Elisabeth Elliot

Im Schatten des Allmächtigen


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meines Collegelebens, die mir noch im Gedächtnis bleiben werden, wenn die ganze Philosophie sich längst aus meinem Hirn verflüchtigt hat. Gott sitzt noch auf Seinem Thron, wir treten hin zu Seinem Fußschemel, und zwischen Ihm und uns ist nur die Länge eines Knies, wenn wir das eigene vor Ihm beugen!

      Diese Woche habe ich meine Noten bekommen, sie waren, wie erwartet, schlechter als im vorigen Semester. Ich will mich nicht entschuldigen, ich gebe zu, ich habe die Arbeit etwas vernachlässigt um des Bibelstudiums willen – in diesem einen Fach möchte ich einen Titel erlangen, den Titel ›v. G. a.‹, von Gott angenommen.«

      15. März. »Die Studentische Vereinigung für Äußere Mission besucht zurzeit die Gruppen der Inter-Varsity Fellowship (Christliche Studentenvereinigung in den USA und England) an allen Universitäten in unserem Gebiet. Gestern bin ich zum ersten Mal dabei gewesen. Ich wüsste nicht, wann ich jemals so viel Freude erfahren habe. Nachmittags um drei Uhr fuhr ich los, im Wagen eines Team-Mitglieds, um Viertel vor acht Uhr begann die Versammlung. Wir fuhren zu sechst, einer als Gesangsleiter, die anderen fünf, um etwa je zehn Minuten zu sprechen. Einer sprach über den dringenden Bedarf an männlichem Nachwuchs für die Außenmission; unter anderem brachte er Statistiken über Bevölkerung, Sterbeziffern, die geringe Zahl der Bewerber (ein männlicher auf 18 weibliche), und wies auf die Notwendigkeit hin, dass die Diener Gottes sich auch auf andere Länder verteilen. Ich selber sprach über den Heiligen Geist in der Missionsarbeit. Ein anderer behandelte die Methoden: Radio, Übersetzen, ärztliche Betreuung, Unterricht, Berufsleben, Filme, Benutzung von Flugzeugen, Häuserbau usw. Einer aus Afrika behandelte die praktische Seite – dass man Widerstandsfähigkeit braucht gegen Versuchung und Krankheit, dass man etwas davon verstehen muss, wie man Hütten oder sonstige Unterkünfte baut usw. Zum Schluss gab es eine Fragestunde – die Fragen waren vielfältig und anregend. Auf der Rückfahrt machten wir Station, um eine Kleinigkeit zu essen, und stießen auf eine verwirrte Kellnerin. Es zerriss mir das Herz, als ich versuchte, ihr die ›Worte des Lebens‹ zu sagen, und wenn ich an unser ganzes Land denke, wo viele ebenso verwirrt sind oder noch verwirrter, dann wird mir klar, dass der Omnibus Nr. 39 genauso ein Missionsfeld ist wie Afrika in seinen dunkelsten Zeiten.«

      22. März. »Mir fehlt beim Beten die Leidenschaft, die innere Kraft, das Leben, nach denen ich mich sehne. Ich weiß, viele finden, es sei Schwärmerei, wenn sie etwas hören, das nicht im Einklang steht mit den üblichen einschläfernden Lobreden, die so oft von laodicäischen Lippen ausgehen; ich weiß aber auch, dass die gleichen Leute Sünde ruhig dulden, sowohl in ihrem eigenen Leben als auch in der Gemeinde, ohne jedes Wimpernzucken. Kalte Gebete, so wie herzenskalte Freier, kamen selten an ihr Ziel.«

      29. März. »Nur noch zwei Tage und wieder wird ein Monat vorbei sein und sich den vergangenen anschließen – und indem das geschieht, möchte ich sagen: ›Gedankt sei Gott für diese 31 Tage.‹ Die letzten Wochen haben immer größere Freude gebracht, sodass ich jeden Abend sagen kann, wenn ich an die Freundlichkeit des Heilands denke: ›Sie ist heute wundervoller als gestern.‹ Jeden Abend sind wir hier zusammengekommen, und die geplante Zeit ist meistens überschritten, wenn wir wieder aufstehen und das Gefühl haben, dass wir eigentlich unsere Gesichter bedecken müssten, weil ein kleiner Abglanz der Herrlichkeit darauf liegt, die der Herr uns geschenkt hat. Das ist für mich wahres Christentum, wenn Kameraden beten und dann sehen, wie unter den Studenten Wunder geschehen. Jeder Tag wird ein Tag mit neu bewirkten Wundern.«

      Aus dem letzten Brief in seinem zweiten Studienjahr: »Was für eine grausame Herrin ist die Sünde – sie nimmt unserem Leben die Freude, stiehlt Geld und Gesundheit, macht Versprechungen von kommenden Genüssen und führt einen schließlich auf die verfaulten Planken, die über der Öffnung des Höllenpfuhls liegen. Mit aufrichtigem Loben kann ich heute Abend aufsehen zu Gott und mich über Seine herzliche Güte freuen, dass Er mich erlöst hat von einem sinnlosen Leben der Enttäuschung und von den anschließenden Qualen des ewig nagenden Gewissens, des Bedauerns und der zu späten Reue.«

      Es geschah im Laufe dieser beiden Collegejahre, dass Jim die unmittelbare, persönliche Bedeutung von Jesu Gebot klar wurde, hinzugehen und das Evangelium zu verkündigen. Er kam zu der Überzeugung, dass der Befehl auch ihm gelte. Über den genauen Zeitpunkt, wann diese Überzeugung bei ihm durchbrach, gibt es keinen Bericht, aber ein kleines schwarzes Notizbuch mit auswechselbaren Blättern zeugt von seiner Sorge um die Millionen, die noch keine Möglichkeit gehabt hatten zu hören, was Gott getan hat, um den Menschen zu sich zurückzubringen. Das Notizbuch wurde nach Jims Tod am Ufer des Curaray gefunden, die Blätter lagen auf dem Sand verstreut, bei manchen war die Tinte durch das Wasser völlig ausgelöscht, andere waren schmutzig und verregnet, aber doch noch leserlich. Abgesehen von den Namen von Hunderten von Menschen, für die Jim betete, fand sich unter den Notizen auch ein Rezept, wie man Seife macht (aufgeschrieben sicherlich in der Voraussicht, dass er eines Tages ein Pionierleben auf irgendeinem Missionsfeld führen würde); außerdem Notizen für seine eigenen Predigten auf Englisch, Spanisch, Quechua; Aufzeichnungen über die Waoraniprache und statistische Zahlen über Äußere Mission, die er sich in seiner Collegezeit notiert hatte. Nachfolgend ein Auszug:

      »1 700 Sprachen haben kein einziges übersetztes Wort der Bibel. 90 Prozent derer, die sich für das Missionsfeld melden, gelangen nie dorthin. Es ist mehr nötig als nur ein ›Herr, ich bin willens‹. 64 Prozent der Menschheit hat noch nie etwas von Christus gehört. In jeder Stunde sterben 5 000 Menschen. Die Bevölkerung von Indien ist so groß wie die von Nordamerika, Afrika und Südamerika zusammen. Dort kommt ein Missionar auf 91 000 Menschen. In den fremden Ländern gibt es einen Reichsgottesarbeiter auf je 50 000 Menschen, während es in den USA einen auf 500 gibt.«

      Angesichts des eindeutigen Befehls Christi in Verbindung mit diesen erschütternden Fakten glaubte Jim, dass er, wenn er in den Staaten bliebe, nachweisen müsse, dass sein Bleiben gerechtfertigt sei.

      Er fasste den Plan, in die Äußere Mission zu gehen, wo immer Gott ihn hinführen würde, und unternahm die ersten praktischen Schritte in diese Richtung im Sommer 1947, indem er per Anhalter nach Mexiko fuhr, zusammen mit Ron Harris, einem Collegefreund, dessen Eltern dort als Missionare lebten. Über seine ersten Eindrücke schrieb er seinen Eltern am 23. Juni:

      »Mexiko hat mein Herz gestohlen. Wir sind jetzt vierzehn Tage hier bei Rons Familie, und sie haben mich eingeladen, so lange dazubleiben, wie ich Lust habe. Im Augenblick wünschte ich fast, es wäre für immer … Gott hat mir sehr viel Freundlichkeit erwiesen, dass Er mich hierhergeführt und mir Gelegenheit gegeben hat, ein wenig das Arbeitsfeld zu sehen und die Sprache zu hören. Missionare sind sehr menschenfreundlich; worum man sie bittet, das tun sie. Sie selber ordnen sich ganz unten ein und wollen Ihn preisen in allem, was sie tun.«

      Jim blieb sechs Wochen bei der Familie Harris. Er machte seine ersten spanischen Sprachstudien, beobachtete die Methoden seiner Gastgeber bei der Missionsarbeit, erhielt von ihnen Ratschläge und machte sich über alles, was er aufnahm, Notizen, sogar über die spanischen Namen von Vögeln, Blumen und Bergen.

      Gegen Ende seines Aufenthaltes in Mexiko wurde er gebeten, in einer Versammlung für Kinder zu sprechen. Trotz seiner erst einmonatigen Sprachstudien entschloss er sich, es zu versuchen, und zwar ohne Dolmetscher.

      »Das Thema war die Arche Noah und der Regenbogen der Verheißung«, erinnert sich Ron Harris. »Etwa 150 Kinder saßen aufmerksam und ruhig da, während Jim über eine halbe Stunde lang zu ihnen sprach. Hinter ihm war eine Tafel, und jedes Mal, wenn er ein Wort nicht wusste, zeichnete er auf die Tafel und fand irgendjemand, der ihm das Wort, das er brauchte, sagte. Durch seinen glühenden Eifer und indem er alles, was er lernte, bereitwillig anwandte, kam er mit dem Spanischen trotz der kurzen Zeit sehr gut voran.«

      Als Jim nach Oregon zurücktrampte, gab es für ihn kaum noch einen Zweifel, dass Lateinamerika das Land war, in welches Gott ihn rief. Er wusste jetzt, dass er sich nie mit dem »Üblichen« würde begnügen können. Sein Blick war auf die gerichtet, die das Wort noch nie gehört hatten.

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      UNBEIRRBAR AUF DAS VORGESTECKTE ZIEL ZU

      Nicht,