, die in der Son­ne ein­ge­schla­fen ist. Als der Don­ner in der Fer­ne groll­te, wand­te sie sich plötz­lich und stell­te sich mit be­wun­derns­wer­ter Ge­schick­lich­keit auf alle vie­re wie ein Hund, der einen Frem­den kom­men hört. Durch die­se merk­wür­di­ge Hal­tung schied sich ihr schwar­zes Haar so­gleich in zwei brei­te Flech­ten zu je­der Sei­te ih­res Kop­fes und er­laub­te den bei­den Zuschau­ern bei die­ser selt­sa­men Sze­ne ihre Schul­tern zu be­wun­dern, de­ren wei­ße Haut wie die Gän­se­blüm­chen auf der Wie­se leuch­te­ten, und einen Hals, des­sen Voll­kom­men­heit auf all das üb­ri­ge Eben­maß ih­res Kör­pers schlie­ßen ließ.

      Sie ließ einen Schmer­zens­schrei hö­ren und stell­te sich ganz auf ihre Füße. Ihre Be­we­gun­gen folg­ten ein­an­der so gra­zi­ös und wur­den so leicht aus­ge­führt, daß sie kein mensch­li­ches We­sen, son­dern eine der durch die Dich­tun­gen Os­sians be­rühmt ge­wor­de­nen Töch­ter der Luft zu sein schi­en. Sie ging an eine der Was­ser­flä­chen her­an, schüt­tel­te leicht ein Bein, um ih­ren Schuh los­zu­ma­chen, und schi­en ein Ver­gnü­gen dar­an zu fin­den, ih­ren ala­bas­ter­wei­ßen Fuß in die Quel­le zu tau­chen, wäh­rend sie sich je­den­falls an den Wel­len­be­we­gun­gen er­götz­te, die sie da­bei er­zeug­te und die Edel­stei­nen gli­chen. Dann knie­te sie an dem Ran­de des Bass­ins nie­der und amü­sier­te sich wie ein Kind da­mit, ihre lan­gen Flech­ten ins Was­ser zu tau­chen und sie dann schnell wie­der her­aus­zu­zie­hen, um Trop­fen für Trop­fen das Was­ser, von de­nen es voll war, hin­a­b­lau­fen zu las­sen, das, von den Son­nen­strah­len durch­leuch­tet, einen förm­li­chen Ro­sen­kranz von Per­len bil­de­te.

      »Das