aber nach Strudels Tod auf eine sofortige Wertsteigerung von dessen Werken: »Strudelius ist maustot und werden nun gar in balden dessen Gemahl sicher in höheren Wert sein.« Im Strudlhof an der Währinger Straße, der als Sitz der Akademie sowie als Wohn- und Arbeitsort Peter Strudels und seiner Familie dient, hält er sich einen Hofstaat mit eigenem Kammerdiener, Sekretär und ergebenen Schülern. Zum Unterricht gehören Lektionen in Anatomie, Geometrie, Militär- und Zivilarchitektur. Durch das Nachmodellieren von Gipskopien antiker Plastiken, die Strudel von einer Romreise mitgebracht hatte, sowie durch Kopieren alter Meistergemälde sollten die Schüler ihr Können unter Beweis stellen. Peter Strudels Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung wird 1696 mit der Verleihung des Truchsessamtes an der kaiserlichen Tafel belohnt. 1701 wird er als »Strudl de Strudenhoff« in den Freiherrenstand erhoben – auch wenn der Kaiser privatim dazu meint, der Titel solle besser dem »guten alten Adel« vorbehalten bleiben.
Vielleicht wirft dies ein Licht auf die Arbeitsumstände der Strudel-Brüder: ihre ungesicherte Existenz als freie Künstler, das ständige Ringen um Aufträge und soziale Anerkennung, das alle drei in die Rolle von Unternehmern und »Erfindern« schlüpfen ließ. Gleich nach seiner Ankunft in Wien hatte Peter Strudel mit den kaiserlichen Truppen an der Belagerung von Ofen, heute in Budapest, teilgenommen. Anschließend bemühte er sich, dort die Erlaubnis zur Gründung einer Papierfabrik sowie eine Branntweinpacht zu erhalten. Später wollte er bei Wissegrad einen Ziegelkalkofen errichten. Sein Bruder Paul hielt den engsten Kontakt mit der alten Heimat. 1707 verlieh ihm das Dorf Denno die Ehrenbürgerschaft. Im Jahr darauf erhielt er das Privileg, in den Wäldern des Nonstals Holz schlagen zu dürfen.
Am wenigsten Künstler des Brüdertrios und mehr »Erfinder« war der 1667 geborene Dominik. Mittels einer neuen »Invention« gelingt es dem »Ingenieur«, Fortschritte bei der Trockenhaltung mehrerer Bergwerke zu erzielen. Durch »Wasserkunstwerke« schafft er es, die Anzahl der zur Entwässerung der Schächte notwendigen Pferde zu reduzieren. 1704 will er das Kriegsministerium von der Errichtung einer schwimmenden Festung auf der Donau überzeugen. »Domenico Strudel überreicht ein Projekt, wie eine von etlichen Schiffen formierte Maschine auf der Donau wider den Feind gebraucht werden kann«, vermerkt ein am 3. Juni 1704 abgefasstes »Hofkriegsratsprotokoll«.
Und wie hängen Kaiserin Sisi und die Strudel-Brüder zusammen? Ganz einfach: durch den Marmor und das k. und k. Transportwesen. Wie schon erwähnt, ist die meist mit einem frischen Blumenstrauß im Schoß geschmückte Sisi-Statue im gleichnamigen Park von Meran aus Vinschgauer Marmor. Entstanden ist das weiße Gold vor etwa vierhundert Millionen Jahren, als vor Afrika gelagerter Kalkstein durch die Kontinentalplattendrift nach Norden verfrachtet wurde und sich unter Hitze und großem Druck in kristallinen Marmor verwandelte – besonders harten und witterungsbeständigen Marmor, was die Steine aus dem Vinschgau für im Freien aufgestellte Denkmäler geeignet macht. Im großen Stil bekannt wurde das 1873 durch die Weltausstellung in Wien, wo Möbel und Kunstgegenstände aus »Laaser Marmor« (Laas heißt ein Dorf im Vinschgau) präsentiert wurden. In Laaser Marmor erstrahlt die Wiener Ringstraße. Entdeckt hat ihn Paul Strudel – behauptet er jedenfalls. Und er begann auch mit dem Abbau des edlen Gesteins. »Hab ich … ein schönes weißes Marmor durch meine angewandte Mühe undt aigene Unkosten, insonderheit zu S(ch)landers über Greflen im Taal Fraz (Laas) erfunden … ein von Godt destinirtes Klainodt, davor die glorwürdigste Statuen zur ewigen Gedächtnuß des Erzhauß von Österreich auff die Füeß gantz natürlich … zu machen«, schreibt er am 10. Mai 1707 in einem an den »Kayßer, König und Herr Herr ecc.« gerichteten Brief. Auf Karren sowie Flößen wurden die Marmorblöcke nach Wien geschafft. Einmal kenterte ein Floß mitsamt seiner tonnenschweren Ladung – ein herber Verlust für den Künstler-Unternehmer.
Als die Brüder in kurzen Abständen sterben, Paul 1708, Peter 1714 und Dominik 1715, bricht das Strudel-Imperium schnell zusammen. Weder Pauls Sohn, noch der von Peter besitzen die Begabung ihrer Väter. Dominik hatte keine Nachkommen. Peters Sohn Johann Wilhelm scheint ein Hallodri gewesen zu sein. Vom Vater erbte er nur die Maßlosigkeit und Großtuerei, er leistete sich eigene Bedienstete, richtete einen Privatzoo ein, trat als Cornet, Rittmeister und schließlich als kaiserlicher Hauptmann in ein Regiment ein. Den in seinen Besitz gefallenen Strudlhof musste er verpfänden. Als Baron Johann Wilhelm nicht einmal dreißigjährig in einem Gasthaus das Zeitliche segnete, hatte er seit Langem keine Miete mehr bezahlt. Das Jahresgehalt eines Universitätsprofessors beträgt zu dieser Zeit etwa dreihundert Gulden – der Strudlhoferbe hinterlässt eine Schuld von vierzigtausend Gulden. Danach sei das Leben der Strudel-Sippe »wieder in die bescheideneren Bahnen des Nonsberger Stammes zurück(gekehrt)«, schreibt Biograf Manfred Koller.
Vielleicht kann ich dort Näheres erfahren. Piergiorgio Comai, mein lokaler Gewährsmann, hat Vervò als Treffpunkt vorgeschlagen. Das kleine Dorf liegt auf einem Hochplateau über dem Nocefluss. Vor der Pfarrkirche mit nadelspitzem Turm plätschert ein Brunnen. Aus einer Bar an der zentralen Piazza, wo die Autobusse anhalten, dringen laute Männerstimmen. Von hier zweigen enge Gassen wie Blutgefäße von der Herzader ab. Hölzerne Torbögen markieren die Einfahrten zu Ställen und Heustadeln, wo längst kein Heu mehr gelagert wird und keine Kühe mehr gemolken werden. Auf Fenstersimsen blühen Geranien. Vervò wirkt gepflegt, wie alle Dörfer im Nonstal. Auf einem Felsen am Dorfrand, hinter dem es steil bergab geht, klebt eine gotische Kirche. Während wir in wenigen Minuten dorthin spazieren, zeigt Comai auf den Hang über dem Gotteshaus, wo Ausgrabungen ein römisches Kastell, Gräber, Münzen sowie beschriftete Steine aus der Antike zutage gefördert haben. Wegen der häufigen Überflutungen des Etschtales hätte hier eine antike Straße vorbeigeführt, sagt Comai. »Die Steine befinden sich heute im Museo Lapidario von Verona und werden schon von Theodor Mommsen in seiner »Geschichte Roms« beschrieben.«
Durch eine Seitentür gelangen wir in das Innere der dem Heiligen Martin geweihten Kirche. An der Decke zwischen dem Kreuzgewölbe prangt neben den Evangelistensymbolen das Wappen von Cles mit zwei kletternden Löwen. Der linke Seitenaltar, den Heiligen Philipp und Jakob geweiht, wurde 1683 von Pietro Strobli geschnitzt. Piergiorgio Comai hat einen Spiegel mitgebracht, sodass ich ihn mit der Hand in den engen Spalt zwischen Mauer und hölzernem Altarpfosten zwängen kann, um die aufgepinselte Künstlersignatur zu lesen. Auch der Hauptaltar mit einem Gemälde des Heiligen Martin, der für einen Bettler seinen Mantel teilt, wurde laut Unterschrift von »Pietro Strobli intagliatore (Holzschnitzer) di Cles« geschnitzt. Die mit viel Gold, Akanthusblättern und Engeln verzierten Altäre bleiben stark der alpenländischen Schnitztradition verhaftet. Könnten aber, schließlich werden seine ersten Werke in der Hauptstadt auf 1687 datiert, von »unserem« Strudel stammen. Piergiorgio Comai hält das jedoch für unwahrscheinlich und tippt auf einen namensgleichen Verwandten. Ein Historiker aus dem Nonstal hingegen behaupte das Gegenteil, erzählt mein Begleiter. »Wie alle Lokalpatrioten möchte er ein ruhmvolles Licht auf den Heimatort werfen – und ignoriert unbequeme Fakten.«
Klarheit verschaffen vielleicht die Bücher im Pfarrhaus von Cles. Im Erdgeschoss des Gebäudes, aus dessen Grundmauer eckige Steine hervorragen, wuchtet Don Renzo einen dicken Lederband nach dem anderen auf seinen Bürotisch. Gemeinsam durchforsten wir die alten Bücher und stoßen bald auf eine Eintragung im Heiratsregister, wo unter dem 4. September 1611 in ausladenden Buchstaben die Eheschließung von »magistrum Paulum Strudl de Mitebolt et Antoniam f(i)g(liam) cavalier de Clesio« vermerkt ist. »Mittenwald – Bavaria«, hat jemand mit Kugelschreiber an den Rand notiert – ich bin nicht der Erste, der hier nach den Brüdern Strudel forscht. Dieser Magister gilt allgemein als der lokale Stammesgründer. 1612 lässt das Ehepaar in Cles einen Alexander, 1612 einen Peter und 1621 einen Johannes taufen. Doch im Cles jenes Jahrhunderts gibt es viele Strudel, die heiraten, Kinder taufen lassen und sterben. Für den Laien scheint es unmöglich, in dem Labyrinth gleichlautender Namen die drei Künstler zu entdecken, die in Wien Karriere gemacht haben. Biograf Manfred Koller gelangt zum Schluss, dass »die lückenhafte Überlieferung der Namen … ein eindeutiges Urteil nicht mehr zu(lässt)«.
Ich verabschiede mich also von Don Renzo. Nachdem ich in der Gelateria Veneta auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Eis gekauft habe, mache ich einen Rundgang durch die quirlige Fußgängerzone von Cles. Vom großen, nach dem Kardinal Bernhard von Cles benannten Platz schlendere ich die gepflasterte Hauptgasse in Richtung mittelalterliches Zentrum hinauf. Die Gasse ist von Patrizierpalästen gesäumt, dem Palazzo Assessorile