Georg Markus

Das kommt nicht wieder


Скачать книгу

sich das – gerade in den letzten beiden Jahrzehnten – geändert hat, liebt die Frau bewußter, intensiver, länger: Während noch Ende der sechziger Jahre die Hälfte der Frauen unter Orgasmusstörungen litt, finden heute 82 Prozent im Geschlechtsverkehr ihre Befriedigung. Laut Kinsey-Report dauerte der durchschnittliche Liebesakt in den Nachkriegsjahren ein bis zwei Minuten, in den Neunzigern liebt sich’s in Österreichs Betten (inklusive Vor- und Nachspiel) immerhin eine halbe Stunde lang. Die sexuelle Revolution war also in erster Linie eine Revolution zugunsten der Frau.

      Für den Mann hingegen brachte das plötzlich partnerschaftlich ausgerichtete Sexualleben Probleme. Denn während Frauen einst, ehe sie vom Herrn Gemahl erstmals beglückt wurden, im allgemeinen keinen anderen intim kannten, haben sie heute Vergleichsmöglichkeiten. Wenn einer im Bett also nicht »so toll« ist, muß er damit rechnen, an den körperlichen und sonstigen Qualitäten seiner Vorgänger gemessen zu werden.

      Ein kurzer Blick noch in die Schlafzimmer unserer Großeltern: Opa hatte es gut, der durfte sein Liebesleben von frühester Jugend an genießen. Entweder im Bordell oder in den Armen einer Geliebten, die freilich aus den unteren Ständen zu kommen hatte, denn »höheren Töchtern« war jegliche Form des Beischlafs strengstens untersagt. Vorehelicher Verkehr galt für Frauen nicht nur als unmoralisch, sondern auch als gefährlich (was er tatsächlich war: Ein »lediges Kind« raubte einem Mädchen jede Aussicht auf eine bürgerliche Zukunft).

      Niemand schildert die Scheinmoral des Fin de siècle so treffend wie Arthur Schnitzler in dem Zyklus Reigen. Auch wenn man dem Autor vorwerfen kann, sich in seinem Privatleben nicht wesentlich anders verhalten zu haben als die männlichen »Helden« seiner lose aneinandergereihten Reigen-Szenen, bleibt das Liebeskarussell der »süßen Mädeln« mit ihren Galans ein Sittenbild jener Tage.

      Noch in der Monarchie verfaßt und von der kaiserlichen Zensur als »unzüchtig« abgelehnt, gelangte der Reigen aus Verführung, Sexualität und Ernüchterung 1921 an den Wiener Kammerspielen zur österreichischen Uraufführung. Und hatte einen der größten Theaterskandale aller Zeiten zur Folge. Die Bühne wurde von nationalen Kampftrupps gestürmt und ein Zuschauer schwer verletzt. In einer Parlamentsdebatte gab es heftige Diskussionen – und sogar Fausthiebe unter den Abgeordneten. Das Stück wurde von der Polizei vorübergehend verboten, worauf es Schnitzler »für alle Zeiten« sperren ließ. Erst sein Sohn Heinrich erteilte Jahrzehnte danach die Zustimmung zur neuerlichen Aufführung des Reigen.

      »Das Liebesleben des Weibes« sollte in jenen Tagen ausschließlich der Fortpflanzung dienen, zumal es »eine infame Unterstellung ist, anzunehmen, daß eine anständige Frau sexuelle Empfindungen hat«, wie der britische Moraltheoretiker Sir William Acton zur Jahrhundertwende verkündete. Und weiters: »Sie duldet die Umarmungen ihres Gatten nur, um ihn zu befriedigen, und ginge es nicht darum, Mutter zu werden, wäre sie sicher viel lieber völlig von ihrer Pflicht entbunden, seine Aufmerksamkeit zu ertragen.«

      Frauen widersprachen solchen und ähnlichen Thesen nicht, weil sie in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu ihrem Herrn und Gebieter standen.

      Ehepartner hatten am Beginn unseres Jahrhunderts ohnehin kaum Gelegenheit, einander nackt zu sehen, begab man sich doch mit hochgeschlossenem Nachthemd und Zipfelmütze zu Bette, in dem man dann mehr oder weniger »blind« miteinander verkehrte. Schlimmer noch, Frauen sollten nicht einmal ihren eigenen Körper betrachten, erfuhr man von kompetenter Seite: »Wenn Du ein Bad nimmst«, steht in einem Mädchenkalender des Jahres 1886, »so streue Sägemehl auf das Badewasser, damit Dir der peinliche Anblick Deiner Scham erspart bleibe.«

      Angesichts solcher Ratschläge und Erziehungsmaßnahmen war es natürlich kaum möglich, ein unverkrampftes Verhältnis zum eigenen Körper, zu Sex und damit auch sein seelisches Gleichgewicht zu finden. Galt die »frigide Frau« damals als bürgerliches Ideal, so erkannte Sigmund Freud, daß die Unterdrückung der Lust zu schweren seelischen Störungen führen kann. Mit dieser Erkenntnis legte der Vater der Psychoanalyse den Grundstein zur sexuellen Revolution. Freuds Verdienst ist es, den Menschen ins Bewußtsein gerufen zu haben, daß die Beziehung zwischen Frau und Mann von Sexualität bestimmt ist und daß diese Anziehungskraft zu allen Zeiten eine der stärksten Triebfedern menschlichen Handelns war.

      »Schnee« von gestern

       Wie die High-Society »high« wurde

      Man applaudiert, wenn sie auftreten, umjubelt und bewundert sie, stellt sich um Autogramme an – doch das ist nur der äußere Glanz. In ihrem Inneren sind Künstler oft verletzlich, sensibel und in vielen Fällen einsam. Um Bühnenängste, die oft von Depressionen und Neurosen begleitet werden, zu überspielen, sind sie für jede Art von Sucht weitaus anfälliger als Menschen, die in bürgerlichem Milieu leben. Und viele von ihnen glauben, in Alkohol, Medikamenten und Rauschgift Stärkung zu finden.

      Ebenso lang wie prominent ist die Liste der Schriftsteller, die in die Drogenfalle tappten. Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire rauchten Opium, weil dies angeblich ihre Phantasie beflügelte. Eugene O’Neill war Morphinist, und Truman Capote probierte überhaupt alles, wovon er glaubte, es könnte seinem Schaffen förderlich sein. Als Honoré de Balzac vorgerechnet wurde, daß er in dreißig Jahren 50 000 Tassen Kaffee zu sich genommen hatte, versuchte er durch Opium von der Koffeinsucht loszukommen. Was freilich dazu führte, daß er »doppelt süchtig« wurde und sich sein Gesundheitszustand noch mehr verschlechterte.

      »Schriftsteller, Schauspieler, Sänger und Musiker sind in jeder Beziehung außergewöhnliche Persönlichkeiten, die in ihrem Beruf immer wieder extreme Erfahrungen machen müssen«, erklärt der Drogenexperte Dr. Günter Pernhaupt. »Sie setzen sich über die Gesetzmäßigkeiten des bürgerlichen Lebens hinweg und sind daher zu allem, was außerhalb der Norm steht, verführbar. Wenn jemand auf der Bühne oder im Film ununterbrochen in verschiedene Rollen schlüpft, liegt für ihn die Versuchung nahe, einmal auch durch Drogen seinen Zustand verändern zu wollen.«

      Womit er nicht rechnet, sind die verheerenden Folgen.

      Während Picasso in seiner Jugend mehrmals Opium nahm, ohne davon süchtig zu werden, mußte Jean Cocteau schwer kämpfen, um von der Droge wieder loszukommen.

      Die meisten Drogenopfer finden sich unter Sängern und Musikern. Der österreichische Popstar Hansi Dujmic ging ebenso am Rauschgift zugrunde wie die Rocklegenden Janis Joplin und Jimi Hendrix oder der Saxophonist Charlie Parker. Hollywoodstar Judy Garland starb mit 47 Jahren an einer Überdosis verschiedener Drogen – und ihre Tochter Liza Minnelli hat auch schon etliche Entziehungskuren hinter sich.

      Musikgruppen trugen mit ihrer großen Popularität leider viel dazu bei, daß Rauschmittel unter Jugendlichen »fesch« wurden. Als etwa Beatle Paul McCartney am Flughafen von Tokio wegen Besitzes von 220 Gramm Marihuana verhaftet wurde, hatte dies für seine Fans keineswegs abschreckende Wirkung, sondern diente geradezu als »Werbung« für die Droge. Eine Schülerin, die man dazu interviewte, sagte: »Wenn Paul Marihuana gut findet, kann es so schlecht nicht sein.«

      Manche Rockidole sprechen völlig ungeniert über ihren Drogenkonsum und ziehen damit auch immer mehr junge Menschen in den verhängnisvollen Strudel der Abhängigkeit. John Lennon verkündete geradezu stolz, daß er und seine Beatles-Kollegen vor der Ernennung zum Member of the British Empire durch Königin Elizabeth so nervös waren, daß sie vorher »noch schnell zur Beruhigung« auf die Toilette des Buckingham Palace eilten, um dort Haschischzigaretten zu rauchen. Und ihre Songs wie Lucy in the Sky und Strawberry Fields Forever waren nichts anderes als eine Verherrlichung der todbringenden Drogen.

      Wie kein anderes Rauschmittel wurde aber Kokain zur Droge der Reichen und damit auch vieler Künstler. Die ersten Blätter des Kokastrauches waren 1859 mit der Weltumsegelung der Fregatte Novara von Peru nach Österreich gelangt. Im Jahr darauf stellte der deutsche Apotheker Albert Niemann aus dem Extrakt der Pflanze einen Wirkstoff her, den er Kokain nannte. Der Apotheker war auch gleich sein erstes Opfer: er starb an den Folgen der chemischen Experimente mit dem hochgiftigen Konzentrat. Dennoch galt Niemanns Entdeckung als Wundermittel gegen viele Krankheiten und wurde zur Schmerzbetäubung, vor allem bei Kiefer- und Augenoperationen,