besuchte Ritual der Grundstein für Deine bedeutende Schwimmbeckenkarriere war, welche Du Dir in den Pools der Welt erarbeitet hast und an der wir hoffentlich bald weiterbauen können.
Und die Schwimmtante oder -therapeutin von Döbling war die Urmutter der »Frau Tunkerin«, einer der Figuren, die wir zusammen erfunden haben und die uns mindestens einmal täglich in den Pools besucht und unter Forderung fiktiver »Tunkscheine« die Köpfe – eintunkt.
War Dein erster Frühling rastlos, war der Sommer darauf rasend und getragen von unserer Arbeit. Keinen Tag Urlaub gönnten wir uns und Dir. Zur Verstärkung kam Babuschka angereist. Wir bewohnten schöne Zimmer in Lockenhaus’ Ritterburg – ein für Deine Geschichte wichtiger Ort, weil die Flötistin und der Schauspieler einander dort ein paar Jahre vorher zum ersten Mal begegnet waren –, und Deine Schreie, wenn Du nicht schlafen wolltest, schollen weit über die Wälder und tief nach Ungarn hinein und vermischten sich mit den geahnten der von der »Blutgräfin« gefolterten Mädchen, nach denen die fledermausum- und manchmal auch durchflatterten Zimmer benannt waren und die als hör- und fühlbare Geister nachts die langen Korridore durchwanderten.
Babuschka stand schwitzend zwischen Bett und Fenster der Musikfestivalburg und schwang Dich, während die größten Virtuosen ihre Konzerte gaben, lang, lang in der Babyschale, und nicht bloß sanft wiegend wie irgendein Baby. Dein Charakter war schon stark geformt und verlangte härteren Stoff. In weiten Halbkreisen schwang sie Dich, Halbkreise, die zu Dreiviertelkreisen wurden, immer noch höher, noch höher, bis die Schale fast über ihrem Kopf war, manchmal geschickt und ohne an Schwung zu verlieren den Arm wechselnd, manchmal mit beiden Armen, hin und her, höher und höher, einmal glaubte ich, sie würde vor Mitte des Kreises über ihrem Kopf nicht haltmachen und durchdrehen, weiter drehen in schnelleren und schnelleren Kreisen und irgendwann, die Babyschale als Propeller, aus dem Fenster mit Dir davonfliegen, über die Wälder nach Ungarn hinein. »Die Großmutter, die mit dem Baby davonflog« wäre eine berühmte Legende, eine weitere Sage der an Sagen reichen Gegend geworden.
Abend für Abend ließen wir, wenn wir zum Konzert gingen, Babuschka zurück, die an Deiner Schale saß und Dich wiegte. Steckten wir in der Pause die Köpfe ins Zimmer, schwang sie schon wild aus. Und einmal stand sie noch nach dem Konzert am Fenster, im dunklen Raum eine gespenstische Silhouette vor mondheller Nacht, ein mysteriöses Ritual mit vollem Körpereinsatz ausführend, jenseits der Ansprechbarkeit, sich jede Ermüdung versagend, mit wild hin- und herpendelnder Babyschale, eine Heldin der Arbeit, eine Heroin im Generationenauftrag, nie klagend, nie nachlassend, mit einer Unerbittlichkeit gegen sich selbst und einer Opferbereitschaft, wie sie unserer westlichen Mentalität fremd ist. Eine beinahe schon mythische Figur. Wenn ich mich daran erinnere, steigt meine Hoffnung, dass Russland auch vor den jetzigen Problemen nicht in die Knie gehen wird. Der russische Mensch hat immer schon Härteres überlebt, was auch kommt.
Tagsüber ließest Du Dich spielplatzschaukeln und freutest Dich, wenn das zu Ende war, wahrscheinlich schon auf die abendliche Übung mit Babuschka, die still im Schatten saß und ihre Kräfte sammelte. Du krabbeltest gern und gut, gehen mochtest Du einfach nicht so gerne und zogst es lange vor, getragen zu werden. Man darf nie vergessen, dass Du starke Anteile einer Fürstin im Blut hast.
Für unsere persönliche Chronik sei angemerkt, dass die Burg die größte Fledermauskolonie Europas beherbergt und also der »Vampir«, der später zu einer der Hauptfiguren in unserem Phantasiegehege werden sollte, damals schon zumindest anwesend war – wenn er nicht sogar im Gründungsmythos Deiner Existenz, dem schicksalhaften Aufeinandertreffen Deiner Kreatoren, seine Finger beziehungsweise Flügel im Spiel gehabt hatte.
Nachweisbar hatte das allerdings ein Mann, der von Berufs wegen das Gegenteil des Draculesken verkörperte – auch wenn er in gewissen Ritualen imaginierte, Blut statt Wein zu trinken –, und zwar Pfarrer Josef. Er hat mich dem Wundergeiger vorgestellt, durch ihn lernte das dortige Publikum mich und ich die dortigen Musiker kennen – und eine Musikerin ganz besonders. Josef war der sonnigste Priester, den man sich vorstellen kann. Er strahlte Freude und Begeisterung aus, wo er stand und ging. Und hat die Menschen, außer mit der Frohen Botschaft, durch seine und des Wundergeigers Feste mit Musik gesegnet. Er hat Dir einen kleinen Gipsengel geschenkt, der Geige spielt und dabei singt. All die Wochen, die ich diesen Brief schreibe, steht der geflügelte Bote auf dem Fensterbrett, begleitet mich mit stummem Spiel und Gesang und passt auf mich auf.
Es war Mitte Juli, und einen Beleg dafür, dass diese ganze Zeit nichts Gemütliches, so gut wie gar keinen geruhsamen Aspekt hatte, mag geben, dass ich mehr oder weniger »nur« für Proben und Konzerte zu Kirche und Ritterburg kam. Schon seit Wochen – also auch bis Ende der Theatersaison – war ich für Filmarbeiten mehr oder weniger in der Steinzeit ansässig, in einer Serie, die im wilden Nordwesten Wiens, im waldreichen Weinviertel gedreht wurde und zu der ich oft in der stillsten, frühesten Morgendämmerung, wenn die ersten Sonnenstrahlen über die burgenländisch-pannonischen Hügel blinzelten und die Vampire schlafen gingen, geholt wurde. Die Taxifahrt war weit und im dortigen Hauptquartier musste ich eine Stunde und länger ganzkörpergeschminkt werden, ehe es in Fellen, Muschelschuhen und Ledergewändern mit dem Kleinbus zur jeweiligen Drehwiese, Drehlichtung oder Drehschlucht ging. Wir arbeiteten nur im Freien, im Mai war es morgens und nachts noch kalt und manchmal regnerisch, im Juni fraßen uns die Gelsen auf und kamen wir mit versengter, zerbissener Haut und sonnengemarterten Köpfen – die etwas von durchbrennenden Glühbirnen hatten – zurück zum Abschminken, Duschen und der langen Taxiheimfahrt mit dem Drehschlussbier. Daher hatte ich, ich muss es gestehen, nicht viel Zeit, mit Dir, meiner kleinen Tochter, die in Windeln über den Holzboden unserer Ritterburgbehausung kroch, zu spielen, weil ich selbst im Lendenschurz durchs wein-viertel-steintalerische Unterholz kroch, nicht viel Zeit, Dir Bälle zuzuschubsen, weil ich auf schattenlosem Feld bei vierzig Grad eine Fußballpartie zu bestreiten hatte und dabei gefilmt wurde, nicht viel Zeit, Deine sporadischen Gehversuche zu führen und zu begleiten wie ein sorgsamer Tanzpartner, weil ich in einem Federtutu den sterbenden Schwan zum berühmten Cellomotiv für die Kamera tanzte. In der Kleinkindrolle hattest Du in Deinem Vater die größte Konkurrenz, ich bin es, und nicht nur durch meinen Beruf, lange geblieben. Manchmal bis heute.
Drei Tage hattet Ihr, Du und Mama, in Wien zum Umpacken und Luftholen – zwei davon war Papa wieder im Wald spielen –, ehe wir Dir nach dem Osten unseres schönen Landes den Westen näherbrachten, vielmehr Dich ihm. Wir fuhren zunächst nach Salzburg, Deines Vaters Vaterstadt, und saßen mit Deines Vaters Mutter und Vater tischgrillend am Balkon. Wer aber glaubt, nun hätte die Erholung angefangen, irrt. Denn Salzburg war nur eine Station, Rast für eine Nacht, und schon am nächsten Tag – dem Tag der heiligen Margarita, Deiner zweiten Namenspatronin – kam die wirklich weite Fahrt in den westlichsten Westen Österreichs, nach Bregenz. Mama hatte Proben für ein Solokonzert von Weinberg, ich hatte Gelegenheit, mit Dir im Weinberg zu wandern oder am Bodenseeufer zu sitzen, Schwäne zu füttern und nebenbei Text für meinen nächsten Film zu memorieren. Gleich am Morgen nach dem Konzert packten wir Dich schlafend ins Auto, und weil nach Vorarlberg die ersten Sonnenstrahlen später kamen als ins Burgenland, setzten wir unsere Rundreise noch im Dunkeln, wiewohl auch hier vogelstimmenbegleitet, fort. Am Nachmittag schon war eine Probe im vierhundert Kilometer entfernten Gmunden. Photos aus dem Schlosshotel zeigen Dich »fliiiegend« über meinem Kopf, mit Mama Vogelstimmenkunde betreibend und begeistert auf unseren Handys herum-drückend. Oma und Opa, aus Salzburg herbeigeeilt, hatten sich ihre Mission, Dich während unserer Probe im Kinderwagen am Traunseeufer auf und ab zu schieben, leichter vorgestellt, da am promenadenahen Feld ein Traktor angeworfen wurde und Dich halb aufwachen ließ, sie gingen schnell weiter, der Traktor kam nach, Du drohtest ganz aufzuwachen und darüber dann wahrscheinlich lautstark zu protestieren, das wollten sie verhindern, und erst später verstand ich, warum ich, als ich einmal kurz aus dem Fenster des Schlosssaales schaute, Oma am Ufer mit dem Kinderwagen dahin-rennen sah wie auf der Flucht, was sie ja auch war, und Opa hinter ihr her.
Früh am Morgen wurde ich zum Steinzeitspielen ins von Gmunden noch viel weitere Weinviertel geholt. Geschminkt und kostümiert saß ich etwa eine Stunde mit Mitsteintalern um ein Lagerfeuer, hatte kein Wort zu sagen und tat so, als würde ich Würmer essen. Nach diesem kürzesten Drehtag meines Lebens fuhr mich das Taxi ins Salzkammergut zur Siesta und zum abendlichen Konzert, der »Nachtigall« von Andersen. Der gleiche Vogel hat uns auch gleich anschließend