Sankt Peter.
Aber zurück nach Villa Lagarina und zurück zum Heute. Nachdem seine Eltern gestorben waren (die Mutter 1615, der Vater 1621), beauftragte Paris Lodron den damals noch am Salzburger Dom tätigen Architekten Solari mit der Errichtung eines Denkmals: der St. Rupertskapelle, einem nördlichen Seitenbau der Pfarrkirche Santa Maria Assunta. Dort macht mich Paolo Zandonai auf das Lodron-Wappen mit Widmungsinschrift aus dem Einweihungsjahr 1629 aufmerksam, rechts an der Ostwand prangt ein großes Ölgemälde auf Kupfer mit den verewigten Eltern: beide kniend, die Mutter in schwarzem Kleid, die Hände vor der Brust zum Gebet gefaltet, der Vater in goldgeschmücktem Ritterkleid. Die acht trapezförmigen Gemälde an der Kuppel, angeordnet um eine auf blauem Grund schwebende Taube, symbolisieren die von Christus in der Bergpredigt verkündeten Seligpreisungen und sind ein Werk des Salzburger Hofmalers Donato Mascagni. Die Kunsthistoriker gehen davon aus, dass es dieselben italienischen Meister waren, die die reichen Stuckornamente im Salzburger Dom und in der St. Rupertskapelle von Villa Lagarina schufen. Die herrlichen Gemälde bewundere ich in unbequemer Haltung auf dem Boden hockend, während Paolo den schweren, mit einer Kette verhängten Vorhang ein wenig hochhebt, damit ich etwas sehen kann. »Hoffentlich ist kein Alarm eingeschaltet«, sagt Paolo und kurz grinsen wir, weil uns ein Dritter, der nicht weiß, dass wir hier mit Erlaubnis von Don Massimo eingedrungen sind, für Diebe halten könnte. Als wir die Kirche verlassen, weist Paolo mit der Hand hinter den Hauptaltar, dort führe eine Stiege zu einer Sakristei hinauf, »wo früher die kostbaren Messgewänder und liturgischen Geräte aufbewahrt wurden.« Inzwischen sind sie im nur einen Steinwurf entfernten Palazzo Libera zu besichtigen, einem Ableger des Diözesanmuseums von Trient.
Paolo hat auch die Nummer seiner Cousine Ilda aus Nogaredo im Handy gespeichert. Ist die Grafenfamilie abwesend, zeigt Ilda Zandonai Besuchern deren Palazzo am oberen Dorfrand. Von Villa Lagarina nach Nogaredo sind es wenige Autominuten. Rund um das Dorf winden sich aus hellem Kalkgestein gemauerte Weinterrassen, über denen seit dem 11. Jahrhundert das zinnengekrönte Schloss Noarna thront. Ende des 15. Jahrhunderts fiel das Kastell an die Grafen Lodron, deren Oberhaupt Graf Nikolaus etwa ein Jahrhundert später den Palazzo in Nogaredo erbaute. Die marmorne Rittergestalt in der Nische über dem Haupteingang stelle den Grafen Nikolaus dar, erklärt Ilda. Getroffen haben wir uns auf der Piazza vor dem Palazzo Candelpergher, früher Wohnsitz eines Verwalters der Lodron, heute residiert hier die Gemeindeverwaltung. Von dort führt eine Gasse – eine Tafel weist sie als Vicolo Lodron aus – zum ockergelb getünchten Grafenpalast. Sein heutiges Aussehen erhielt er durch Paris Lodron, der seinen Baumeister Solari auch hier mit den Aus- und Umbauarbeiten beauftragte. Ob Solari und seine Salzburger Dekorateure auch bei der Gestaltung der Kapelle links vom Haupteingang tätig waren, kann mangels Quellen nicht belegt werden. Die mit Volutenköpfen und Akanthusblättern dekorierten Gewölbe und die mit Puttenköpfen, Obstgirlanden und Schriftrollen geschmückten Bilder ähneln jedoch auffallend jenen von Villa Lagarina. Am Altar ist die Fotografie einer zarten alten Dame aufgestellt: Das sei Giuseppina, erklärt Ilda. »Man spürte an ihrer Ausstrahlung, dass sie eine Gräfin war.«
Ilda führt mich durch die repräsentativen Räume, einen Salon mit wandhohem Kachelofen und einer mit Blumen und bunten Vögeln bemalten Decke sowie den mindestens hundert Quadratmeter großen Saal mit rotweißem Marmorboden, offenem Kamin und an den Wänden hängenden Hellebarden. Während der warmen Jahreszeit werden die Räumlichkeiten heute für Hochzeiten oder Konzerte vermietet. Da schadet es nicht, dass die Familie Lodron mit Mozart bekannt war und man die Gäste darauf hinweisen kann: In Salzburg wohnte man nicht weit voneinander, Mozart und seine Schwester Nannerl erteilten den Grafentöchtern Luigia und Giuseppina Klavierunterricht. Einige Klavierkompositionen, bekannt als »Lodron’sche Nachtmusiken«, widmete Mozart seiner Gönnerin, der Gräfin Antonia. Die Quellen liefern zwar keinen Hinweis, aber es ist anzunehmen, dass der Komponist seine Gönner auch während seiner Italienreisen besucht hat. Jedenfalls ist es eine hübsche Vorstellung, sich in denselben Räumlichkeiten aufzuhalten und durch die vergitterten Fenster einen Blick auf die mediterrane Landschaft zu werfen, die schon das Musikgenie aus Salzburg bezaubert hat.
Nogaredo, Palazzo Lodron: im Hof der Löwe mit Brezelschweif, das Stammwappentier
Ilda zeigt auch die Sala del Giudizio. Als Feudalherren oblag den Lodrons die Gerichtsbarkeit, hier fanden noch im 17. Jahrhundert Hexenprozesse gegen einheimische Bäuerinnen statt, die im Gefängnis von Castel Noarna gefoltert und dann geköpft und verbrannt wurden. Ilda erzählt von einer mündlichen Überlieferung, derzufolge ein geheimer unterirdischer Gang das Stammschloss auf dem Berg oben mit dem Palazzo hier in Villa Lagarina verbinden soll. Genaueres weiß offenbar niemand in der Gegend, aber vielleicht handelt es sich auch nur um einen fernen Nachhall aus jener Zeit, wo man als Normalsterblicher lieber einen Bogen um die herrschaftlichen Gemäuer machte. Heute ist das nicht mehr nötig, wie ein Blick in einen kleineren, von der Grafenfamilie privat genutzten Raum offenbart. Kein Ahne mit Halskrause und Schwert blickt hier düster von einem Ölgemälde herab. Dafür reihen sich Bücher in den Regalen, zwei Globen und eine ältere Stereoanlage. Nichts wirkt in diesem Raum wie auf Hochglanz poliert. Am liebsten würde man sich gleich in ein gemütliches Sofa fläzen, um zu Mozart’scher Klaviermusik in einem der vergilbten Bände zu blättern.
Erneut in Villa Lagarina bin ich mit Sandro Giordani verabredet. Zusammen wandern wir durch winkelige Gassen und kommen an hinter hohen Mauern verborgenen Ansitzen vorbei. In einer dieser Gassen hat der Verein Borgo antico seinen Sitz, Sandro ist dessen »Presidente«. Während wir in dem steingemauerten Raum auf wackeligen Stühlen sitzen und Sandro Giordani einige Hefte herzeigt, die der Verein zur lokalen Geschichte herausgegeben hat, erzählt er von Sigismondo Moll, einem früheren Bewohner des gegenüberliegenden Palazzos, dessen Mauern jetzt ihre Schatten durch das Fenster des Vereinslokals werfen: »Er war ein bizarrer Typ, der sich mit dem Dorfpfarrer überworfen hatte. Um den Geistlichen zu ärgern, organisierte er während der Sonntagsmesse Ballspiele vor der Kirche.«
Wer war dieser seltsame Baron? Ein Peppone, eine Art kommunistischer Bürgermeister avant la lettre, der die Dorfbevölkerung gegen den Don Camillo seiner Zeit aufhetzte und den die Leute dafür im Gedächtnis behielten? Sigismondo Moll entstammte einem österreichischen Adelsgeschlecht und machte eine steile Karriere im diplomatischen Dienst. 1787 wurde er Kreiskapitän »an den Grenzen Italiens« mit Sitz in Rovereto. Nach verschiedenen politischen Missionen, die ihn nach Paris, Mailand und Wien führten, wurde Moll 1810 zum Senator des Königreichs Italien ernannt, zog sich jedoch wenig später ins Privatleben auf seinem Landsitz in Villa Lagarina zurück. Hier legte er mit Leidenschaft und Fachkenntnis einen riesigen botanischen Garten an, wo er nach seinem Tod 1826 auf eigenen Wunsch auch begraben wurde.
Sigismondo scheint ein pedantischer Sammler und Rechner gewesen zu sein. Musste er beispielsweise in offizieller Angelegenheit mit der ganzen Familie nach Mailand reisen, wurde ein Gehilfe beauftragt, eine Kutsche ausfindig zu machen, die »weniger Ausgaben« verursache. Trotz seines erfolgreichen Wirkens in Politik und Ökonomie, war Sigismondo Moll von den Wissenschaften angezogen, er studierte die französischen Klassiker, las Voltaire und Montesquieu und vertiefte sich in die Schriften materialistischer Denker wie Buffon und La Mettrie. Letztere scheinen in ihm den Freigeist geweckt zu haben, dem es Spaß machte, den Dorfpfarrer zu plagen. Ein nicht von seiner Gunst abhängiger Geistlicher namens Giuseppe Pederanzi rächte seinen Kollegen jedoch, indem er den Baron mit Satiren und Spottgedichten verfolgte. In einem Gedicht, das unter der Hand im Dorf verbreitet wurde, lässt Pederanzi den »lutherischen« Sigismondo bei Luzifer im untersten Kreis der Hölle schmoren, in Zeiten, als die allergrößte Mehrheit in Glaubensfragen keinesfalls gleichgültig mit den Schultern zuckte, die denkbar schlimmste aller Strafen. Im irdischen Leben scheint Sigismondo sein Ketzertum freilich nicht geschadet zu haben. Die von ihm begründete tridentinische Linie der Molls erlosch erst 1946 mit dem Tod von Leopoldo Moll. Durch Erbschaft fiel der Palazzo dann an das Mantovaner Geschlecht der Guerrini-Gonzaga.
Marchese Tullo Guerrini lächelt melancholisch, als ich ihn nach der Bedeutung der Jahreszahl 1789 im Wappenportal seines Palazzos frage. »Seit damals – im Jahr 1789 brach die Französische Revolution aus – zählen die Adeligen nicht mehr viel«, sagt der hoch in den Achtzigern stehende Marquis und lehnt den Rechen