Gottes zum Offenbarungsberg: Da ward der Schall der Posaune fortgehend mehr erstarkend (19, 19), ein simples „wurde immer mächtiger“ hat. Wenn Luther in dieser Art übersetzt, bleibt er nicht hinter seiner eigenen Forderung zurück; wenn die moderne Wissenschaft so den Inhalt des Textes wiedergegeben zu haben meint, entblößt sie nur ihre wissenschaftliche Anspruchslosigkeit.
Das charakterisierte Obenhin-Übersetzen weicht bezeichnenderweise einer um eine Spur größeren Genauigkeit in einem poetischen Stück wie dem Siegeslied von Kapitel 15; hier weiß sogar die Wissenschaft schon, daß die Ausdrucksweise nicht ganz unwichtig für das Ausgedrückte ist; während balladenhafte Klänge (13, 21f. und 32, 17f.) und dithyrambische Aufschwünge (2, 23ff. und 12, 42) der Erzählung unfehlbar in die Sauce des einen und allgemeinen Polizeisekretärsdeutsch eingeschluckt werden.
Jenes Obenhin wird aber geradezu Verwüstung bei dem Zielpunkt des Buchs, dem Höhepunkt vielleicht des ganzen Fünfbuchs, beim „Zelt“. Die gewaltige Gottesrede der Kapitel 25 bis 31, das Wort zu der Vision, die dem Führer bescheidet, zu welchem Ende, zu welchem „Werkdienst“ sein Volk aus dem „Frondienst“ geführt wurde, wird in dem erwähnten Bibelwerk aus ihrer strengen, sachlichen Erhabenheit in ein unruhig geschwätziges, die Klarheit der Linie verkritzelndes Idiom transponiert, ein Abstand etwa, wie wenn der Kompaniefeldwebel in der Instruktionsstunde die klassischen Sätze der Felddienstordnung zu „erläutern“ sucht. So, um ein greifbares Beispiel anzuführen, meint jenes Bibelwerk, das ohne Unterlaß durch die ganzen Kapitel hindurchziehende Wort „machen“, das Thema dieser großen Fuge, in anmutiger Abwechslung, die wahrscheinlich den Leser vor Langeweile schützen soll, bald durch „errichten“, bald durch „anfertigen“, bald durch „anbringen“, bald durch „arbeiten“ wiedergeben zu müssen; ohne jede Ahnung, daß dadurch nicht „nur“ die Form, sondern auch der ganze Sinn der Vision verlorengeht, deren Gegenstand ja das in sechstägigem Wolkendunkel (24, 16) auf dem Sinai geschaffene Urbild der „Wohnung“ ist20, zu dessen Schau Mose am siebenten Tag in die Wolke hineinberufen wird und das dann das Volk, ein menschgeschaffenes Gleichnis der göttlichen Schöpfung, vollendet (39, 32 und 40, 33 = I, 2, 1 f. Ferner 39, 43 = I, 1, 31 und 2, 3). Wie also die sechs Tage und der siebente hier wiederkehren, und das Wort der Vollendung, und das bestätigende Ja, und der abschließende Segen, so auch das einfachste und umfassendste, göttliches Tun menschlichem, menschliches göttlichem vergleichnissende Wort für die Schöpfung selber: das Machen.
Immer wieder muß gesagt werden, daß all das durchaus nicht zu Lasten des einzelnen Gelehrten geht, der an dem Werk nach seinen besten Kräften mitgearbeitet hat. Die Wissenschaft selber ist im Übersetzen wissenschaftlich zu anspruchslos. So hat sie das Vertrauen zur lutherschen Übersetzung zwar in weiten Kreisen erschüttert; aber was sie an ihre Stelle gesetzt hat, ist nicht die Übersetzung des neuen Glaubensausdrucks, dem doch, bewußt und unbewußt, all ihre Arbeit dient. Wohl hat sie Einzelheiten berichtigt; aber andrerseits lassen sich viele der lutherschen „Fehler“ grade vor dem Richterstuhl der modernen Wissenschaft, der ja den alten Übersetzungen, denen Luther dabei vielfach folgte, eine Stimme gegen den überlieferten hebräischen Text zuerkennt, sehr gut verteidigen. Von solchen Einzelberichtigungen also abgesehen gibt sie auch im wissenschaftlichen Sinn nichts Besseres und allermeist Schlechteres als Luther.
VI
Luther selbst sah die wissenschaftliche Bedeutung seines Werks darin, daß er auf den Grundtext zurückging. Auch die Gegner empfanden, wenn auch mit dem schlechten Gewissen des Widerstands gegen eine Forderung der Zeit, das als das Revolutionäre. Und doch war der Revolutionär noch innerlich gebunden an das, was er stürzte. Die Vulgata hatte ja, wie schon aus den angeführten Äußerungen „Meister Klüglings“ hervorging, für den Bildungsmenschen des sechzehnten Jahrhunderts eine ganz ähnliche Bedeutung wie heute die Lutherbibel: wirklich oder vorgeblich vertrauter Besitz, und in beiden Fällen, heut zwar vornehmlich im zweiten, Ruhekissen des Gewissens und Türpolsterung des kultivierten Arbeitszimmers gegen störende Schälle von draußen. Aber auch Luther selbst steckte ihr Wortlaut in Fleisch und Blut. Er, dessen deutscher Psalter vielleicht den Gipfel seiner übersetzerischen Leistung darstellt, hat doch selbst in späteren Jahren noch, wenn er, ein „großer Psalmensager“, in äußeren oder inneren Anfechtungen sich zurückzog, um im Gebet einer Reihe Psalmen seine Kraft zu erneuen, den ihm aus langen Mönchsjahren vertrauten lateinischen Text gesagt! Das allein, wüßten wir es nicht sonst noch21 und verriete es der Text seiner Übersetzung nicht fortwährend, würde schon dahin führen, daß der innere und häufig auch der äußere Ausgangspunkt seines Übersetzens trotz allem die Vulgata war und der Grundtext nur das, freilich aufs stärkste herangezogene Korrektiv. Anders ausgedrückt: er hat, indem er den Sinn des hebräischen Textes ergründete, doch bei diesem Ergründen nicht hebräisch gedacht (und auch nicht wie nachher beim Umgießen des ergründeten Sinns in deutsche Rede: deutsch), sondern lateinisch.
Nun ist ja das Werk des Hieronymus heut auch von protestantischer Seite als die Meisterleistung, die es ist und als die es Luther selbst beurteilt hat, anerkannt. Es war also kein schlechter Führer, dem er sich für die ersten Schritte anvertraute. Vor allem den Sinn eines Satzganzen – und auf ihn vornehmlich mußte es Luther, bei dem zu Anfang geschilderten Verhältnis der beiden Grundrichtungen alles Übersetzens in seiner Übersetzung, ja ankommen – arbeitet die Vulgata als, ob auch späte, Erbin logizistisch-rhetorischer Sprachtradition oft überraschend plastisch heraus. Aber grade das klassische, weil von Luther selbst in seiner typischen Bedeutung erläuterte, Beispiel des „du hast das Gefängnis gefangen“, wo Luther übrigens grade durch den Vorgang der Vulgata sich zu einer allzu dogmatischen Auffassung des Texts verleiten ließ, zeigt, welche tiefen Blicke, und sei es selbst einmal allzutiefe, der enge Anschluß an die hebräische Wendung eröffnen kann. Und wenn nicht nur da, wo ein umschriebenes Dogma hinweist, sondern grundsätzlich überall im Menschenwort die Möglichkeit verborgen geglaubt wird, daß sich eines Tages, zu seiner, zu meiner Zeit das Gotteswort durch es offenbart, dann wird es zur Notwendigkeit für den Übersetzer, soweit irgend seine Sprache es ermöglicht, den eigentümlichen Wendungen jener offenbarungsträchtigen Menschenrede, seis nachbildend, seis andeutend, zu folgen.
So haben, um bei dem Beispiel zu bleiben, die den semitischen Sprachen, aber nicht ihnen allein, sondern allen noch anschauungsstarken Sprachen eigenen Potenzierungen eines Zeitworts, auch wenn sie nicht wie hier durch ein Hauptwort, sondern wie meist durch einen Infinitiv geschehen, im Hebräischen jedesmal einen ganz präzisen Sinn, und sei es nur den einer mächtigen Hervorhebung des Worts. Wenn etwa – auch hier alle Beispiele wieder aus dem zweiten Buch – die sieben Jethrotöchter (2, 19) dem Vater lebhaft die Antwort hervorsprudeln: er schöpfte auch, schöpfte für uns, oder wenn Mose (5, 23), Gott nach dem ersten Mißerfolg wieder aufsuchend, ihm vorwurfsvoll entgegenhält: doch errettet, – errettet hast du dein Volk nicht, so kommt eben jene lebhafte Heraushebung des antworttragenden Tatworts und die Ausdruckskraft jenes Vorwurfs auch im Deutschen nur heraus, wenn man auch hier verdoppelt. Nun gar erst, wenn wie in der Sprache des Rechts die Verdoppelung einen ganz präzisen juristischen Sinn – gewöhnlich den der Rechtsnormalität: vollgültige Vergeltung, sühngerechte Sühne, gezählte Bezahlung – hat.
Die Grenzen des Sprachmöglichen dürfen natürlich nicht überschritten werden. Ja mehr noch: auch schon die Wiedergabe eines hebräisch gewöhnlichen Ausdrucks durch einen im Deutschen ungewöhnlichen ist unstatthaft; eine flache Wendung darf nicht vertieft, eine glatte nicht aufgerauht, eine unschöne nicht verschönt werden. Aber genau sowenig umgekehrt. Etwa der ungeheure Schluß des zweiten Kapitels ist mit seinem viermal wiederholten Subjekt Gott gewiß, wie Luther empfand, kein normales Deutsch. Aber genau sowenig normales Hebräisch! Nur engster Anschluß an den Urtext kann da die Überhöhung eines „Anthropomorphismus“ durch den andern – in Wahrheit sind natürlich Gottes sogenannte Anthropomorphismen die Theomorphismen des Menschen – bis zum letzten unüberhöhbaren „Gott erkannte“ auch im Deutschen zum Reden bringen.
Was im Deutschen sprachmöglich ist, darüber entscheidet freilich hier bei diesem Buch das Sprachgefühl keines Einzelnen, sei er auch Angehöriger der berufsmäßig unfehlbaren Berufe; auch der