ja, kommen S’ nur.«
Anderntags schwang sich der Herr Professor auf seinen Motorroller und fuhr zum Hofrat Truxa in die Köstlergasse.
»Ich bin fast umgefallen«, erzählte mir Gottfried Marcus, »es war einfach sensationell.« Neben bislang unbekannten Brahms-Kompositionen lagen Briefe des Meisters, die er nie abgeschickt hatte. Weiters Privatfotos und unzählige persönliche Gegenstände des Komponisten. Marcus erkannte, dass er in diesem Augenblick auf den wesentlichsten Fund seiner jahrzehntelangen Forschertätigkeit gestoßen war.
Frau Truxa, die 1897 die Augenlider des Komponisten auf seinem Totenbett schloss, hatte nicht nur die Papierkorb-Funde aufbewahrt, sie war von Brahms, der sie sehr schätzte, auch zur Erbin seiner persönlichen Habseligkeiten eingesetzt worden. »Außerdem gehören Cölestine Truxa 10 000 Gulden«, steht in seinem Testament, »alles, was ich an Möbeln, Kleidern, Wäsche besitze und auch die Bilder, die an den Wänden hängen, Teppiche, Decken, Kissen, Uhren …« Das alles hatte Marcus jetzt vor sich. Ihr größtes Verdienst aber war: Cölestine Truxa hatte schon zu Lebzeiten das Genie des Komponisten erkannt und buchstäblich alles, was Brahms in den Papierkorb geworfen hatte, wieder herausgefischt und aufgehoben. »Jedes einzelne Stück ist für die Brahmsforschung hochinteressant.«
Drei Jahre verbrachte Gottfried Marcus jede freie Minute, die ihm neben seiner Professur am Konservatorium der Stadt Wien blieb, in der Wohnung Leo Truxas, er untersuchte, reinigte, ordnete den für die Musikwelt einzigartigen Schatz. Und er vervollständigte sein auf knapp 30 000 Karteiblättern minuziös aufgelistetes Vokalarchiv der Brahmsschen Symphonien, Klavierkonzerte, Quartette, Quintette, Sextette um die bislang unbekannten Werke. Experten verkündeten damals: »Was der Köchel für Mozart, das ist der Marcus für Brahms.«
Die kolossale Arbeit, sagte mir der Professor, hätte er sich nicht nur aus historischen Gründen aufgebürdet, sondern vor allem aus Liebe. Der Wissenschafter hatte dem Komponisten sein Leben gewidmet.
Gottfried Marcus, der einst als »Wunderkind« galt, hatte in den dreißiger Jahren gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern viele Konzerte gegeben. Als bei der Familie Marcus eines Tages der Besuch von Wiens führendem Musikkritiker Dr. Robert Konter angesagt war, wurden die beiden Buben und das Mädchen gebeten, dem Kritikerpapst Brahms’ H-Dur-Trio opus 8 vorzuspielen. Als sie fertig waren, wurde der sachkundige Mann gefragt, wie ihm die Brahms-Interpretation der Kinder gefallen hätte. Worauf Konter konterte: »Es war fast ein Vergnügen.«
»Der Kritiker«, gab Marcus zu, »hatte recht, das Trio war weit über die technischen Möglichkeiten dreier Kinder hinausgegangen.«
Jahrzehnte später sollte Gottfried Marcus den schönsten Tag seines Lebens feiern, wie er selbst sagte: als er unter den aufgefundenen Noten in Leo Truxas Wohnung auch die Brahmssche Originalbearbeitung eben jenes H-Dur-Trios opus 8 entdeckte. Er war seiner ersten Begegnung mit Brahms als alter Mann wieder begegnet. Frau Truxa hatte auch diese Noten aus dem Papierkorb gefischt.
Sowohl Hofrat Truxa wie Professor Marcus sind mittlerweile nicht mehr am Leben. Aber sämtliche dem Papierkorb entnommenen Brahms-Noten sind für alle Zeiten gerettet. Die beiden Herren haben sie geschlossen dem Musikarchiv der Stadt Wien übergeben.
DAS »WEISSE RÖSSL« IST NICHT
AM WOLFGANGSEE
Die wahre Lovestory hinter der Operette
Operetten sind im Allgemeinen frei erfunden. Kein Mensch wird ernsthaft annehmen, dass der Zigeunerbaron oder die Lustige Witwe tatsächlich gelebt haben. Ganz anders verhält es sich im Fall der Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber. Die hat es ebenso gegeben wie den Oberkellner Leopold. Und auch die Lovestory der beiden ist kein Operettenschmäh. Was ist wahr am erfolgreichsten Singspiel seiner Zeit und was ist frei erfunden?
Ich fuhr, um dies zu ergründen, an den Wolfgangsee und dort, kaum angekommen, natürlich ins Hotel Im Weißen Rössl. Das müsste, war meine nahe liegende Überlegung, der richtige Ort für derartige Recherchen sein.
Begeben wir uns aber vorerst zu den Wurzeln einer kleinen Episode, die – wie durch ein Wunder – weltweite Beachtung finden sollte: Es war gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich der Zahlkellner des Gasthofs Im Weißen Rössl in seine Chefin, eine fesche und lebenslustige Witwe, verliebte. Just als dieses Tête-à-Tête begann, verbrachten zwei Lustspielautoren ihren Urlaub in ebendiesem Gasthof. Einen Sommer lang beobachteten sie mit großem Vergnügen das Werben des Oberkellners, und sie waren überglücklich, als dieser – noch vor ihrer Abreise – bei ihr »landen« konnte.
Soweit die Fakten. Die romantische Story hatte die beiden Urlaubsgäste Dr. Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg, zwei Schriftsteller aus Berlin, dermaßen amüsiert, dass sie daraus ein Lustspiel fabrizierten. Die Romanze ist also echt. Falsch ist der Wolfgangsee. Denn das Weiße Rössl war in Wirklichkeit ein gutbürgerlicher Gasthof in der kleinen Ortschaft Lauffen bei Bad Ischl – vom Wolfgangsee mehr als zwanzig Kilometer entfernt. In St. Wolfgang, direkt am See, gab’s zu diesem Zeitpunkt freilich ein Hotel mit dem sehr ähnlichen Namen Zum weißen Ross, das der Wirtin Antonia Drassl, einer äußerst geschäftstüchtigen Person, gehörte. Sie war 46 Jahre alt, von einem Zahlkellner jedoch, der sie verehrt hätte, war weit und breit keine Rede.
Da der Wolfgangsee auch im deutschen Kaiserreich sehr bekannt war, verlegten die beiden cleveren Lustspielautoren ihr Stück publikumswirksam ins andere Ross. Und damit wird’s spannend, denn Antonia Drassl, die Gastronomin vom Wolfgangsee, die überhaupt nicht gemeint war, erkannte den hervorragenden Werbeeffekt für ihr Hotel und reiste, nachdem das Stück sofort ein Erfolg war, als »Original-Rössl-Wirtin« durch die Lande. Zwischen Hamburg und Budapest ließ sie sich keck als solche feiern und erzählte überall bereitwilligst von ihren »Abenteuern« mit dem feschen Leopold. Um die echte Rössl-Wirtin aus Lauffen kümmerte sich indes kein Mensch, doch das Haus am See – bald von Ross auf Rössl umbenannt – erlebte eine ungeheure Konjunktur.
Noch war Das Weiße Rössl ein Sprechstück, und daher geriet es – wie so viele Boulevardkomödien – nach kurzer Zeit in Vergessenheit. Erst drei Jahrzehnte später wurde es durch einen Zufall wieder entdeckt, mit zündenden Melodien garniert – und nun erst begann sein Siegeszug um die Welt.
Und das kam so: Der berühmte Schauspieler Emil Jannings saß im Sommer 1929 gemeinsam mit dem Berliner Theaterdirektor Eric Charell auf der Terrasse des – sozusagen irrtümlich – berühmt gewordenen Hotels Im weißen Rössl am Wolfgangsee. Im Scherz bestellte Jannings sein Mittagessen ebenso »piefkinesisch« wie der deutsche Urlaubsgast Wilhelm Giesecke in dem kurz zuvor in Berlin wieder ausgegrabenen Bühnenstück von Blumenthal und Kadelburg: »Wenn ick Dampfer fahre, will ick Aal jrün essen, det jehört zusammen. Aber so was kennen die Brüder hier natürlich nich’!« Charell lachte Tränen, und da er für sein Großes Schauspielhaus im damals gerade »revueverrückten« Berlin dringend eine zugkräftige Ausstattungsrevue suchte, ließ er sich alles Nähere von Jannings erzählen, der sich an den Inhalt des Lustspiels noch genau erinnern konnte, in dem er vor vielen Jahren, 16-jährig, in Görlitz am Theater debütiert hatte.
Nach Berlin zurückgekehrt, beauftragte Charell den Komponisten Ralph Benatzky, das Stück zu vertonen. Der sofort Ohrwürmer wie den Titelsong Im Weißen Rössl am Wolfgangsee und Im Salzkammergut, da kann ma gut lustig sein schuf. Als Benatzky jedoch mitten in der Arbeit ausstieg, weil er plötzlich die Idee hatte, eine Oper schreiben zu müssen, sah sich Charell gezwungen, über Nacht einzelne Lieder von anderen Komponisten dazuzukaufen. Er wandte sich an Bruno Granichstaedten, der die Liedeinlage Zuschau’n kann i net beisteuerte, und an Robert Stolz, der für die Evergreens Die ganze Welt ist himmelblau und Mein Liebeslied muss ein Walzer sein sorgte.
Schon die Berliner Uraufführung des Singspiels am 8. November 1930 brachte einen Sensationserfolg. Publikumsliebling Max Hansen spielte den Leopold, Camilla Spira die Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, Siegfried Arno den Sigismund, Paul Hörbiger den schnell noch in die Handlung eingebauten Kaiser Franz Joseph. Dreihundert Komparsen bevölkerten