Amed Sherwan

Kafir


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frage ich sie.

      »Ja, schon, solange wir alleine sind«, seufzt sie, stellt den Ton des Fernsehers runter und schüttet mir ihr Herz darüber aus, dass sie sich in Anwesenheit seiner arabischen Freunde oft wie ein Fremdkörper fühlt. »Immerhin kennen einige jetzt schon meinen Namen. Aber meistens bin ich nur ›die Deutsche‹.«

      »Sie sind nur neidisch, dass er eine feste Freundin hat. Die können davon doch nur träumen.«

      »Ach Quatsch«, sagt sie missmutig. »Für die bin ich doch eine Hure, mit der man nur zusammen ist, bis man eine ›richtige‹ Frau findet.«

      Ich versichere ihr, dass er sie liebt.

      »Das weiß ich. Aber wird er jemals wirklich zu mir stehen?«

      »Er steht doch sogar zu mir!«

      »Jaja, du bist zwar ein Kāfir, aber trotzdem ein Bruder.«

      »Du bist doch auch eine Schwester«, sage ich.

      »Na, glücklicherweise bin ich das nicht«, lacht sie. »Lieber Hure als Schwester. Ich ziehe garantiert kein Kopftuch an, damit sie mich respektieren.«

      »Sharaf, Ehre!«, sage ich und mache ein feierliches Gesicht.

      Der kleine Gangster ist für mich da, wenn ich es mit allen anderen verbockt habe. Er verteidigt mich selbst dann, wenn Leute ihn deswegen bedrohen. Er verzeiht mir alles. Und er ist der Grund dafür, dass ich Muslime nie pauschal hassen werde. Aber sein Freundeskreis erfüllt trotzdem jedes Klischee.

      »Ich habe den Spieler mal gefragt, was Ehre ist«, erzähle ich ihr. »Er meinte, es sei das Wichtigste im Leben, konnte mir aber nicht wirklich erklären, was Ehre ausmacht.«

      »Aber er weiß vermutlich genau, wann seine Ehre gekränkt ist«, sie verzieht das Gesicht. »Wenn seine Schwester, Mutter oder Frau ihm Schande macht.«

      »Ja, die Ehre der Männer liegt zwischen den Beinen der Frauen, das ist zum Kotzen. Aber es tut natürlich gut, zu Hause den geilen Macker zu spielen, wenn man sonst immer der letzte Arsch ist.«

      »Wo bleibt mein ehrenhafter Mann eigentlich so lange?«, fragt sie. Wir horchen auf und hören ihn in der Küche auf Arabisch mit dem Mann seiner Cousine streiten.

      »Wie lange soll diese Person noch in unserem Haus sein?«, brüllt der Mann.

      »Oh Shit, ich glaube, er ist sauer, weil ich hier bin.« Ich übersetze ihr den Wortwechsel.

      »Nein, es geht bestimmt um mich. Hier können wir nicht sein, weil ich eine Hure bin. Bei meinen Eltern geht es nicht, weil er ein Kanake ist.«

      Der kleine Gangster kommt rein und serviert uns den Tee. Er setzt sich neben die Schülerin, sie krault ihm seinen roten Bart.

      »Ihr seid wie Romeo und Julia!«

      »Na, hoffentlich nimmt unsere Liebesgeschichte ein besseres Ende!«, sagt sie.

      »Das liegt in deiner Hand, Habibi«, sage ich dem kleinen Gangster. »Liebe statt Ehre!«

      Er küsst sie sanft in den Nacken.

       DER DJINN

      »Was ist nur mit dem Jungen los?«, fragten sich die Lehrer, meine Eltern und die Nachbarn. Ich fragte mich das auch. Hatte Gott mich wirklich so geschaffen? War etwas bei der Geburt falschgelaufen oder war ich ein vertauschtes Kind? Kam es von der Beule vom Teppichunfall? Hatte der Autounfall meinen Kopf kaputt gemacht oder der Schlag meines Vaters?

      Ich war elf Jahre alt, in der Schule wurden meine Noten dramatisch schlechter und der Haussegen hing schief. Weder die Beschwerden der Lehrer noch die Schläge meines Vaters, die Ermahnungen meiner Mutter oder meine eigenen Gebete halfen. Zu allem Übel entdeckte meine Mutter auch noch, dass ich nachts im Schlaf durch das Haus wandelte. Und so fand sie zu der Überzeugung, ich sei von einem Djinn besessen.

      »Hör zu, ich habe einen amerikanischen Spezialisten in Kerkûk gefunden«, sagte sie eines Tages in den Ferien. »Mein Onkel wird uns hinfahren. Es ist ein sehr guter Arzt, er kann deine Füße heilen.« Ich war überrascht, denn wir hatten lange nicht mehr über meine Füße gesprochen. Aber dann ließ ich mich überreden. Natürlich wollte ich gerne besser laufen können.

      Der Onkel meiner Mutter wartete schon draußen vor unserem Haus in seinem Auto.

      Ich schaute meine Mutter an.

      »Wir haben diesen Termin heute bekommen«, sagte sie nur.

      Mein Großonkel begrüßte mich fröhlich aus dem Auto heraus, so, als solle es eher zu einer Feier als zu einem Arzt gehen. Das verwirrte mich, denn normalerweise hatte er nicht viel für mich übrig.

      Wir fuhren raus aus der Stadt. Die Häuser wurden immer spärlicher und vor dem staubigen Fenster zog die Landschaft an mir vorbei. Hügel, trockenes Gebüsch, gelegentlich ein Haus oder eine Tankstelle. An der Scheibe klebte ein Insekt. Meine Mutter saß schweigend vor mir auf dem Beifahrersitz und lächelte mich gelegentlich durch den Rückspiegel an. Es dauerte ewig.

      »Wann sind wir denn endlich da?«, fragte ich.

      »Gleich, Kúřim.«

      Irgendwann kamen wir zum Checkpoint vor Kerkûk.

      »Salām«, begrüßte mein Großonkel den Beamten. Der guckte kurz und winkte uns durch.

      Wir fuhren in die Stadt hinein, mein Großonkel nahm das Tempo runter. Er lenkte das Auto durch eine schmale, verfallene Gasse und parkte vor einer kleinen Moschee. Das 'Asr, das Nachmittagsgebet, war gerade vorbei. Männer kamen aus dem Haus und gingen an uns vorbei.

      »Was sollen wir denn hier?« Ich war irritiert. »Das ist keine Arztpraxis.«

      »Wir möchten vor der Behandlung beten«, sagte meine Mutter.

      »Nein, ich warte im Auto.«

      »Komm bitte mit.« Meine Mutter öffnete meine Tür, ich stieg zögerlich aus.

      Mein Großonkel legte seinen Arm an meinen Rücken und meine Mutter lächelte mich an.

      Ich hatte plötzlich Angst, riss mich los, drehte mich um und lief weg. Doch mein Großonkel fing mich schnell ein und ließ mich nicht wieder los. Die beiden schleiften mich förmlich zwischen ihnen her.

      »Was ist bloß los mit dir?«, rief meine Mutter. »Du gehst doch sonst so gern in die Moschee.«

       DIE ALBTRÄUME

      »Heute Nacht habe ich wieder Albträume gesehen«, sage ich zu meiner Freundin. Ich sitze am Frühstückstisch, sie kommt aus dem Bad.

      »Auf Deutsch hat man Albträume, man sieht sie nicht«, antwortet sie, während sie sich hektisch für die Arbeit fertig macht.

      »Auf Kurdisch sieht man seine Träume«, entgegne ich leicht genervt. »Es fühlt sich auch so an wie in einem Kino, in dem nichts läuft außer Horrorfilme. Und ich kann die Augen nicht schließen. Da war eine große Demonstration in der Stadt, die Menschen hatten sich in weiße Gewänder mit spitzen Kappen gehüllt und trugen brennende Fackeln. Sie sahen aus wie der Ku-Klux-Klan, aber ich wusste, dass es Islamisten sind, die mich suchen.«

      »Ach, Hase.« Sie küsst mich und lässt mich mit meinen Gedanken allein.

      Die Träume kommen nicht zufällig. Sie brechen nachts über mich herein, wenn ich tagsüber zu viele schreckliche Nachrichten bekomme. Dann ist meine Zeit im Irak nicht mehr Vergangenheit, sondern läuft in meinem Nachtkino auf Heavy Rotation und zeigt sich in immer wieder neuen Bildern.

      Der Auslöser ist diesmal ein Anruf von einer fremden Frau, die mich auf Facebook gefunden hat. Sie lebt in ständiger Angst vor ihrem gewalttätigen Ehemann.

      »Er hat mir vorgeschrieben, was ich anziehen darf. Ich durfte das Haus nicht alleine verlassen. Ich hatte keinen