Jochen Till

Luzifer junior - Ein Geschenk der Hölle


Скачать книгу

erwidere ich. »Dann sehe ich doch die Überraschung nicht!«

      Ich höre ein Kichern von drinnen.

      »DAS GEHÖRT DAZU!«, ruft Lilly. »MACH ES EINFACH!«

      Es gehört zu einer Geburtstagsüberraschung, dass man sie nicht sieht? Kapier ich nicht. Aber okay, wahrscheinlich ist das wieder so ein komischer Brauch hier oben. Ich schließe meine Augen.

      »SIND ZU!«, rufe ich.

      Ich höre, wie sich die Tür öffnet.

      »Jetzt kannst du die Augen wieder aufmachen«, höre ich Lillys Stimme.

image

      Ich öffne die Augen und sehe Aaron, Gustav, Lilly und Herrn Rosenberg vor mir stehen. Sie tragen kleine spitze Hüte in unterschiedlichen Farben und haben Tröten im Mund, mit denen sie lustige Geräusche machen.

      »TA-DAAAA!«, rufen sie mir zwei Sekunden später im Chor entgegen. »ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, LIEBER LUZIE!«

      Jetzt bewerfen sie mich mit winzigen bunten Papierschnipseln, die teilweise an mir hängen bleiben oder auf den Boden fallen – offenbar darf man an Geburtstagen ungestraft Dreck machen, das gefällt mir.

      Aaron tritt auf mich zu und umarmt mich kräftig.

      »Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Geburtstag! Geburtstag!«, sagt er.

      »Ja, alles Gute, mein Bester!«, sagt Gustav und umarmt mich ebenfalls.

      »Auch wenn ich mich immer noch nicht richtig dran gewöhnen kann, plötzlich einen Neffen zu haben: Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag, Luzie«, sagt Herr Rosenberg und klopft mir auf die Schulter. »Vor allem wünsche ich dir, dass das kommende Jahr etwas ruhiger und weniger … höllisch wird.«

      »Das wünschst du vor allem dir, Onkel Wolfram, damit du dir nicht so viele Sorgen um mich machen musst«, sagt Lilly lachend. »Aber ich hätte auch nichts gegen ein bisschen weniger Aufregung. Oder wie siehst du das, Bruderherz? Komm, lass dich drücken, du teuflisches Geburtstagskind!«

      Sie breitet ihre Arme aus und kommt auf mich zu.

      Als sich ihre Arme um mich schließen und wir uns berühren, entstehen lauter blaue Blitze um uns herum, die Luft knistert deutlich hörbar. Und plötzlich schießt ein stechender Schmerz in meinen Kopf.

image

      »AU, VERDAMMT!«, rufen wir beide gleichzeitig und lassen uns schnell wieder los.

      »Was ist denn?«, fragt Herr Rosenberg besorgt. »Geht es euch gut?«

      »Ja … Nein … Ich bin mir nicht sicher«, antwortet Lilly und reibt sich mit beiden Händen die Schläfen. »Das war nur ganz kurz ein fieser stechender Schmerz hinter der Stirn.«

      »Ja, bei mir auch«, sage ich. »So was hatte ich noch nie.«

      »Aber jetzt ist er wieder weg?«, fragt Gustav.

      Wir nicken beide.

      »Vielleicht hat das ja etwas mit eurem Geburtstag zu tun?«, mutmaßt Aaron. »Eine Art höllische Zwillingsreaktion? Zwillingsreaktion?«

      »Keine Ahnung«, sagt Lilly. »Aber wir sollten uns vorsichtshalber für den Rest des Tages besser nicht mehr berühren.«

      »Gute Idee«, stimme ich ihr zu. »Das brauche ich echt nicht noch mal.«

      »Ich kenne zufällig ein sehr gutes altes Hausmittel gegen Kopfschmerzen«, sagt Herr Rosenberg. »Es heißt Geburtstagskuchen. Kommt, lasst uns reingehen.«

image

      Wir gehen in die Wohnung. Auf dem Weg ins Wohnzimmer hängen überall bunte Luftballons und Luftschlangen.

      Luftschlangen gibt es bei uns unten auch, in Abteilung 88 bei den Egomanischen Adrenalinjunkies. Die kriegen Luftschlangen anstatt Bungee-Seilen und müssen sich damit den ganzen Tag lang in die tiefste Höllenschlucht stürzen.

      »Habt ihr das alles gemacht?«, frage ich. »Das sieht total schön aus.«

      »Ja«, sagt Gustav. »Deshalb durftest du ja noch nicht früher rein, wir waren noch nicht mit Schmücken fertig.«

      »Genau«, sagt Aaron. »Und dein Geschenk mussten wir auch noch einpacken. Einpacken.«

      »Dann kriege ich es jetzt also endlich?«, frage ich aufgeregt. »Da habe ich mich schon den ganzen Tag drauf gefreut! Was ist es denn?«

      »Wenn wir dir das jetzt verraten würden, hätten wir uns das Einpacken auch sparen können«, sagt Lilly grinsend. »Du musst dich schon noch einen Moment gedulden.«

      Wir betreten das Wohnzimmer. Hier ist auch alles toll geschmückt und auf dem Esstisch steht neben einer Schokoladentorte ein großes, in goldenes Papier gewickeltes Geschenk.

      »Moment«, sagt Lilly und drückt auf ihrem Handy herum.

      Im nächsten Moment ertönt Musik aus einem kleinen Lautsprecher. Das Lied ist auf Englisch, da wird was Ähnliches gesungen wie heute Morgen im Unterricht, ich verstehe es aber immer noch nicht.

      Ich gehe auf das Geschenk zu.

      »Darf ich?«, frage ich.

      »Noch nicht«, sagt Lilly. »Erst musst du die Kerzen auf der Torte auspusten und dir was wünschen.«

      »Aber du darfst den Wunsch nicht laut aussprechen«, erklärt Gustav. »Sonst geht er nicht in Erfüllung.«

      Oh, das wusste ich auch noch nicht, dass man an seinem Geburtstag sogar einen Extrawunsch erfüllt bekommt, das ist super. Aber was soll ich mir bloß wünschen? Ah, ich weiß es!

      Ich stelle mich vor die Torte, puste so lang kräftig, bis alle Kerzen ausgegangen sind, und wünsche mir still, dass ich jetzt endlich mein Geschenk auspacken darf.

      Die anderen klatschen und jubeln.

      »Sehr gut!«, sagt Lilly. »Ich hoffe, dass dein Wunsch in Erfüllung geht. Und jetzt darfst du dein Geschenk auspacken.«

      Ich grinse breit – das hat ja perfekt geklappt mit dem Wunsch.

      »Ich habe noch nie ein Geschenk ausgepackt«, sage ich und trete an den Tisch heran. »Muss ich da auf irgendwas achten?«

      »Nö«, sagt Lilly. »Öffne die große Schleife und reiß einfach das Papier herunter. So habe ich das heute Morgen mit Onkel Wolframs Geschenk auch gemacht. Ich habe übrigens neue Boxhandschuhe gekriegt. Und einen Box-Kurs im Sportverein, da freue ich mich jetzt schon drauf.«

      »Super«, sage ich. »Dann bin ich mal gespannt, was ich kriege.«

      Ich ziehe an der Schleife, sie öffnet sich und das Band fällt hinunter. Gerade als ich damit anfange das Papier abzureißen, fliegt die Wohnzimmertür auf und schlägt mit lautem Gepolter an die Wand. Wir zucken alle erschrocken zusammen. In der Tür steht Auribus. Er sieht sehr mitgenommen aus, atmet schwer und muss sich mit einer Hand am Türrahmen abstützen. Er ist übersät mit blutigen Kratzern und Wunden, von seinem Kopf steigt eine kleine Rauchschwade auf.

      »Auribus!«, ruft Lilly und stürzt auf ihn zu. »Du siehst ja schlimm aus! Was ist denn passiert?«

      »Hölle … Angriff … Kampf …«, keucht Auribus völlig außer Atem als Antwort.

      »Was?«, sagt Lilly entsetzt. »Die Hölle wurde angegriffen? Von wem denn?«

      »Azrael … Er ist … wieder da …«, keucht Auribus.

      Azrael? Unser irrer Onkel Azrael? Der Azrael, der letztes Jahr schon einmal versucht hat, die Hölle zu übernehmen, und gescheitert ist, weil wir