Georg Markus

Meine Reisen in die Vergangenheit


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ein Stück österreichischer Geschichte dokumentieren. Es geht um die Entstehung unserer Hymne.

      Die Kisten lagen, jahrzehntelang unbeachtet, im Heizkeller des Unterrichtsministeriums auf dem Wiener Minoritenplatz. Archivare, die mit der Vorbereitung einer Ausstellung über die Zweite Republik befasst waren, gingen auf Spurensuche und entdeckten die vier großen Schachteln. Versehen mit der Signatur »24 A«, schlummerte in ihnen ein Akt mit der Aufschrift »Volkshymne«. Man lud mich ein, in den eben aufgetauchten Schatz Einblick zu nehmen.

      Ich sah unbekannte, bisher nie veröffentlichte Beiträge namhafter Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Vorschläge für den Text einer neuen österreichischen Bundeshymne eingereicht hatten.

      Unter den 1800 Teilnehmern eines öffentlichen Preisausschreibens befanden sich – neben der späteren Siegerin Paula von Preradovic – die Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia, Rudolf Henz und Franz Theodor Czokor. Sie haben ihre Texte zu eben jener (mit großer Wahrscheinlichkeit von Mozart stammenden) Melodie der heutigen Bundeshymne geschrieben.

      Greifen wir also hinein in eine der Kisten, und holen wir zunächst den – von einer Jury auf Platz drei gereihten – Hymnenvorschlag des Dichters Alexander Lernet-Holenia hervor:

      Volk der Freiheit, Volk der Brüder,

       Land der Liebe und der Lieder!

      Recht und Frieden, Heil und Glück,

      Freude ohne Ende schenke,

       Alle Deine Wege lenke

       Das allmächtige Geschick!

      Segnet Zeit und Zeitenwende,

      Werk der Geister und der Hände,

       Engel unsres Vaterlands!

      Heiligt Künste und Gesänge,

      Wald und Strom und Rebenhänge,

       Felderfrucht und Erntetanz!

      Keines Menschen Herrn noch Knechte,

      Von Geschlechte zu Geschlechte,

      Brüderlich und frei und gleich,

       Seid vom schönsten Band umschlungen!

      Ungebeugt und unbezwungen,

       Gott mit dir, mein Österreich!

      Der Wettbewerb für eine neue Hymne war am 12. März 1946 von der Regierung unter Bundeskanzler Leopold Figl ausgeschrieben worden. Wie den nun aufgefundenen Unterlagen zu entnehmen ist, sollten die Schöpfer der besten Hymne 10 000 Schilling erhalten, aufgeteilt je zur Hälfte auf den Textdichter und den Komponisten. Wortwörtlich wurde im Akt nach Feststehen des »Siegerteams« vermerkt: »Da der mit der höchsten Punkteanzahl bewertete Hymnenvorschlag zwei Autoren hat (Mozart und Preradovic) wäre der ausgesetzte Preis von 10 000 Schilling zu teilen: 5000 Schilling entfallen auf Punktesieger Preradovic, 5000 Schilling für Musik stehen theoretisch Mozart zu.«

      Messerscharf kombinierten die Ministerialbeamten, dass es Probleme mit der Überweisung des Honorars an den Komponisten geben könnte. Also beschloss man, die verbliebenen 5000 Schilling unter jenen zeitgenössischen Musikern aufzuteilen, deren Kompositionen von der Jury gleich hinter Mozart gereiht wurden. Dies waren die Herren Robert Fanta, Hermann Schmeidel, der damalige Operndirektor Franz Salmhofer und Alois Melichar.

      Dass Mozarts Freimaurer-Kantate – die ursprünglich den Titel Brüder reicht die Hand zum Bunde trug – zur Bundeshymne würde, stand anfangs keineswegs fest. Weite Teile der Bevölkerung und auch der zuständige Unterrichtsminister Felix Hurdes traten für eine Neutextierung der alten Kaiserhymne Joseph Haydns ein. Doch der Ministerrat stimmte dagegen, weil sie auch die Hymne der Nationalsozialisten war und man befürchtete, »dass dies im Ausland als Provokation empfunden werden könnte«.

      Also hielt man nach Texten Ausschau, die zu Mozarts Noten passten. Einen sandte – wenn auch vorerst anonym – der damalige Rundfunkdirektor Rudolf Henz ein:

      Lasst uns rühmen, lasst uns preisen,

      Brüderlich in hohen Weisen.

      Unser Land an Ehren reich,

      Unser Herz und Werk und Leben,

      Haben wir an dich vergeben.

       Schöne Heimat Österreich!

      Aus den Zeiten in die Zeiten,

      Seht uns kühnen Sinnes schreiten,

      Immer nur uns selber treu.

      Harte Arbeit, frohes Wesen,

      Leben selbst zur Kunst erlesen,

       Freiheit kündend, selber frei!

      Drum, ihr Länder, steht zusammen,

      Hütet unsern heiligen Namen,

      Unser Erbe schlicht und recht.

      Dass kein Hader uns entzweie,

      Jedes Schicksal uns erneue,

       Uns und jegliches Geschlecht!

      Eine Jury, der prominente Künstler wie der Operettenkomponist Edmund Eysler, der Dirigent Josef Krips, der Dichter Oskar Maurus Fontana, der Musikprofessor Friedrich Wildgans (ein Sohn des Dichters Anton Wildgans) sowie Wiens Kulturstadtrat Viktor Matejka angehörten, stimmte nun für Paula von Preradovic. Die Abstimmung ging denkbar knapp aus: Preradovic erhielt 47 Punkte, der Volksbildner Siegmund Guggenberger (Österreich, du Land in Ehren, ewig wird dein Name währen …) 45 Punkte, Alexander Lernet-Holenia 44. Danach kamen Rudolf Henz und Franz Theodor Czokor. Der sich für die zweifellos blutigste Version entschieden hat, die aber als einzige politisch-historischen Tiefgang zeigt:

      Teurer Boden, blutbefleckter,

       Und uns wieder neu erweckter

       Aus dem Völkertotenreich:

      Throne brachen, Länder schwanden,

      Nie mehr geh du uns zuschanden,

       Liebe Heimat Österreich!

      Land der Berge, Land der Seen,

      Darin von Ost und West ein Wehen,

      Sich zu Nord und Süd gesellt,

      Zeig uns, wo sich Wege finden,

      Zu versöhnen, zu verbinden,

       Was uns auseinander hält!

      Axt und Sense brauch als Waffen,

      Um zu ernten, um zu schaffen,

       Mit der brüderlichen Hand!

       Wenn sich die erneute Erde

      Einen will, dass Friede werde,

       Komm als Erstes, Vaterland!

      Fritz und Otto Molden, die Söhne Paula von Preradovics, haben später einen Prozess gegen die Republik auf Zahlung von Tantiemen für die Hymne angestrengt – und diesen verloren. Zu Recht, wie ich nach Einsicht in die »Akte Volkshymne« feststellen konnte, findet sich doch darin ein Passus, demzufolge mit dem Honorar in Höhe von 5000 Schilling »alle Rechte abgegolten« wurden.

      Politiker und Publizisten, die eine Änderung der Bundeshymne vorschlugen, weil in ihr die Rolle der Frau zu kurz käme, hätten mit den Texten der anderen Dichter ebenso wenig Freude gehabt, denn in keinem einzigen Vorschlag wird neben »Söhnen und Brüdern« der »Töchter und Schwestern« gedacht.

      Alles in allem können wir der Jury danken, dass die Entscheidung zu Gunsten der Worte Paula von Preradovics ausging.