»Nun also, so oder so tot, ist es nicht besser, sein Leben für eine hübsche Frau zu verkaufen, auf die Gefahr hin, Frankreich noch einmal wiederzusehen?«
»Ich will lieber schlafen,« sagte einer von den Leuten und rollte auf den Schnee, »und wenn du mich weiter belästigst, Major, werde ich dir mein Bajonett in die Wampe pflanzen.«
»Worum handelt es sich, Herr Major?«, fragte der Grenadier. »Der Kerl ist betrunken! Das ist ein Pariser; die wollen es bequem haben.«
»Das hier ist für dich, mein braver Kerl,« rief der Major und bot ihm einen Diamantenschmuck an, »wenn du mir folgen und wie ein Wilder kämpfen willst. Die Russen werden in zehn Minuten auf dem Marsche sein, sie sind beritten; wir werden auf ihre erste Batterie losmarschieren und zwei Pferde mit uns nehmen.«
»Aber die Schildwachen, Herr Major?«
»Einer von uns dreien« , sagte er zu dem Soldaten. Er unterbrach sich und sah den Adjutanten an; »Sie kommen mit uns, Hippolyt, nicht wahr?«
Hippolyt stimmte mit einem Kopfnicken zu.
»Einer von uns«, fuhr der Major fort, »wird die Schildwache auf sich nehmen. Übrigens werden sie auch vielleicht schlafen, diese verdammten Russen.«
»Bist du wirklich so tapfer, mein Major? Aber du wirst mich auch in deinem Wagen mitnehmen?» sagte der Grenadier.
»Jawohl, wenn du dort oben nicht dein Fell opfern mußt. Wenn ich falle, versprecht mir, Hippolyt und du, Grenadier,» sagte der Major und wandte sich an seine beiden Gefährten, ,»daß ihr euch für die Rettung der Gräfin aufopfern wollt.»
»Abgemacht«, rief der Grenadier.
Sie wandten sich der Linie der Russen zu, nach den Batterien hin, die so furchtbar die Masse der Unglücklichen zerschmettert hatten, die am Ufer des Flusses lagen. Einige Augenblicke nach ihrem Verschwinden ertönte der Galopp zweier Pferde auf dem Schnee, und die wachgewordene Batterie sandte einige Salven hinterher, die über die Häupter der Schläfer hinweggingen; der Galopp der Pferde war so überstürzt, daß man von Schmiedhämmern hätte reden mögen. Der edelmütige Adjutant war gefallen. Der athletische Grenadier war heil und gesund geblieben. Philipp hatte bei der Verteidigung seines Freundes einen Bajonettstich in die Schulter erhalten; trotzdem klammerte er sich an die Nackenhaare des Pferdes und preßte es so fest mit seinen Beinen, daß das Tier sich wie in einem Schraubstock befand.
»Gott sei gelobt!« rief der Major, als er seinen Soldaten unbeweglich im Wagen an seinem Platze vorfand.
»Wenn Sie gerecht sein wollen, Herr Major, werden Sie mir das Kreuz verschaffen. Wir haben hübsch mit dem Schießprügel und dem Stichgewehr gespielt, was?«
»Wir haben noch nichts geleistet. Jetzt müssen wir die Pferde anspannen. Nehmen Sie die Seile.«
»Es sind nicht genug davon vorhanden.«
»Dann, Grenadier, müssen Sie Hand an die Schläfer legen und ihre Umhänge und ihre Wäsche dazu nehmen …«
»Sieh mal an, er ist tot, dieser Hanswurst!« rief der Grenadier, als er den ersten, an den er sich wandte, umdrehte. »Ach, wie komisch, sie sind ja tot!«
»Alle?«
»Jawohl, alle! Es scheint, das Pferd ist ein unverdauliches Essen, wenn man es mit Schnee genießt.« diese Worte ließen Philipp erzittern. Der Frost war noch stärker geworden.
»Mein Gott! Eine Frau verlieren, die ich schon zwanzigmal gerettet habe.«
Der Major schüttelte die Gräfin und rief: »Stephanie! Stephanie!«
Die junge Frau öffnete ihre Augen.
»Wir sind gerettet, Madame.«
»Gerettet!« wiederholte sie und fiel zurück.
Die Pferde wurden, so gut es ging, angespannt. Mit seinem Säbel in der gesunden Hand, die Zügel in der andern, bestieg er, mit seinen Pistolen bewaffnet, das eine Pferd, während der Grenadier sich auf das andere setzte. Der alte Soldat, dessen Füße erfroren waren, wurde quer in den Wagen über den General und die Gräfin geworfen. Durch Säbelhiebe angestachelt, trugen die Pferde die Equipage mit wütender Eile in die Ebene hinaus, wo unzählige Schwierigkeiten den Major erwarteten. Bald war es unmöglich, vorwärts zu kommen, ohne zu riskieren, Männer, Frauen und eingeschlafene Kinder totzufahren, die alle sich zu rühren verweigerten, als der Grenadier sie aufweckte. Vergeblich suchte Herr de Sucy den Weg, den der Nachtrab inzwischen sich mitten in dieser Menschenmasse gebahnt hatte; er war verschwunden wie das Kielwasser des Schiffes auf dem Meere; es ging nur im Schritt weiter, meist von den Soldaten angehalten, die damit drohten, die Pferde zu töten.
›Wollen Sie weiter kommen?‹ fragte der Grenadier.
›Um den Preis meines Blutes, um den Preis der ganzen Welt‹, erwiderte der Major.
›Vorwärts! Man macht keine Omeletten, ohne Eier zu zerschlagen.‹
Und der Grenadier jagte die Pferde auf die Menschen los, ließ blutige Geleise hinter sich, stürzte die Zelte um und bahnte sich eine doppelte Furche quer durch dieses Feld von Köpfen. Aber wir müssen ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er niemals unterließ, mit donnernder Stimme zu rufen: ›Achtung, ihr Biester!‹
›Die Unglücklichen!‹ rief der Major.
›Bah! Entweder der Frost oder die Kanonen!‹ sagte der Grenadier, trieb die Pferde an und stach mit der Spitze seines Säbels auf sie los.
Eine Katastrophe, die ihnen sehr viel früher hätte begegnen und vor der bis dahin ein fabelhafter Zufall sie bewahrt hatte, hielt plötzlich ihren Weg an. Der Wagen stürzte um.
›Das dachte ich mir!‹ rief der unerschütterliche Grenadier aus. ›Oh, oh! Der Kamerad ist tot!‹
›Armer Laurent!‹ sagte der Major.
›Laurent? Ist er nicht von den fünften Jägern?‹
›Jawohl.‹
›Das ist mein Vetter. Bah! Das Hundeleben ist nicht schön genug, daß man es in der jetzigen Zeit zu bedauern hätte.‹
Der Wagen wurde nicht wieder aufgerichtet, die Pferde nicht wieder freigemacht ohne einen unendlichen, nicht wieder gut zu machenden Zeitverlust. Der Stoß war so heftig gewesen, daß die junge Gräfin, die erwacht und durch die Bewegung aus ihrer Betäubung aufgerüttelt worden war, die Kleidungsstücke abwarf und sich erhob.
»Wo sind wir