Sieveringer wird Doktor
Ein Wiener zieht nach Sievering
Instandhaltungsarbeiten mit Beihilfe
Eine Frau, die schreibt, was sie will
Liebe und Ehe in einem ganz neuen Licht
Die Weltlage Neunzehnhundertfünfunddreißig, gesehen durch den bildungsfreien Blick einer Frau
Zwischen Sehnsucht und Erfüllung
für Felicitas und Mauro
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Du bist die Welt, der Kosmos, das Universum – eingezwängt in einen kleinen Frauenleib …« – die geradezu hymnische Emphase in den Briefen von Adolf Loos an die zwanzigjährige Lina Obertimpfler – in der Verlobungszeit, im Mai und Juni 1902, als er seinen Waffendienst in Kremsier abdienen musste, schrieb er ihr fast täglich – mag sich aus seiner emotionellen Gestimmtheit im Augenblick des Schreibens erklären; sie mag auf den ersten Blick als wenig typisch für den großen Architekten und Lebensreformer erscheinen, der zeitlebens als Verächter der Phrase und jedes überflüssigen Ornaments aufgetreten war, der die Dinge mit unbestechlichem, nüchternem Blick betrachtete und sie auf ihre wahre Substanz zurechtschnitt; und der doch in bedingungslose, ins Metaphysische greifende Begeisterung ausbrechen konnte angesichts einer vollendeten Form (und sei es auch nur die eines Senftiegels) oder der Echtheit eines kostbaren Materials.
Der unbestechliche Blick eines Adolf Loos hat sich offensichtlich auch in diesem Fall bewährt: dem Erkennen eines Menschen, dessen Vorzüge bei aller Jugend bereits voll ausgeprägt waren, sodass seine weiteren Lebensstationen nur Anlässe dafür sein konnten, sie voll sichtbar werden zu lassen.
Zu ihrem 24. Geburtstag, im Oktober 1906, schrieb der Dichter Peter Altenberg an die von ihm inbrünstig und eifersüchtig verehrte »Heldenreizerin«, die »Ljuba« seiner Prosagedichte, einen Brief, der – neben dem üblichen, zu seinem Repertoire gehörenden Komplimenten an Linas »wunderbare aschblonden Haare, ihre hechtgrauen Augen, ihre ambrafarbige Haut« – auch folgende Sätze enthält: »Wir arbeiten an uns, indem wir das Schicksal und das Leben an uns arbeiten lassen! Mit dem Wagemuthe eines Schwimmers in dem Ozean haben wir bisher den zaghaften Philister, erlahmend und endgiltige Schicksale sich bereitend, zurückgelassen am sicheren, aber öden Strande! Mögen Sie nie abirren von sich selbst, theure, zarte Freundin! Werde, der du bist!«
Damit war von dem in vielem gleichgestimmten Peter Altenberg ein Lebens-Motto ausgesprochen, das Lina Loos bis an das Ende ihrer Tage begleiten sollte und das in ihrem eigenen Werk immer wieder als Leitmotiv erkennbar wird.
Der bedeutende Kulturhistoriker und Kabarettist, Platoniker und romantische Kantianer Egon Friedell, mit Lina Loos von Jugend an befreundet und ihr Bühnenpartner in seinem Goethe-Sketch, nannte sie – die sich von seinem phänomenalen Wissen nicht beeindrucken ließ und unbeirrbar ihren Weg verfolgte – die »Kohlhäsin«. Die Korrespondenz der beiden, die sich über viele Jahre erstreckt hat, ist ein ständiger Dialog:
»Egon – wenn ich sehe, wie du deinen großen, dir von Gott verliehenen Verstand dazu benützt, Menschen zu achten und zu verachten, nach deinem Gutdünken – dann danke ich immer heimlich Gott, dass er mich so töricht geschaffen hat.«
Der Gegensatz zwischen zwei Temperamenten und zwei Weltanschauungen lässt Funken sprühen – und es ist kein Wunder, dass Friedell in einem Gespräch mit Hugo von Hofmannsthal bekannt hat, dass er das deutsche Lustspiel – seit Jahren von ihm erwartet – nur in Zusammenarbeit mit einem einzigen Menschen schreiben könne: mit Lina Loos.
Zu der erwünschten Zusammenarbeit ist es nie gekommen. Auch Friedells beharrlich vorgebrachten Heiratsanträge hat Lina Loos immer wieder zurückgewiesen.
Franz Theodor Csokor schließlich, der Dramatiker und Dichter, ihr treuester und selbstlosester Verehrer – vom ersten Kennenlernen, gegen Ende des 1. Weltkrieges, bis lange über ihren Tod hinaus, als er, ihrer gedenkend, noch Briefe schrieb, die an ihr Grab am Friedhof in Sievering adressiert waren – preist sie in seinen Gedichten: »Du bist Erde und das Licht im Turm … Schauend in jeder Verwirrung! … Sein im Schein!«.
Dass Lina Loos ihn nach dem Anschluss im März 1938 in seinem Entschluss bestärkt hatte, ohne äußeren Zwang und gegen den Willen seiner engsten Angehörigen, Österreich zu verlassen und – nur seiner Überzeugung folgend – freiwillig in die Emigration zu gehen, wo er in einer siebenjährigen Odyssee durch Polen, Rumänien, Jugoslawien