Amed Sherwan

Kafir


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nur ein Mal so viel Geld gespart, dass ich ein kleines Paket mit Geschenken an meine Geschwister schicken konnte. Sonst habe ich persönlich noch nie Geld außer Landes gebracht. Ich kenne mich damit nicht wirklich aus. Aber glaubst du, dass ich Deutschland ärmer mache?«

      »Aber willst du ewig vom Geld des Staates abhängig sein?«

      »Nein, natürlich nicht«, sage ich. »Wer will das schon? Ich finde das genauso furchtbar wie du.«

      »Ich bin aber auch sehr dankbar, dass ich hier nie verhungern muss.«

      »Natürlich, das bin ich auch«. Ich drehe uns aus den allerletzten Tabakkrümeln zwei Zigaretten. »Mein Kühlschrank ist allerdings gerade genauso leer wie mein Tabakbeutel.«

       DIE KATZE

      Wenn meine Geschwister und ich mit den Kindern aus der Nachbarschaft spielten, fragte ich mich oft, ob ich genau wie die Kinder aus Helebçe in einer fremden Familie lebte. Vielleicht hatte meine Mutter die Geschichte von meiner Geburt nur erfunden, um mich zu beruhigen?

      In den Spielen stand meistens ein Kind in der Mitte, musste zwischen den Beinen der anderen Kinder entweichen, einen Ball rauswerfen oder blitzschnell versuchen, einen Platz zu erwischen, wenn die anderen Kinder ihre Positionen tauschten. Meine Geschwister waren dabei schnell und geschickt. Ich stand immer in der Mitte. Und wenn es mir endlich gelang, aus der Mitte rauszukommen, war es für das neue Kind in der Mitte ein Leichtes, meinen Platz zurückzuergattern.

      Wenn mich die Spiele traurig machten, kletterte ich aufs Dach und guckte über meine Welt. Und wenn ich mich unbeobachtet fühlte, kletterte ich von unserem Dach auf das Nachbardach und von da auf das nächste. Mitunter musste ich nur eine Umrandung übersteigen, manchmal über einen schmalen Spalt springen. Gelegentlich traf ich Katzen, die genau wie ich über die Dächer turnten. Die meisten liefen ängstlich weg, aber eine kleine schwarze Katze ließ sich manchmal streicheln. Dann setzte ich mich neben sie, spürte ihren weichen Körper und das leise Schnurren unter der Kehle. Ich schaute zu, wie ihr die Augen vor Wohlbehagen zu kleinen Schlitzen zufielen.

      Nach den Streifzügen kletterte ich über unser Dach zurück in den Innenhof und guckte, ob mein Vater schon zurück war. Oft saß er vor dem Fernseher und guckte Fußball. Manchmal setzte ich mich eine Weile dazu, obwohl es mich nicht interessierte.

      »Kann ich dein Mobiltelefon leihen, Baba?«, fragte ich ihn dann. Sein Telefon war von Nokia, hellblau, ganz klein und modern. Wenn man es anschaltete, lief ein kleiner Film mit zwei Händen, die sich einen Handschlag gaben. Ich spielte immer ein Spiel, bei dem man eine kleine Schlange mit den Tasten über den kleinen Bildschirm bewegen konnte. Wenn ich davon genug hatte, lief ich raus zu meiner Mutter, um zu sehen, ob ich helfen konnte.

      Oft saß sie zusammen mit den Nachbarinnen im Innenhof und backte Nansaji, weiches Fladenbrot. Schräg rechts vor sich hatte sie dann die Teigkugeln unter einem Tuch und direkt vor sich eine kleine Holzplatte, auf der sie jeweils eine Kugel mit einer dünnen Holzrolle zu einem Fladen rollte, den sie danach auf einem großen Kissen glatt zog, bis er ganz dünn war. Dann drehte sie das Kissen mit Schwung kopfüber auf die nach oben gewölbte metallene Halbkugel, den Sac. Unter dem Sac loderte eine Gasflamme. Das Metall war heiß und meine Mutter achtete genau auf den Fladen. Sobald er anfing Blasen zu schlagen, hob sie ihn vom Metall und legte ihn auf den Stapel links von sich, wo der Teig schnell steif wurde. Wenn wir das Brot später essen wollten, mussten wir es mit etwas Wasser besprenkeln, damit es wieder weich und geschmeidig wurde.

      »Pass auf«, sagte meine Mutter. Beim Brotbacken durfte ich ihr nicht zu nahe kommen, sie hatte Angst, dass ich etwas umstoßen und mich an dem Feuer verbrennen konnte. Ich ging dann raus, um den Block. Auf den großen Straßen fuhren die Autos im ständigen Strom, es gab keine Ampeln für Menschen. Wer rüber wollte, musste auf Gott vertrauen und sich todesmutig in den Verkehr stürzen. Das durfte ich noch nicht alleine. Also ging ich durch die ruhigen kleinen Seitenstraßen um unser Haus, grüßte den Friseur und schlenderte weiter.

      Einmal entdeckte ich dabei ein kleines schwarzes Fellknäuel neben einem Hauseingang unweit des Friseursalons. Meine Katze lag auf der Seite, ihre Augen starrten geradeaus. Ich fasste sie vorsichtig an, ihr Körper unter dem Fell war hart wie Stein. Ich sprang auf, lief zum Friseur und erzählte ihm von meinem schrecklichen Fund.

      »Wilde Tiere leben gefährlich«, sagte er, streichelte mir tröstend über den Kopf und erklärte mir, dass einige Menschen vergiftete Köder auslegten für die wilden Katzen und Hunde der Stadt. »Geh lieber schnell wieder nach Hause.«

       DER TOD

      »Ich habe kürzlich zum ersten Mal einen toten Menschen gesehen«, erzähle ich dem Trainer. »Ein Freund von mir ist überraschend gestorben.«

      »Und du hast ihn dann tot gesehen?«, fragt der Trainer verwundert.

      »Wir waren bei der Aufbahrung im Bestattungsinstitut und haben Abschied genommen.«

      »Macht man das so in Deutschland? Das wusste ich nicht.«

      »Es machen wohl nicht alle so«, gebe ich weiter, was mir meine Freundin erklärt hat. »Jedenfalls denke ich seitdem viel über den Tod nach. Es gibt viele Menschen, die ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde. Aber es ist anders, wenn jemand stirbt und du es mit Sicherheit weißt. Ich habe immer Angst, dass meine Eltern sterben und ich sie nie wieder in die Arme schließen werde.«

      Er nickt.

      »Früher habe ich fest an ein Leben nach dem Tod geglaubt, aber seitdem mir der Glaube abhandengekommen ist, hat Sterben eine andere Bedeutung für mich«, sage ich. »Vielleicht macht der Glaube an ein Leben nach dem Tod die Leute so fahrlässig im Umgang mit Menschenleben?«

      »Ich hatte meine erste Begegnung mit dem Tod als Soldat«, sagt er.

      »Wie war das?«

      »Na, wie war das wohl?« Er macht sich sein Haargummi ab, streicht die Haare wieder glatt nach hinten und bindet sich einen Zopf.

      »Was ist denn genau passiert?«

      Er wirkt plötzlich sehr angegriffen.

      »Wir haben auf die Ankunft ganz junger neuer Rekruten gewartet. Als sie nicht wie geplant ankamen, haben wir uns auf den Weg gemacht. Und da lagen sie dann, alle tot, mehr als zwanzig junge Männer, einfach erschossen. Sie sind in einen Hinterhalt geraten. Wir mussten ihre Kleidung durchsuchen nach persönlichen Gegenständen. Ich fand ein Mobiltelefon und habe damit die Familie des Jungen angerufen. Es war furchtbar.«

      »Und danach bist du desertiert?«

      »Nein, noch nicht. Aber ich habe immer deutlicher gemerkt, dass ich das nicht kann«, seufzt er. »Ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem ich selber töten müsste oder sterben. Und dann bin ich geflüchtet.«

      Ich hole mein Mobiltelefon raus und lese ihm einige Kommentare unter einem Post von mir vor. »Hör dir mal an, was die geschrieben haben: ›Ach, du bist nach Deutschland geflüchtet, um nicht für dein Heimatland kämpfen zu müssen? Was bist du für ein Mann? Lässt andere für deine Heimat kämpfen und lebst solange in der Fremde ein schönes Leben. Schäm dich.‹ Oder hier: ›Ja, ich würde meinen Sohn in den Kampf schicken, wenn Deutschland angegriffen würde. Ja, ich würde auch selbst zur Waffe greifen und mein Land verteidigen. Vor allem, wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich schämen, davonzulaufen und andere für mein Land kämpfen zu lassen.‹ Die würden sich gut mit meinem Vater verstehen.«

      »Die haben garantiert noch keinen Krieg erlebt«, sagt der Trainer. »Ich hatte viel weniger Angst vorm Sterben als vor dem Töten.«

      »Warum bist du dann überhaupt Soldat geworden? Wurdest du zum Wehrdienst eingezogen?«

      »Nein, ich habe mich freiwillig gemeldet. Und anfangs war es auch in Ordnung. Es war drei Monate nach Beginn des Bürgerkriegs und ich hatte zuerst nur ungefährliche Dienste.« Er nimmt sein Telefon. »Willst du mal sehen?« Er sucht ein bisschen und