nicht einschüchtern lässt. Leider gibt es hier keine anderen Herzöge. Ein Herzog würde vor einem anderen nicht katzbuckeln. Du bist natürlich ein Herzog, aber wir sind uns nie begegnet. Deshalb ist es im Moment ziemlich unwahrscheinlich, dass du mich umwerben würdest.
Nun denn. Ich glaube, ich höre Marlow mit meinem Tee kommen.
Viele Grüße
Miranda
Sie faltete den Brief eilig zusammen und schob ihn unter den Briefstapel, als Marlow mit einem Teetablett die Bibliothek betrat.
„Ihr Tee, Mylady“, sagte er mit einer Verbeugung.
Mirandas Blick wanderte von dem Kammerdiener zu dem Teeservice. Der tröstliche Duft nach frisch aufgebrühtem Tee stieg ihr in die Nase, und sie konnte spüren, wie mit jedem Atemzug die Entspannung wuchs.
Sie sollte ihm eine Tasse anbieten. Es war mitten in der Nacht, und es war niemand da, der sie sehen könnte. In diesem Fall bräuchte sie sich doch wirklich nicht an die Etikette zu halten.
Dann hörte sie es erneut: „Eine Dame ist zu jeder Zeit eine Dame.“
Nicht schon wieder! Sie verdrängte die wohlvertraute Stimme ihrer Mutter aus ihrem Kopf und hatte große Mühe, sich dabei ein Grinsen zu verkneifen. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis das Haus aus seinem Schlaf erwachte. Außerdem betrachteten seine grauen Augen sie mit einer faszinierenden Direktheit. Es war … schlichtweg erfrischend.
Sie trat vom Schreibtisch zum Sofa und versuchte, sich unauffällig die Hände an ihrem Hausmantel abzuwischen. War ihr beim Schreiben so warm geworden? „Würden Sie mir Gesellschaft leisten?“
Er blickte sie überrascht an.
Mirandas Herz begann in ihrer Brust zu hämmern. Sie waren allein. So allein, wie sie noch nie mit einem Mann gewesen war, weder mit einem Dienstboten noch mit irgendeinem anderen Mann.
Sie sollte ihre Einladung zurücknehmen. Diese grauen Augen lösten bei ihr eine starke Unruhe aus. Sie schienen viel zu viel zu sehen. Es war, als könnte er in ihre Seele blicken und ihre Gedanken und Gefühle lesen. Was für ein lächerlicher Gedanke! Dieser Mann regte ihre Fantasie viel zu sehr an.
„Es wäre mir eine Ehre, Mylady.“ Obwohl er mit einem Ja antwortete, zögerte er, bevor er auf der anderen Seite des niedrigen Tisches Platz nahm.
Miranda begann, den Tee einzuschenken. Sie erkundigte sich, ob er Milch und Zucker wolle, und reichte ihm seine Tasse, bevor sie sich mit ihrer eigenen Tasse zurücklehnte. Sie hatte die Etikette bereits in den Wind geschlagen. Dann konnte sie jetzt auch auf eine steife Haltung verzichten.
„Wie sind Sie zu der Stelle bei meinem Bruder gekommen, Marlow? Mir war nicht bewusst, dass er sich nach einem neuen Kammerdiener umgesehen hat. Es war natürlich höchste Zeit. Herbert muss inzwischen schon sechzig sein.“
„Wir haben uns zufällig im Dorf getroffen. Ich hatte gerade, ähm, meine letzte Stelle verloren. Ihr Bruder fand mich sympathisch, und jetzt bin ich hier.“
„Wirklich? Das klingt so gar nicht nach Griffith“, murmelte sie. Griffith tat nie etwas, ohne es sich vorher genau zu überlegen und einen bis zwanzig gute Gründe für eine Entscheidung zu haben.
„Dann bin ich für diese Stelle noch dankbarer.“ Marlow nippte stumm an seinem Tee und wartete offenbar darauf, dass sie das Gespräch in die Hand nahm.
Wollte sie ein Gespräch mit ihm führen? Ja. Ja, das wollte sie. Wenn auch vielleicht nur, damit sie das Gefühl hatte, irgendetwas selbst in die Hand nehmen zu können. „Haben Sie früher schon als Kammerdiener gearbeitet?“
„Ja, Mylady.“
Miranda trank einen großen Schluck Tee und dachte angestrengt nach, worüber sie sich mit ihm unterhalten könnte – irgendetwas, was nichts mit der Arbeit zu tun hatte. Sie wollte wirklich nicht wissen, wie es war, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, einem Herrn beim Anziehen zu helfen, vor allem nicht, wenn dieser Herr ihr Bruder war. Aber da sie beschlossen hatte, sich mit ihm zu unterhalten, war sie nicht bereit, diesen Versuch so schnell aufzugeben.
Ihr Blick wanderte zu ihm zurück, als würde ihr ein geeignetes Thema einfallen, wenn sie ihn nur lange genug anschaute. Doch dabei wurde ihr nur bewusst, dass sie sich geirrt hatte, als sie gedacht hatte, kein Mann könnte eine Jacke so gut ausfüllen wie ihre Brüder. Entweder trug Marlow Schulterpolster oder seine Muskeln füllten seine Jacke perfekt aus. Sie räusperte sich und blickte wieder auf ihre Teetasse. Winzige blaue Blumen auf weißem Porzellan waren wesentlich ungefährlicher.
„Haben Sie hier in der Nähe Familie?“
„Nein, Mylady. Ich bin allein. Es kann sein, dass ich in Derbyshire ein paar Verwandte habe, aber ich habe seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihnen.“
„Sie sind in Derbyshire aufgewachsen?“
„Nein, in Kent.“
Sie schaute ihn verwirrt an. Es war nicht ungewöhnlich, dass aristokratische Familien weit voneinander entfernt lebten, da viele Adelige in London einen Ehepartner fanden, der aus einem anderen Teil des Landes stammte. Aber Angehörige der Arbeiterschicht?
„Wie kam es, dass Sie voneinander getrennt wurden? Kent ist weit von Derbyshire entfernt.“
„Ein kleiner Umzug hier, ein großer Umzug da, und man landet dort, wohin einen die Arbeit führt.“ Sein Blick wanderte in die Ferne, und sie vermutete, dass er gerade an seine weit verstreut lebende Verwandtschaft dachte. Mit einem kleinen Lächeln und einem Achselzucken nippte er wieder an seinem Tee.
„Ich verstehe“, sagte Miranda, obwohl sie es eigentlich überhaupt nicht verstand. Ein Dienstbote müsste schon seine Arbeitsstellen schon ziemlich häufig wechseln, um den weiten Weg von Kent nach Derbyshire zurückzulegen und dann weiter nach Hertfordshire zu kommen. Marlow konnte nicht viel älter sein als Griffith. „Was lesen Sie da?“
Marlow warf einen Blick auf das Buch, das aufgeschlagen neben dem Stiefelberg lag. „Shakespeares ,Was ihr wollt‘.“
„Ist das die Komödie, in der eine junge Frau vorgibt, ein Mann zu sein, und in den Dienst eines Herzogs tritt?“
Er nickte.
„Ich habe nie verstanden, wie das gelingen soll. Ich kann mir nicht einmal eine Tasse Tee kochen, geschweige denn andere Menschen bedienen.“ Sie warf einen finsteren Blick auf die Teekanne, als wäre ihre Unfähigkeit, Tee zu kochen, die Schuld der Kanne. „Abgesehen von den praktischen Aspekten müsste man ja allem zuwiderhandeln, wozu man von Kindesbeinen an erzogen wurde.“
Marlow räusperte sich. „Ich glaube, Mylady, dass dahinter der Gedanke steckt, dass man zu allem bereit ist, wenn die Situation es erfordert. Ich glaube, alle Menschen, auch Adelige, können verborgene Talente in sich entdecken, wenn das nötig ist, um bestimmte Ziele zu erreichen.“
Nach mehreren Augenblicken unbehaglichen Schweigens stellte er seine Tasse wieder auf das Teetablett. „Wenn Sie ausgetrunken haben, räume ich das Geschirr weg, Mylady.“
„Natürlich.“ Sie stellte ihre Tasse schweigend ab und erhob sich. Das Lächeln, mit dem sie den Kammerdiener bedachte, war nicht so gezwungen, wie sie erwartet hatte. Dieses kurze Gespräch war alles andere als angenehm gewesen, aber Zeit mit ihm zu verbringen war aufregender gewesen als alles andere, was sie in letzter Zeit getan hatte. „Danke für den Tee.“
Mit einem letzten Blick auf den Kammerdiener entzündete sie ihre Kerze und ging in ihr Zimmer zurück. Es war erstaunlich, dass jetzt so wenig Licht ausreichte, dass sie den Weg problemlos zurücklegen konnte.
Als sie ihr Zimmer erreicht hatte, spürte sie, dass ihre Nerven sich beruhigt hatten, und der Gedanke, schlafen zu gehen, erschien ihr jetzt nicht mehr so unangenehm. Eine kleine Stimme wandte zwar ein, dass dies mehr dem Tee und dem Gespräch geschuldet war als dem Brief, in dem sie Marshington ihr Herz ausgeschüttet hatte, aber sie weigerte sich, das zuzugeben.
Er stellte das