Tuch und den Stoff der Wagen, um sich zu bedecken, und schliefen dann, anstatt ihren Marsch fortzusetzen und in Ruhe während der Nacht die Beresina zu überschreiten, die ein unglaubliches Verhängnis der Armee schon so verderblich gemacht hatte. Die Willenlosigkeit dieser armen Soldaten kann nur von denen begriffen werden, die sich erinnern werden, wie sie diese riesigen Schneewüsten durchwandert haben, ohne anderes Getränk als Schnee, ohne ein anderes Bett als Schnee, ohne einen andern Ausblick als auf einen Horizont von Schnee, ohne eine andere Nahrung als Schnee oder einige erfrorene Rüben und etliche Handvoll Mehl oder Pferdefleisch. Halbtot vor Hunger, Durst, Müdigkeit und Schlafsucht, langten die Unglücklichen an einem Ufer an, wo sie Holz, Feuer, Lebensmittel, unzählige verlassene Fuhrwerke und Zelte vorfanden, kurz eine ganze improvisierte Stadt. Das Dorf Studzianka war völlig zerlegt, verteilt und von den Höhen in die Ebene hinabgebracht worden. Wie kläglich und gefährlich diese Stadt war, ihr Elend und ihr Jammer lachten die Leute an, die nur die schrecklichen Wüsten Rußlands vor sich sahen. Es war nur ein ungeheures Krankenhaus, dem keine zwanzig Stunden Existenz beschieden waren. Die Mattigkeit ihrer Lebenskräfte oder das Gefühl eines unerwarteten Wohlbehagens ließ in dieser Menschenmasse keinen anderen Gedanken aufkommen als den der Ruhe. Obgleich die Artillerie des linken russischen Flügels ohne Unterlaß auf diese Menge schoß, die sich als ein großer, bald dunkler, bald flammender Fleck mitten auf dem Schnee abzeichnete, war der unermüdliche Kugelregen für die erstarrte Masse nur eine Unannehmlichkeit mehr. Es war wie ein Unwetter, dessen Blitze von aller Welt gering geschätzt wurden, weil sie hier oder dort nur auf Sterbende, Kranke oder vielleicht schon Tote trafen. Jeden Augenblick trafen Nachzügler in Gruppen ein. Diese Arten wandelnder Kadaver verteilten sich sogleich und bettelten von Herd zu Herd um einen Platz; dann, meistens zurückgetrieben, vereinigten sie sich von neuem, um mit Gewalt die verweigerte Gastfreundschaft zu erzwingen. Taub gegen die Stimmen etlicher Offiziere, die ihnen den Tod für den nächsten Tag voraussagten, verbrauchten sie das für das Überschreiten des Flusses erforderliche Quantum von Mut, um sich ein Asyl für die Nacht herzustellen und eine häufig verhängnisvolle Mahlzeit zu sich zu nehmen; der Tod, der sie erwartete, schien ihnen kein Unglück mehr zu sein, da er ihnen eine Stunde Schlaf vergönnte. Mit ›Unglück‹ bezeichneten sie nur den Hunger, den Durst, die Kälte. Wenn sie kein Holz, kein Feuer, keine Kleidung, kein Obdach fanden, entspannen sich fürchterliche Kämpfe zwischen denen, die von allem entblößt hinzukamen, und den Reichen, die eine Wohnung besaßen. Die Schwächeren unterlagen dabei. Schließlich trat der Moment ein, wo etliche von den Russen Verjagte nur noch Schnee als Lager hatten und sich darauf niederlegten, um sich nicht wieder zu erheben. Unmerklich schloß sich diese Menge fast lebloser Wesen so fest zusammen, wurde so taub, so stumpf oder vielleicht auch so glückselig, daß der Marschall Victor, ihr heldenmütiger Verteidiger, der zwanzigtausend von Wittgenstein befehligten Russen Widerstand geleistet hatte, genötigt war, sich mit schneller Gewalt einen Weg durch diesen Wald von Menschen zu bahnen, um mit fünftausend Tapferen, die er dem Kaiser zuführte, über die Beresina zu setzen. Diese Unglücklichen ließen sich lieber tottreten als sich zu rühren, und gingen stillschweigend zugrunde, indem sie ihren erloschenen Feuern zulächelten, ohne Frankreichs zu gedenken.
Erst um zehn Uhr abends befand sich der Herzog von Bellune am andern Ufer des Flusses. Bevor er sich auf die Brücken begab, die nach Zembin führten, vertraute er das Schicksal der Nachhut von Studzianka Eblé an, dem Retter aller derer, die das Unglück der Beresina überlebten. Es war ungefähr gegen Mitternacht, als dieser große General in Begleitung eines tapferen Offiziers die kleine Hütte verließ, die er nahe bei der Brücke bewohnte, und sich anschickte, das Schauspiel zu betrachten, welches das Lager zwischen dem Ufer der Beresina und dem Wege von Borizof nach Studzianka bot. Die russische Artillerie hatte aufgehört zu feuern; die unzähligen Feuer inmitten dieser Schneemassen, die herabgebrannt waren und kein Licht mehr zu verbreiten schienen, beleuchteten hier und da Gesichter, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Ungefähr dreißigtausend Unglückliche, zu allen Nationen gehörig, die Napoleon nach Rußland geworfen hatte, waren hier zusammen und kämpften mit brutaler Unbekümmertheit um ihr Leben.
›Retten wir diese alle‹, sagte der General zu dem Offizier. ›Morgen früh werden die Russen Herren von Studzianka sein. Man muß also die Brücke niederbrennen im Augenblick, wo die Russen erscheinen werden; also Mut, mein Freund! Schlage dich durch bis zur Höhe. Sag dem General Fournier, daß er kaum Zeit haben wird, seine Stellung aufzugeben, diese ganze Gesellschaft zu durchbrechen und die Brücke zu passieren. Sobald du siehst, daß er sich in Marsch setzt, wirst du ihm folgen. Mit Hilfe einiger kräftiger Leute wirst du mitleidlos die Lager, die Equipagen, die Kasten, die Wagen, alles niederbrennen! Treibe die ganze Gesellschaft über die Brücke; zwinge alles, was zwei Beine hat, auf das andere Ufer zu flüchten. Das Niederbrennen ist jetzt unsere letzte Rettung. Hätte Berthier mich diese verdammten Equipagen vernichten lassen, würde der Fluß niemanden fortgeschwemmt haben als meine armen Pioniere, die fünfzig Helden, die die armen gerettet haben und die man vergessen wird!‹
Der General führte die Hand an seine Stirn und verweilte schweigend. Er hatte die Empfindung, daß Polen sein Grab sein würde, und daß keine Stimme sich zugunsten dieser edelmütigen Männer erheben würde, die sich im Wasser hielten, im Wasser der Beresina!, um die Brückenpfähle festzumachen. Ein einziger von ihnen lebt, oder korrekter gesagt, leidet heute noch in einem Dorfe, ein Unbekannter! Der Adjutant entfernte sich. Kaum hatte dieser edelmütige Offizier hundert Schritte nach Studzianka hin gemacht, als der General Eblé mehrere seiner leidenden Pioniere aufweckte und sein Rettungswerk begann, indem er die Zelte, die um die Brücke herum errichtet waren, anzündete und so die Schläfer, die ihn umgaben, die Beresina zu überschreiten zwang. Inzwischen war der junge Adjutant nicht ohne Mühe bei dem einzigen Holzhause angelangt, das noch in Studzianka aufrecht stand.
›Ist denn diese Baracke sehr voll, Kamerad?‹ sagte er zu einem Manne, den er draußen bemerkte.
›Wenn Sie hereinkommen, werden Sie ein geschickter alter Soldat sein,‹ erwiderte der Offizier, ohne sich umzuwenden und ohne aufzuhören, mit seinem Säbel das Holz des Hauses zu zerstören.
›Sind Sie es, Philipp?‹ sagte der Adjutant, der am Klange der Stimme einen seiner Freunde erkannte. ›Jawohl. Ach, du bist es, mein Alter!‹ entgegnete