Joanne Bischof

Mein Herz hört deine Worte


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Arbeit bezahlen. Statten dich mit allem Nötigen aus, damit du ein neues Leben beginnen kannst. Wie auch immer wir dir helfen können. Wir leben im Überfluss, Ava, und es wäre unsere Aufgabe, für dich zu sorgen.“ Er winkte sie zu sich heran und deutete aus dem Fenster auf die nebenstehenden Gebäude. „In diesem Gebäude mit dem spitzen Giebel wirst du dich sicher einmal umsehen wollen. Dort wirst du ein paar Kisten mit Dorothees Sachen finden, die wir nach ihrem Tod dorthin gebracht haben. Auch Stoffe und so. Bediene dich ruhig. Und außerdem … es gibt noch etwas, das ich dir gerne zeigen würde.“

      Am Ende des Ganges stellte Ava ihre neuen Schätze in ihrem Zimmer ab und folgte Jorgan dann hinab in das Erdgeschoss. Er sagte kein Wort, bis sie vor dem Haus standen. „Du solltest wissen, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen“, bemerkte er dann und zeigte auf das größte der umstehenden Gebäude. Eine Scheune, so groß wie das Wohnhaus selbst. „Manche Leute empfinden das als eine Schande, deswegen solltest du Bescheid wissen, bevor du dich zum Gehen oder Bleiben entscheidest.“

      Eine Vorahnung stieg in Ava auf, während sie das wettergegerbte Gebäude mit den vielen Fenstern beäugte. „Wir brennen Schnaps. Also, Thor brennt Schnaps. Hier in der Brennerei.“

      Als sie beim Gebäude angekommen waren, schob Jorgan die schwere Tür auf. Dahinter lag Dunkelheit und ein Schwall des berauschenden Geruchs nach Äpfeln und ihrem süßlichen Saft schlug ihnen entgegen. Ava folgte Jorgan in den Raum hinein, dessen Decke sehr weit über ihren Köpfen schwebte. An jeder Wand reihten sich Regale voller Einmachgläser aneinander. Mehrere Hundert, schätzte Ava. Davor standen riesige Holzfässer in Reih und Glied, jedes mit Kreide beschriftet. Eine lange Werkbank stand in dem Raum, darauf befand sich ein Durcheinander aus Stiften, Papier und Haushaltsbüchern. Von einem Dachsparren aus wurden sie von einer Eule beobachtet.

      „Schnaps“, sagte Ava leise, obwohl sie es eigentlich nicht aussprechen wollte. „Pa hatte damals damit begonnen, als er das erste Mal Fuß auf dieses Land gesetzt hat. Deswegen hütet Thor die Plantagen auch wie seinen Augapfel. Er brennt den besten Schnaps des Landes“, erklärte Jorgan.

      Ava schritt die Länge der Werkbank entlang, beäugte währenddessen jedoch die vielen blauen Auszeichnungen, die an die Wand geheftet worden waren. Immer größer und aufwendiger wurden die blauen Schleifen, je näher die Datierung dem heutigen Tag kam. Der Mann musste wirklich begabt sein.

      „Die Leute zahlen viel für das Zeug und mit dem Geld lässt es sich gut leben. Vielleicht etwas zu gut, denn uns fehlt es wirklich an nichts und das schon seit einiger Zeit. Ich frage mich manchmal, ob es Haakon besser getan hätte, in weniger luxuriösen Umständen aufzuwachsen. Obwohl es dafür natürlich schon zu spät ist.“

      Ava hob einen Bogen Papier hoch und bewunderte die fein säuberlich notierten Zahlen, die das gesamte Blatt füllten.

      „Pass auf, wo du das hinlegst. Thor ist ziemlich pedantisch. Das hier ist seine ganze Welt“, warnte Jorgan grinsend und Ava achtete sorgfältig darauf, das Blatt an dieselbe Stelle zu legen, von der sie es aufgehoben hatte.

      „Seine Welt …“, wiederholte sie.

      „Oh ja. In diesem Teil des Landes gab es keine Schule, in die er hätte gehen können. Seit er laufen kann, ist er Pa wie ein Schatten überallhin gefolgt. Die Schnapsbrennerei liegt auch ihm im Blut.“

      Das würde erklären, warum der Mann schlimmer roch als ein Spirituosenladen.

      Tranken sie alle? Oder nur Thor? Als Ava sich erkundigte, räusperte Jorgan sich. „Hin und wieder gönne ich mir ein Gläschen. Haakon ebenfalls. Nur Thor ist etwas speziell, wie du bereits bemerkt hast. Dafür, dass er so viel trinkt, hat er sich gut im Griff. Hatte er schon immer. Dieser Kerl könnte vollkommen betrunken einen Raum betreten und kaum jemandem würde es auffallen. Zumindest, wenn er nicht diese Fahne hinter sich herziehen würde.“

      Sollte das ein Trost sein?

      „Ich frage nur, weil ich mit einem Mann verheiratet gewesen bin, der sich nicht besonders gut im Griff hatte“, erklärte Ava.

      Langsam dämmerte es Jorgan. Ava konnte es an seinem Gesichtsausdruck erkennen. In seinen Blick mischte sich Überraschung, als habe er von Benns Sucht bisher nichts gewusst. Woher hätte er es auch wissen sollen? Die Liebe eines Mannes zur Flasche war kein Thema, das man in einem Brief an die entfernte Verwandtschaft aufgriff. Unsicherheit machte sich in Avas Magen breit und sie sah durch das schmutzige Fenster hinaus zu Ida, die mit einem Korb voll frischer Wäsche vorbeimarschierte. Sie schien etwas in diesen drei Männern zu sehen …

      Mit seinem Stiefel schob Jorgan eine Abdeckplane zur Seite und Ava erhaschte den Blick auf weitere Gläser.

      „Thor. In der Vergangenheit haben wir ihn schon einmal darum gebeten, kürzerzutreten. Vielleicht wird er es jetzt noch einmal versuchen“, sagte Jorgan.

      Verwirrt überlegte Ava, wieso er das tun sollte.

      „Viele Wagen kommen und gehen auf dieser Farm. Hin und wieder gibt es Stress, wenn die falschen Leute auftauchen. Aber wir werden gut auf dich aufpassen. Es würde uns allerdings helfen, wenn du in der Nähe des Hauses bliebest“, bemerkte Jorgan und hielt inne, als würde er auf ihre Einwilligung warten.

      „Das werde ich“, nickte Ava.

      „Normalerweise legen wir uns mit den Leuten nicht an, aber es gibt einige raue Burschen in der Gegend. Manche sind kühner als andere. Da Thor ein paar Negros für die kommende Ernte angeheuert hat, könnten Schwierigkeiten auf uns zukommen. Einige unserer Nachbarn sehen so etwas überhaupt nicht gern. Es könnte etwas ungemütlich werden. Bitte verlasse die Farm nie ohne einen von uns.“

      Erzählte Jorgan ihr das alles, um ihre Entscheidung zu beeinflussen? Ava sah sich in der Scheune um. Ein Schauer lief ihr über den Arm und Ava fuhr sich mit der anderen Hand über die Stelle.

      „Ich verspreche es“, sagte sie.

      Jorgan winkte sie hinaus in die Sonne und schien nach einem leichteren Gesprächsthema zu suchen. „Ich werde bald heiraten … Ende des Sommers. Ihr Name ist Fay“, erzählte er und bei der Erwähnung ihres Namens leuchteten seine Augen auf. „Sie wird schon bald herkommen, dann wird es eine Frau mehr auf der Farm geben. Ich denke, du wirst sie mögen.“ Jorgan passte sich Avas Schritt an, als sie sich Ida an der Wäscheleine näherten. „Natürlich nur, wenn du hierbleiben würdest. Fürs Erste sollte es reichen, wenn du Anfragen verfasst. Ich werde dafür sorgen, dass sie verschickt werden.“

      Hinter der an der Leine hängenden Wäsche wurde Ava langsamer und hielt kurz inne. „Ich danke dir.“ Und in der Zwischenzeit würde sie alles dafür tun, sich ihren Lebensunterhalt auf dieser Farm zu verdienen.

      Vier

      Während ein frühes Abendessen im Ofen schmorte, stieg Ava auf einen Hocker und fuhr mit einem Lappen den Kaminsims entlang. Ein Spinnennetz thronte in dem gewaltigen Geweih darüber, aber um dort heranzukommen, würde Ava eine Leiter brauchen. Leider wusste sie nicht, wo sie in diesem Haus nach einer suchen sollte. Sie kletterte von dem Hocker und staubte stattdessen die dunkelroten Ziegelsteine des Kamins ab. Den Teppich zu ihren Füßen zierten einige Brandflecken. Ava fegte kalte Asche in eine Besenschaufel und war in diesem Moment unglaublich dankbar für das Tuch, das sie sich um ihre Haare gebunden hatte. Etwas kitzelte sie an der Nase und Ava kratzte sich dort mit den Fingerspitzen.

      Der Große Raum machte seinem Namen alle Ehre. Er schloss sich an die Küche an und erstreckte sich über die restliche Fläche des gesamten Erdgeschosses. Überall standen Möbel herum und erinnerten an die Zeit, in der das Haus mit Leben gefüllt war. Viele Hände für eine Menge Arbeit. Und jetzt? Die Farm lag still und leise da. Die Männer gingen einer Arbeit nach, die Ava nicht völlig verstand. Es gab keine Hühner. Keinen Acker und kein Vieh. Nur die beiden Stuten. Abgesehen von Idas kleinem Küchengarten gab es kaum etwas, um das man sich hätte kümmern können. Die Plantagen natürlich, aber bis auf Thor hatte Ava kaum jemanden die Reihen ablaufen sehen.

      Der Hüter der Bäume … und jetzt kannte sie ihn auch als … den Schnapsbrenner. Durch Jorgans Erzählungen wusste sie,