ein Bruder der Schriftstellers Lion Feuchtwanger, bemerkte zu diesem Luthergeburtstag: „Wie damals Martin Luther gegen die Juden losbrach, so tönt es immer wieder aus dem deutschen Volk seit 450 Jahren. Wir erleben im November 1933, dass zahlreiche bedeutende Vertreter der protestantischen Kirche und Lehre sich dieser Stellung Luthers ausdrücklich zu eigen, ihm Wort für Wort nachsprechen und seine Judenschriften eindringlich zitieren und empfehlen“.38
Es überrascht nicht, dass fünf Jahre später der Thüringer Landesbischof Martin Sasse (1890−1942) die Novemberpogrome mit Luthers Judenschriften rechtfertigt: „Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen.… In dieser Stunde muß die Stimme des Mannes gehört werden, der … der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden“.39 Sicherlich führt keine direkte Linie von Luthers Judenschriften zu Hitler und zur Schoa. Eine Linie lässt sich allerdings ziehen, und sie ist tragisch: Rabbiner Reinhold Lewin, Verfasser der ersten jüdischen Monographie über „Luthers Stellung zu den Juden“, wurde im März 1943 mit seiner Frau Evie und zwei Kindern von Breslau nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Heute, im 500. Jahr der Reformation, bleibt die Frage, ob die evangelische Theologie und die protestantischen Kirchen sich von Martin Luther distanzieren und tatsächlich von Jesus von Nazareth sprechen können, ohne wie der Reformator das Judentum als defizitär herabzusetzen und das Andauern des Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk in Zweifel zu ziehen.40
Anmerkungen
1 Reinhold Lewin: Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Berlin 1911, S. 110.
2 Ebd., S. 37ff.
3 Andreas Pangritz: Zeitgenössische jüdische Reaktionen auf Luther und die Wittenberger Reformation, in: Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum, Nr. 1 / 2011, S. 2–9.
4 Gershom Scholem hat den Brief erstmals in Kirjat Sepher 7 (1930/31), S. 444f, veröffentlicht.
5 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 11, S. 307ff.
6 Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 9, Leipzig 1907, S. 189.
7 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 53, S. 417ff.
8 Abraham Geiger: Das Judentum in seiner Geschichte, Breslau 1910, S. 522.
9 Saul Ascher: Leviathan oder Ueber Religion in Rücksicht des Judenthums, Berlin 1792.
10 Vgl. Andreas B. Kilcher: Geteilte Freude. Schiller-Rezeption in der jüdischen Moderne, München 2007.
11 Dorothea Wendebourg: Jüdisches Luthergedenken im 19. Jahrhundert, in: Mazel tov. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum (=Studien zu Kirche und Israel, Neue Folge, Bd. 1), hg. von Tanja Pilger / Markus Witte, Leipzig 2012, S. 195−213.
12 Ludwig Fischer: D. Martin Luther, von den Juden und ihren Lügen, ein crystallisirter Auszug aus dessen Schriften über der Juden Verblendung, Jammer, Bekehrung und Zukunft, ein Beitrag zur Charakteristik dieses Volks, Leipzig 1838.
13 Vgl. Ludwig Philippson: Moses Mendelssohns providentielle Sendung, in: Lessing-Mendelssohn-Gedenkbuch, hg. vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund, Leipzig 1879, S. 84–100.
14 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, Bd. III: Schriften 1831, München 1971, S. 583.
15 Ludwig Philippson: Zur Herstellung und Verbreitung wohlfeiler Bibeln, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums, 23. Jg., Heft 13 (21.03.1859), S. 184.
16 Leopold Zunz: Die synagogale Poesie des Mittelalters, Frankfurt am Main 1920, S. 334.
17 Abraham Geiger: Das Judentum und seine Geschichte. Breslau 1910, S. 519.
18 Ebd., S. 520.
19 Ebd., S. 521.
20 Ludwig Geiger (Hg): Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, Berlin 1910, S. 162f.
21 Abraham Geiger: Das Judentum und seine Geschichte. Breslau 1910, S. 519
22 Vgl. Hans-Jürgen Benedict: „Ruhm dem Luther!“ Heinrich Heines Lutherdarstellung zur Lektüre empfohlen, in: Pastoraltheologie, Bd. 105, Ausgabe 4 (2016), S. 219–230.
23 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, Bd. III: Schriften 1831, München 1971, S. 585.
24 Ebd., S. 538.
25 Ludwig Börne: Sämtliche Schriften, hg. von Inge und Peter Rippmann, Bd. 3, Düsseldorf 1964, S. 924.
26 Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Karl Marx: Frühschriften, hg. von Siegfried Landshut, Stuttgart 1971, S. 217.
27 Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 9, Leipzig 1907, S. 302.
28 Hermann Cohen: Zu Martin Luther Gedächtnis, in: Neue jüdische Monatshefte, 2. Jg. (1917/18) Heft 2, S. 46.
29 Ebd., S. 49.
30 Ebd., S. 45.
31 Samuel Krauss: Luther und die Juden, in: Der Jude, 2. Jg., Nr. 8 (1917/18), S. 547.