Elisabeth Elliot

Im Schatten des Allmächtigen


Скачать книгу

Wissen, das nur Theorie bleibt, sondern lasst es leben – als etwas immer wieder Frisches, Neues und Pulsierendes. So, wie es auch das Vorbild der Apostel lehrt …«

      Jim studierte selbst Gottes Wort, und auch wenn seine Auffassung von dem, was es besagte, nicht im Einklang stand mit der gemeinhin üblichen, ließ er sich dadurch nicht von seiner Lebensführung abbringen.

      »Die Richtschnur für mein Verhalten ist nicht gegeben in der Verhaltensweise derer, die um mich herum sind«, schrieb er. »Man soll nicht dem Beispiel derer folgen, die man in der Welt zurückgelassen hat, aber auch nicht derer, die man in der Kirche findet. Richtschnur meines Lebens soll vielmehr das Gebot Gottes sein, wie es in Seinem Wort zu finden ist, und für diese Art der Lebensführung gibt es, so wie ich die Dinge sehe, überall nur wenig Beispiele.«

      Etwa vier Wochen nach der Unterbrechung des Studiums durch die Weihnachtsferien schrieb er in sein Tagebuch:

      »1. Mose 28: Gottes Verheißung an Abraham lautete, dass sein Same wie der Staub auf Erden und die Sterne am Himmel werden solle. Die Sterne bedeuten diejenigen seiner Nachkommen, die es durch den Glauben sind, ein Himmels- oder Gottesvolk mit einem göttlichen Ziel und göttlichen Verheißungen. Ismael gehört nicht zu den Nachkommen im Glauben, denn ›in Isaak soll deine Nachkommenschaft genannt werden‹ (Hebräer 11,18). Jakob, der später Israel heißt, gibt seinen Namen dann an alle Nachkommen weiter, auch an die, welche irdisch gesinnt sind. Der Unterschied der Bestimmung macht diese beiden Arten von Nachkommen so wesensverschieden, dass es ein fahrlässiges Missverstehen der Schrift ist, wenn man behauptet, zwischen ihnen bestehe Gleichheit auf dem Gebiet des Rechts, des Kriegsdienstes oder des Erbes.«

      Jims Ansichten über Kriegsdienst und Recht, über Theologie und Philosophie gründeten sich, obwohl manche darin Bilderstürmerei sahen, auf seine einfache, wortgetreue Auslegung der Schrift und deren Anwendung auf das tägliche Leben. Selbst seine Glückwünsche zu Geburtstagen bewegten sich nicht entlang des üblichen Schemas, wie der folgende Brief an seinen Bruder Bert veranschaulicht:

      »Für Dich, Bruder, bete ich, dass der Herr dieses Jahr mit Seiner Güte krönt und im kommenden Dir einen Geist heiligen Wagemuts verleiht zum Erheben des schneidenden Schwertes der Wahrheit und dass Du erfüllt bist von der brennenden Leidenschaft, die der gebildete bürgerliche Christ ›Schwärmerei‹ und ›Fanatismus‹ nennt; Gott aber sieht darin jene heilige Torheit, die Seinen Sohn durch blutigen Schweiß und heiße Tränen zum Todeskampf an einem rohen Kreuz führte und – zur Herrlichkeit!«

      An seine fünfzehnjährige Schwester Jane schrieb er Folgendes:

      »Richte den Blick fest auf den aufgehenden Morgenstern. Lass Dich durch nichts enttäuschen, aber auch nicht in übertriebene Begeisterung versetzen. Lebe jeden Tag so, als ob des Menschen Sohn vor der Tür stünde, und denke bei allem an die Flüchtigkeit des Augenblicks. Wie kann er genutzt werden? Wandle so, als würde Dich der nächste Schritt über die Himmelsschwelle führen. Bete! Der Gläubige, der auf den Knien vorrückt, braucht nie zurückzuweichen.«

      Jim betete damals viel für Dinge, welche die Missionsarbeit betrafen.

      »Manche sind in Unwissenheit über Gott; zur Beschämung sage ich es euch«, schrieb er mit den Worten des Apostels Paulus. »Sie müssen von Ihm hören. Der Herr legt mir die Not der noch unerreichten Millionen Innerasiens schwer auf die Seele. Warum gibt es in der Kirche kein Erwachen? Welch hohe Berufung ist allen denen angeboten, die beten: ›Sende mich‹.

      Unsere jungen Leute gehen ins praktische Berufsleben, weil sie sich zur Missionsarbeit nicht ›gerufen‹ fühlen. Aber wir brauchen keinen Ruf; wir brauchen einen Tritt in den Hintern. Wir müssen endlich daran denken, dass wir ›hingehen‹ müssen; und nicht mehr ständig klagen, dass die anderen ›nicht herkommen‹, nicht in unsere Kirchen gehen. Wer hat Verlangen, in die Eiseskälte einer Eskimohütte zu gehen? Selbst in Gräbern ist keine solche Kälte wie in unseren Kirchen. Möge Gott uns aussenden.«

      Er war Mitglied der Studentischen Vereinigung für Äußere Mission und nahm an ihren frühmorgendlichen Gebetsversammlungen teil. Am späten Abend, nach der eigentlichen Arbeit, richtete er oft noch Liebesgabenpakete für Europa her. Doch sein Blick für die Not der Welt umschloss auch die, die direkt vor seiner Tür waren, und Sonntagnachmittags fuhr er nach Chicago hinein und sprach zu denen, die in den großen Bahnhöfen auf ihre Züge warteten, von Christus.

      »Keine Frucht bisher«, schrieb er. »Woran liegt es, dass ich so unfruchtbar bin? Nur einen oder zwei, soweit ich mich erinnern kann, habe ich in Gottes Reich geführt. Das ist kein sehr machtvolles Bekunden der Kraft, die uns durch den Auferstandenen verliehen worden ist. Ich fühle mich wie Rahel: ›Schaffe mir Kinder, oder ich sterbe.‹«

      Die Liebe zu Gott, glaubte Jim, muss sich bekunden in Liebe zu den Menschen, nicht nur zu solchen, die Ihn noch nicht kennen, sondern auch zu denen, die sich nach Seinem Namen nennen.

      »Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, ist er ein Lügner« (1. Johannes 4,20).

      In einer Stadt nicht weit von Wheaton gab es eine kleine Gruppe von Christen, die sich nach schlichtem, neutestamentlichem Vorbild regelmäßig trafen. Jim schloss sich ihnen an; er hoffte, er könnte ihnen irgendwelche Hilfe bringen. Sein Tagebuch zeigt jedoch, dass er dort eine ähnliche Enttäuschung über sich empfand wie bei seinen Bemühungen auf den Bahnhöfen in Chicago:

      »›Der Mann, den ich erwählen werde, dessen Stab wird sprossen‹ (4. Mose 17,20). Wenn Du mich erwählt hast, Vater, dann sollte ich grünen und blühen und Frucht tragen für Dich.«

      Sein Wunsch wurde nicht erfüllt, wie es scheint, zum mindesten nicht sichtbar, doch seine seelischen Bemühungen trugen wenigstens dazu bei, ihn vor dem zu bewahren, was beim normalen Collegestudenten ein Leben unbeschränkter Selbstsucht ist.

      Weil er lernen wollte, wie man für Gott lebt, suchte er Hilfe bei älteren Christen und bat sie manchmal, mit ihm zu beten.

      »Hatte Gebetsgemeinschaft mit Bruder Harper«, schrieb er einmal, »und ein Gespräch über die göttlichen Dinge. Ein fruchtbares Erlebnis. Herr, zünde den toten Reisighaufen meines Lebens an, gib, dass ich aufflamme und für Dich verbrenne. Verzehre mein Leben, Gott, denn es ist Dein. Ich trachte nicht nach einem langen Leben, sondern nach einem erfüllten, gleich Dir, Herr Jesus.«

      Weitere Tagebuchauszüge aus diesem dritten Studienjahr zeigen sein unnachgiebiges Streben zu Gott hin.

      3. Februar. »Oh Gott, bewahre mich vor einem Leben der Leere, das nur die toten Regeln moralischer Gesetze kennt. Gib vielmehr die innige Verbundenheit der Seele mit Deinem göttlichen Leben, damit Frucht entsteht, damit wieder allen offenbar wird, dass Christus wahres Leben wirkt, Leben in Fülle.«

      10. März. »Heiland, ich weiß, Du hast mir volle Freiheit gegeben, Dir zu dienen oder meinen eigenen Weg zu gehen. Ich möchte Dir auf ewig dienen, denn ich liebe meinen Meister. Ich will nicht nach meinem Eigenwillen leben. Richte mein Ohr aus, Herr, dass es nur Deine Stimme hört.«

      16. April. »Oh Lamm Gottes, was für ein einzigartiges Opfer bist Du! Wessen Blut hätte dasselbe leisten können wie Deins? Blut von Böcken konnte nicht reinwaschen, denn Tiere stehen außerhalb von Gut und Böse. Mein eigenes wäre nutzlos, denn ich bin voll von Bösem. Nur Du bist völlig gut und ohne Makel, nur Dein Blut konnte eine Wirkung haben.«

      Am gleichen Tag unternahmen Jim und ein paar andere Studenten eine Fahrt als Evangelisationsmannschaft. Bei einer Bahnkreuzung blieb das Auto mitten auf den Gleisen stehen und wurde, wenige Sekunden nachdem sie hinausgesprungen waren, von einem Güterzug zertrümmert. Jim sandte seinen Eltern einen Zeitungsausschnitt und schrieb folgende Bemerkungen dazu:

      »Die Einzelheiten stimmen ungefähr, aber Zeitungsleute wissen ja nichts von den dienenden Geistern, die der Weltenherrscher aussendet, damit sie denen dienen, die das Heil erben sollen. Es machte mich recht nachdenklich, dass der Herr mich hier gerettet hat. Sicher hat Er eine Arbeit irgendwo, für die Er mich vorsieht. Ach, dass ich das ergreifen möchte, wozu ich selbst ergriffen worden bin!«

      So entrann Jim mindestens zum zweiten