ist, und jage auf das Ziel zu, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.
Philipper 3,12-14
Als Jim 1945 nach Wheaton gekommen war, hatte er gedacht, er würde im Höchstfall vielleicht zwei Jahre bleiben können. Im Herbst 1947, nach seinem Aufenthalt in Mexiko und einigen Wochen zu Hause, hatte er jedoch genug Geld zur Verfügung, um das Studium in Wheaton fortzusetzen, und er verstand das als ein Zeichen Gottes, dass er dorthin zurückkehren solle. Sein erster Brief nach Hause trug das Datum vom 15. September:
»Dr. Brooks bat mich, am Samstag ein paar Worte vor den neuen Studenten zu sprechen, und der Herr gab mir Kraft zum Ermahnen und Ermutigen. Das Thema lautete:
›Dinge, von denen ich als vorgeschrittenes Semester wünschte, ich hätte sie von jemandem gesagt bekommen, als ich anfing.‹ Ich erwähnte, dass es im Christenleben neben dem ›Glauben‹ und dem ›Wandeln‹ auch das ›Sein‹ gibt, und ich führte Ermahnungen aus dem Neuen Testament an, wie
›Seid nicht unwissend.‹
›Seid nicht solche, die sich selbst betrügen‹ (Jakob 1,22).
›Seid nüchtern‹ (1. Petrus 5,8).
›Seid wachsam‹ (Markus 13,9 NLB).
›Seid eingedenk des Wortes.‹
›Seid standhaft‹ (Lukas 21,19 LUT).
Möge der Herr mir Kraft geben, so zu leben, wie Sein Wort es verlangt.«
Entsprechend seinen Ansichten vom Vorjahr entschloss sich Jim, Griechisch als Hauptfach zu nehmen. Erstens ging es ihm darum, in die Ursprache des Neuen Testaments so tief wie möglich einzudringen, um dessen Sinn gründlich zu erfassen, und außerdem glaubte er, dass die Kenntnis des Griechischen ihm sehr viel helfen werde beim Übersetzen der Bibel in eine Ureinwohner-Sprache.
Aus den gleichen Gründen hatte auch ich Griechisch als Hauptfach gewählt, und unser Vorlesungsplan war fast identisch – ein recht seltener Fall bei einem College von fünfzehnhundert Studenten und einer so großen Auswahl von Vorlesungen. Eines Tages ging mir auf, dass jener Jim Elliot, der immer in die Vorlesungen über Thukydides, Herodot, die Septuaginta und alte Geschichte kam und auch am Seminar über griechische Dichter teilnahm, der gleiche Elliot sein musste, von dem mein Bruder Dave seit zwei Jahren ständig erzählte, einer seiner Freunde aus der Ringmannschaft, von dem er gemeint hatte, ich sollte ihn kennenlernen.
Jim saß in der Vorlesung über alte Geschichte ganz in meiner Nähe, auf der anderen Seite des Mittelgangs. Ja, dachte ich, er sieht tatsächlich wie ein Ringer aus. Fast einen Meter achtzig groß, mit Stiernacken und einem starken Brustkasten, wie ich es mir bei einem Ringkämpfer immer vorgestellt hatte. Das mit Grau gemischte Blau seiner Augen wurde unterstrichen durch den hellblauen Pullover, den er meistens trug, dazu graue Flanellhosen und eine leicht abgetragene Gabardinejacke. Schlips und Socken waren in der Farbe meistens darauf abgestimmt, und ich stellte fest, dass er alles »Feine« und Auffällige vermied, was in meinen Augen schon ein kleiner Pluspunkt für ihn war.
Nach den Vorlesungen unterhielten wir uns manchmal miteinander, und eines Tages im Oktober fragte Jim, ob wir uns nicht einmal abends treffen könnten. Aus dem Impuls des Augenblicks heraus nahm ich seinen Vorschlag zu einer Verabredung an, aber später machte ich einen Rückzieher. Das war kein sehr lobenswerter Schritt, wie ich mir danach von einigen anderen sagen lassen musste. Ob ich nicht wisse, dass Jim ein Weiberfeind sei? Ich hätte eine einmalige Gelegenheit ausgeschlagen.
Den Ruf eines Weiberfeindes hatte Jim sich dadurch erworben, dass er alles Unwesentliche rigoros aus seinem Tun ausschloss. Verabredungen, fand er, gehörten zu den Dingen, auf die er gut verzichten konnte. Zudem hatte ihn in diesen ersten Monaten seines dritten Studienjahres Gott angesprochen durch das Wort in Matthäus 19,12: »Es gibt Verschnittene, die sich selbst verschnitten haben um des Reiches der Himmel willen. Wer es fassen kann, der fasse es« (Matthäus 19,12).
Jim war kein Asket und genoss von ganzem Herzen alles das, wovon er glaubte, dass es ihm von Gott gegönnt sei, aber er hielt es für richtig, aus seinem Tun und Treiben alles auszuschließen, was die Macht besaß, ihn von der Erfüllung Seines Willens abzulenken. Die Regeln aus dem 1. Korintherbrief waren in seinen Augen unumgänglich, und es geschah nicht ohne Grund, dass Gott ihm diese Lehren gerade jetzt vor Augen stellte. Ob Gott ihm das verlieh, was er die »Gabe des Ledigbleibens« nannte (ein Ausdruck, den Jim aus 1. Korinther 7,7 nahm: »Doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so«), das wusste er noch nicht; aber jedenfalls versuchte er nicht, diese Möglichkeit von sich zu weisen. Er glaubte, dass Christus vollkommen ausreichend sei, auch für das volle Sich-Entfalten und Erfüllen der Persönlichkeit, und er war bereit, sich Ihm dafür ganz anzuvertrauen.
Jim schrieb in sein Tagebuch:
»Das leichte Lachen, die verführerische Musik sich vermischender Stimmen, die lockenden Reize lächelnder Augen – für eine Seele, die Christus geschmeckt hat, ist das alles ohne Würze. Ich möchte aber trinken von Ihm, und reichlich. Erfülle mich, Geist Christi, mit der ganzen Fülle Gottes.«
Als er sich mit der Geschichte von der Aussonderung der Leviten beschäftigte, in 5. Mose 9 und 10, und dass sie »weder Anteil noch ein Erbe« (5. Mose 10,9) haben sollten, schrieb er:
»Herr, wenn Du mir nur gewähren willst, dass ich diese Stellung des Ausgesonderten nehme, durch Deine Gnade, so begehre ich kein Erbe. NICHTS, NUR CHRISTUS.«
Als mein Bruder Dave ihn einlud, die Weihnachtsferien in »Birdsong«, unserem Haus in Moorestown, New Jersey, zu verbringen, sagte Jim freudig zu, weil er dachte (wie er später erst gestand), es sei eine gute Gelegenheit, mich näher kennenzulernen – ein Grund, den er damals ganz für sich behielt. Kein Mensch hätte etwas ahnen können von dem inneren Kampf, den er in diesen beiden Wochen durchmachte: Er hatte die Belehrungen über die Gefahren des »Sich-Bindens« in sich aufgenommen, und gleichzeitig spürte er ein wachsendes Interesse für meine Person. Ich ahnte aber damals nichts.
Während seines Aufenthalts bei uns schrieb er am 21. Dezember seiner Familie:
»Was Gottes Plan ist, dass Er mich hierhergeführt hat, kann ich jetzt nicht sagen, vielleicht werde ich es nie sagen können, solange ich noch auf dieser Erde wandle; aber dass Er führt und dass Sein Plan nicht misslingen wird, das weiß ich mit Bestimmtheit … Hier bin ich inmitten einer prachtvollen Familie: ein Sohn im Alter von Bob und seine Frau (Phil und Margaret); dann Betty, die heute einundzwanzig wird und in ihrem vierten Studienjahr in Wheaton steht; darauf folgt als Nächster Bruder Dave. Dann kommen Ginny, die Fünfzehnjährige mit umgekrempelten Socken, die genau wie Jane die Augen zumacht, wenn sie lächelt, was bei ihr sehr häufig ist; und Tommy, dreizehn; zusammen mit Jimmy, sieben; sie halten uns alle bei guter Laune und heiterer Stimmung. Auch hier finde ich wieder, dass die Kinder Gottes unheimlich freundlich sind, und diese ganz besonders. Heute Morgen bin ich in die ›Kirche‹ gegangen und habe festgestellt, dass ich erschreckend unwissend bin hinsichtlich der alten Bräuche, die wir bei unseren ›Versammlungen‹ so energisch verurteilen und ausmerzen (und die wir dennoch manchmal, ohne es zu merken, beibehalten). Ich kann nicht das Apostolische Glaubensbekenntnis und kenne auch nicht die richtigen Melodien der presbyterianischen Liturgie. Betet für mich. Ich brauche Standhaftigkeit, sowohl seelisch als auch geistlich.«
Meine Familie war von Jim entzückt. Auf uns, die wir aus Philadelphia und Neuengland stammen und die nüchterne und gesetzte Art der Leute aus dem Osten haben, wirkten sein stets bereites, offenes Lächeln, sein kräftiger Händedruck und seine ganze uneingeschränkte Offenherzigkeit erfrischend. Er reparierte alles, was eine Reparatur nötig hatte in dem schon ziemlich alten Haus, das seit einigen Jahren für uns acht die Heimat war. Einer kleinen alten Dame, die damals Küchenhilfe meiner Mutter war, half er beim Geschirrabtrocknen. »Der wird sich alle Herzen erobern«, sagte sie von Jim. »Wenn er eine Gabel findet, die nicht gut gespült ist, sagt er nicht, ich soll sie nochmal spülen, sondern tut es selber.« Trotz ihrer Taubheit konnte die alte Dame es hören, wenn Jim sang. Er wusste Hunderte von Kirchenliedern auswendig und ließ bei allen möglichen Gelegenheiten ungeniert seinen kräftigen, etwas spröden Bariton ertönen.