auf seltsame Weise vorausgesagt zu sein scheint in den Worten, die Jim zwei Tage nach dem Unfall in sein Tagebuch schrieb:
»›Gegen die Seele, die das Blut isst, werde ich mein Angesicht richten‹ (3. Mose 17,10). So auch bei mir. Wenn ich mein Lebensblut für mich würde behalten wollen und mich sträuben, es als Opfer hinzugießen – und so gegen das Beispiel meines Herrn handeln würde –, dann würde ich erfahren, dass Gott sich unerbittlich gegen meine Pläne wenden würde. Vater, nimm mein Leben, ja mein Blut, wenn Du willst, und verzehre es in Deinem Feuer. Ich will es nicht behalten, denn es ist nicht mein, dass ich es für mich behielte. Nimm es, Herr, nimm es ganz. Gieß mein Leben aus als eine Opfergabe für die Welt. Blut ist nur von Wert, wenn es vor Deinem Altar fließt.«
Das Hochschuljahr war fast zu Ende, als Jim mich eines Tages, zwischen zwei Vorlesungen, in der Halle festhielt. Er drückte mir ein kleines Buch in schwarzem Leder in die Hand. Ich nahm es mit in mein Zimmer und sah, dass es ein Gesangbuch war. Auf das erste Blatt hatte er ein paar Worte geschrieben, einen Bibelvers auf Griechisch, erst in seiner klaren, flüssigen Schrift, dann in kleinen Druckbuchstaben, und darunter stand vermerkt »Lied Nummer 46«. Als ich schnell die Nummer aufschlug, fand ich diesen Text:
Hält etwas mich hier unten fest,
das weg von Dir mein Herze zieht,
sodass es heimlich Deine Näh,
den trauten Umgang mit Dir flieht –
so hilf, dass schnell Dein irrend Kind
in neuer Lieb zu Dir sich find.
Heg ich ein Hoffen, lieb und wert,
das mir Dein Kommen, Herr, verstellt,
das tief im Innern mich mit Macht
will fesseln an die eitle Welt –
so löse mich und mach mich frei,
dass Dich zu schau’n mein Höchstes sei!
Dies hungrig’ Herz füllst Du allein,
stillst alle Sehnsucht in der Brust!
Drum Dein zu sein, sei meine Lust.
Dir dienen, folgen mehr und mehr
sei meiner Seele voll Begehr!
Erst in den allerletzten Wochen bevor er mir dieses Büchlein gab, war mir der Gedanke gekommen, dass Jim sich für mich interessierte. Aber selbst wenn ich irgendwelche Hoffnungen gehegt hätte, jetzt war für beide klar, für wen er sich entscheiden musste. Die Entscheidung musste heißen: Christus – Christus allein.
Ein paar Tage später machten wir am Abend einen gemeinsamen Spaziergang und redeten darüber, wie sonderbar die Bahn doch sei, auf die uns Gott geführt hatte. Nur einmal hatten wir uns bisher verabredet – zu einer missionarischen Versammlung in Chicago, ungefähr vier Wochen vorher. Wir waren viel zusammen gewesen zu gemeinsamer Arbeit und Gesprächen, hierin hatten wir eine fruchtbare Freundschaft gesehen, aber keiner von uns hatte zugegeben, dass es vielleicht auch mehr sei. Jetzt gestanden wir die Wahrheit ein – wir liebten uns.
Kaum darauf achtend, in welche Richtung wir gingen, gingen wir durch ein offenes Gittertor und fanden uns auf einem Friedhof wieder. Wir setzten uns auf eine Steinplatte, und Jim erklärte, er habe mich Gott dargeboten, ungefähr wie Abraham seinen Sohn Isaak. Ich erschrak – denn genau das gleiche Bild hatte mir seit einigen Tagen immer vorgeschwebt, wenn ich über unsere Beziehung nachgedacht hatte. Wir waren beide einer Ansicht, dass unser Weg von Gott bestimmt wurde. Unser beider Leben gehörte ganz Ihm, und wenn es Ihm gefallen würde, das »Opfer« anzunehmen und zu gebrauchen, so wollten wir nicht die Hand darauf legen, um es zurückzuziehen und für uns selber zu behalten. Mehr war nicht dazu zu sagen.
Wir saßen und schwiegen. Plötzlich erkannten wir – in unserem Rücken war der Mond aufgegangen –, dass zwischen uns der Schatten eines großen Steinkreuzes lag.
Das Datum dieses Abends ist in Jims Gesangbuch vermerkt, es steht neben dem folgenden Liedvers:
»Und willst Du wirklich, dass ich nun verzichte
auf jenes Eine, das mir köstlich schien –
so nimm es hin! Es war ja noch nicht mein! –
Ich lasse Dir ja nur, was längst schon Dein! –
Dein Will’ gescheh!«
Nach seinem Examen verbrachte Jim die ersten Tage der Sommerferien allein im Hause seiner Tante in Glenn Ellyn, einer kleinen Stadt nicht weit von Wheaton. Während dieser Zeit überdachte er den Entschluss, zu dem ihn Gott geführt hatte. Dass er richtig war, stand für ihn nicht infrage, aber welcher Zwiespalt sich in seinem Inneren abspielte, davon zeugt der nachstehende Eintrag in seinem Tagebuch:
18. Juni. »Josua 5 und 6. ›Geweihtes Gut‹. Das ist etwas, was für mich gilt im Hinblick auf Betty. Was uns beide angeht, so ist sie ›geweiht‹ worden – nicht der Vernichtung wie damals Jericho, sondern Gott geweiht, als ein lebendiges Brandopfer. Dem habe ich zwar zugestimmt, indem ich sagte, dass Er uns beide ganz zu eigen haben solle, als ›dem Herrn gebannt‹. Aber die verborgene Gefahr lag in dem Behalten von Hoffnungen (›köstliche Dinge‹, Gold und Silber), von Hoffnungen, dass Er mir Betty schließlich doch noch überlassen würde, dass unser Beschluss, unseren Weg zu Gott getrennt zu gehen, später von Ihm aufgehoben wird und ich so am Leben bleibe. Aber dann wäre es genauso, als wenn ich sie Ihm in Wirklichkeit gar nicht ›geweiht‹ hätte, denn ich hätte mir insgeheim vorbehalten, sie eines Tages für mich selber zu beanspruchen. Und hier kommt nun der Satz: ›Ihr jedoch sollt euch vor dem Gebannten hüten, damit ihr nicht … das Lager Israels … ins Unglück bringt‹ (Josua 6,18). Ach, wie ähnlich auch hier wieder – verscharrt unter dem Zelt lagen im Verborgenen die heimlichen Hoffnungen auf etwas, was ich nicht haben darf, die Sehnsüchte, an denen man sich in einsamen Momenten wärmt. Doch das Kreuz ist unwiderruflich. Es gibt jetzt kein Zurück mehr, auch kein Auf-halbem-Wege-Stehenbleiben. Ich muss weitergehen, schlafend wie Adam, bis Gott sieht, dass ich eine Gefährtin brauche und sie mir schenkt – falls ich sie tatsächlich brauche. Mach mein Herz stark, Herr, damit ich dir folge und nichts anrühre, was nicht mir gehört.«
DIE FEUERFLAMME
Da flog einer der Seraphim zu mir; und in seiner Hand war eine glühende Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte. Und er berührte damit meinen Mund und sprach: Siehe, dies hat deine Lippen berührt; so ist deine Schuld gewichen und deine Sünde gesühnt.
Jesaja 6,6
Auf Jims Gebet um Wegweisung für die Sommerferien, von dem er in seinem Tagebuch vor mehreren Monaten berichtet hatte, erhielt er jetzt Antwort:
»Geführt zu werden war für Israel auf seiner Wanderung etwas Unbestreitbares (4. Mose 9). Wenn Gott wollte, dass das Volk weiterzog, war dies eindeutig zu erkennen. Sollte mir der Vater Seine Weisung weniger deutlich zu erkennen geben? Das kann ich nicht glauben. Oft kommen mir zwar Zweifel, denn ich kann nichts sehen, aber sicher wird der Geist genauso unzweideutig führen wie die Wolkensäule. Ich muss ebenso bereit sein, hierzubleiben, wie an einen anderen Ort zu gehen, denn Gottes Gegenwart bestimmt den Ort, wo Sein Volk sich aufhalten soll. ›Wo ich bin, da wird auch mein Diener sein.‹ Ja, Herr – was also wird aus diesem Sommer?«
Im Juli 1948 machten Jim und drei andere Wheatoner Studenten – Dave Howard, Roger Lewis und Verd Holstaen – eine Reise als Evangelisationsmannschaft im Rahmen der Studentischen Vereinigung für Äußere Mission. Der Reiseplan führte sie durch die Staaten des mittleren Westens von Michigan bis Montana. In Kirchen, bei Bibeltagungen, in Freizeitlagern und Schulen sprachen sie zu jungen Menschen und erklärten ihnen, wie groß der Mangel an solchen war, die ihr Leben völlig in den Dienst Jesu Christi stellten. Sie betonten die Verantwortung der Kirche gegenüber denjenigen Völkerstämmen, die noch nie von Christus gehört haben. Jim wollte nicht, dass diese