schon der Wortschatz der Bibel ist unvergleichlich größer als der andrer gleich umfangreicher Bücher. Und in der Frage der Sprachmöglichkeit irren bisweilen selbst die Größten; Luther gibt in der Vorrede zum Alten Testament von 1523 als Beispiele für unzulässige Sprachneuerungen die Worte: beherzigen, behändigen, ersprießlich! So gefährlich ist das Schulmeistern, – selbst für Genies. Doch wenn Luther eine zeitlang schwankte, ob er dem deutschen Sprachgefühl die Bildhaftigkeit der „starken Hand“ (3, 19) zumuten könne, und sie deshalb im achten bis zwölften Druck durch „starke Wunder“ ersetzte, so hat er mit Recht im dreizehnten die echte „starke Hand“ wiederhergestellt: nur sie leitet zu dem folgenden „So recke ich denn meine Hand“ hin, wie sie andrerseits auch wieder durch diese Fortsetzung selber ganz deutlich wird. Daß das wissenschaftliche Bibelwerk ohne Schwanken durch alle Ausgaben, von 1894 bis 1922, „Zwang“ sagen wird, wird der Leser schon kaum mehr anders erwarten.
Jenseits von Luthers Erkenntnis lag das, doch schon von Hieronymus gelegentlich ergriffene, wichtigste Mittel, das lebendige Gewächs der hebräischen Rede in eine abendländische Sprache umzupflanzen. Ich habe an andrer Stelle22 von der Bedeutung der „Atemkolen“ ausführlich gehandelt. Hier darum nur dies: sie machen so wenig durch ihre Absätze die Prosa zur Poesie – ein häufiges, aber darum nicht minder törichtes Mißverständnis – wie etwa durch ihre Überschneidungen des poetischen Metrums die Poesie zur Prosa. Sondern beiden, den poetischen wie den prosaischen Teilen der Bibel ganz gleichmäßig, geben sie den in der Schriftlichkeit der Schrift erstickten freien, mündlichen Atemzug des Worts zurück. Die weltweite Entfernung, wie sie etwa im ersten Buch zwischen der unartikuliert-artikellos stammelnden Schilderung der Urschöpfung im zweiten Vers des Schöpfungskapitels und dem flüssigen Erzählen der Josephsgeschichte besteht oder im zweiten Buch zwischen der Groteskheit der Froschplage, dem Jauchzen des Meerlieds, der Wort gegen Wort auf der Wage der Leidenschaft auswägenden großen Anrede Moses an Gott, dem erhabenen Schildern der Wohnung und dem genauen Verumständen und Bedingen der Rechtssprüche: dieser ganze Reichtum der Stimmen und Klangfarben wird, aus dem eintönigen Grau der gewohnten Klavierauszugsnotierung befreit, erst durch diese Partiturschreibung wieder lautbar, lesbar, – laut lesbar.
VII
Wie in dieser letzten Totalität der Rede Luthers Übersetzung, aber nicht minder alle späteren, sich noch, nicht zum Übersetzen verpflichtet fühlte, so nun auch in dem andern Pol der Sprache, dem elementaren: dem Wort. Auch hier hat zwar Luther, vielleicht mehr als alle Späteren, das Problem gesehen; etwa in den schönen Bemerkungen einer andern Psaltervorrede23 über die hebräischen Worte für Güte, Wahrheit und Treue, Glaube; oder noch näher am Schluß der Vorrede auf den Deutschen Psalter, in dem sehr ernst gemeinten Humor, mit dem er allen Meistern und Klüglingen fünfzig Gulden auslobt, wenn sie ihm das eine Wort Chen „durch und durch in der Schrift, eigentlich und gewiß verdeutschen“. Es ist sein Wort, das lutherschste Wort des hebräischen Lexikons, das Wort für Gnade. Schon das, und auch die drei vorher genannten Worte, zeigt uns wieder, was diese ganze Untersuchung überall zeigt: den Glaubenszwang, der alles wirkliche Übersetzen der Schrift bis ins einzelne beherrscht. Wieder wird eine andre Glaubenshoffnung, der alles Profane in der Schrift – und was wäre nicht profan! – nur Hülle ist, unter der sich eines Tages ein Heiliges, mein Heiliges enthüllen kann, auch dieses Problem der Wörtlichkeit des Worts anders, umfassender nehmen. Sie muß grundsätzlich die Aufgabe, ein Wort „durch und durch in der Schrift eigentlich und gewiß zu verdeutschen“, für jedes Wort anerkennen; und wenigstens da, wo ihr die erhoffte Enthüllung der Gegenwärtigkeit des Worts schon einmal geschah, wird aus jener grundsätzlich anerkannten Aufgabe eine unumgehbare, mit allen Kräften anzugreifende.
Es gibt nur Eine Sprache – mit diesem Paradox habe ich in einer andern Behandlung24 des Übersetzungsproblems einmal die Aufgabe, Ziel wie Weg, zu fassen gesucht. Diese Einheit aller Sprache liegt für ihren elementaren Anteil, das Wort, tiefer verborgen als für ihren Totalitätsanteil, den Satz. Der Satz stellt sich auch dem oberflächlicheren Blick als ein Gebilde dar, und also als bildsam, umbildsam. So arbeitet auch die Grammatik, die Satzlehre sowohl wie die ja auch das Wort auf den Satz beziehende Formenlehre, gern mit einfachen Analogisierungen der Sprachen. Das Flugbild der Wortlandschaft einer Sprache aber scheint zunächst einmal von dem jeder andern Sprache geschieden und unterschieden; und auch die Landkarten dieser Landschaften, die Lexiken mit ihrem 1., 2., 3., a, b, c, beschreiben um das Wort der einen Sprache nur je einen großen Kreis, der mehrere Kreise um Worte der anderen Sprache schneidet, so daß eine Anzahl gemeinsamer Flächen entstehen, die aber alle anscheinend beziehungslos und unverbunden auseinanderliegen. Anders wird das Bild erst durch die geologische Betrachtung. In der Wurzelschicht der Worte finden sich die oben getrennten Flächen zusammen, und in noch tieferer Schicht, des Wurzelsinns, der Wurzelsinnlichkeit, zeigt sich, jenseits allen Fragens nach etwaigen Urverwandtschaften der Sprachen, die an der Wortoberfläche nur erahnbare Einheit alles menschlichen Sprechens. In diese Schichten also muß der Übersetzer sich hinunterwagen, wenn er die in der einen Sprache eng zusammenliegenden Worte, in denen sich ein Begriffskreis schließt, in der andern Sprache, ungeachtet daß sie da oberflächlich, lexikalisch, weit auseinanderliegen, ebenfalls als geschlossenen Anschauungs- und Begriffskreis entdecken will. Bei dieser Einfahrt muß er ausgerüstet sein mit der Grubenlampe der wissenschaftlichen Etymologie; aber auch von dem Aufschimmern der Adern des Texts selbst darf er das Auge nicht hochmütig abwenden. Ja diese den Sprechern und Schreibern selbst gemeinten, gefühlten, gewollten Zusammenhänge müssen ihm für sein Werk sogar noch wichtiger sein als die Wortverwandtschaften, welche die Sprachvergleichung sei es bestätigt, sei es verwirft, sei es aufzeigt.
Wenn etwa der Text immer wieder anhebt, daß im Zelt des mo’ed über dem Schrein der ’eduth Gott sich dem Menschen hiwa’e d will, so wird das hier Gemeinte nicht deutlich, wenn (Kautzsch) Gott sich im Offenbarungszelt über der Gesetzeslade offenbart, auch nicht, wenn (Luther) er sich in der Stiftshütte über der Lade des Zeugnisses bezeugt, am ehesten noch, wenn (Luther in älteren Drucken) er sich im Zelt der Bezeugnis über der Lade des Zeugnisses bezeugt; aber weder von zeugen noch von stiften noch von setzen noch von offen noch von bar weiß der Text das mindeste. Die lexikalisch verzweigten Bedeutungen helfen hier dem Übersetzer, wenigstens wenn er an die Bedeutsamkeit des von der Schrift so stark hervorgehobenen Zusammenhangs glaubt, garnichts. Er muß in die Wurzeltiefen hinabsteigen, wo sich ihm dann bei ’ad = „bis“ und ’od = „noch“ der sinnliche Sinn der Wortgruppe erschließt: das räumlich-zeitliche Gegenwärtigsein. Nun gegenwärtigt sich Gott im Zelt der Gegenwart über dem Schrein der Vergegenwärtigung des am Sinai geschlossenen Bunds. Und auch das ha’ed, das Einschärfen und Verwarnen (Kautzsch), das Bezeugen und Ansagen (Luther), von Kap. 19, 21 und 23 und Kap. 21, 29 wird nun sinndeutlich als Vergegenwärtigen. Nur der ’ed, der bei der Tat Gegenwärtige, muß Zeuge bleiben, und die ’eda, die derzeitige Gegenwartschaft des Volkes, bleibt Gemeinschaft. Da stößt der Übersetzer an die Grenze des Sprachmöglichen, über die zwar, wie hier, die Leuchtkraft, aber nicht die Tragkraft des Wurzelsinns hinübertragen darf.
Die Grenze der Sprachmöglichkeit ist natürlich auch sonst gegenüber der Forderung, ein Wort „durch und durch in der Schrift“ zu verdeutschen, unbedingt innezuhalten. So kann die leichte und vieldeutige Interjektion, die Luther mit „siehe“ wiedergab, wegen des Fehlens einer ähnlich vieldeutigen Interjektion im Deutschen – das Italienische besitzt sie in ecco, dem Abkömmling des Worts, womit die Vulgata jene Interjektion gab – durchaus nicht einheitlich übersetzt werden, mag auch mit jenem „siehe“ ein großer Teil des Zaubers des „Biblischen“ wegfallen. Doch ist es genau so unzulässig, aus Scheu, etwa an jene Grenze zu stoßen, entlegene Ausdrücke des Hebräischen durch geläufige des Deutschen zu übersetzen. Und schließlich bietet das Deutsche mit seiner heutigen Leichtigkeit der Wortzusammensetzung auch einen Vorteil, der überall, wo die Wurzelaufgrabung nicht zu praktisch verwertbarem Ergebnis führt, vom Übersetzer auszunutzen ist. Etwa die das ganze Buch rahmende und zusammenschließende Gleichnamigkeit der beiden „Dienste“, des Frondiensts in Ägypten und des Werkdiensts am Zelt, wird in der Mitte des Buchs, in