Franz Rosenzweig

Luther, Rosenzweig und die Schrift


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schon der Wortschatz der Bibel ist unvergleichlich größer als der andrer gleich umfangreicher Bücher. Und in der Frage der Sprachmöglichkeit irren bisweilen selbst die Größten; Luther gibt in der Vorrede zum Alten Testament von 1523 als Beispiele für unzulässige Sprachneuerungen die Worte: beherzigen, behändigen, ersprießlich! So gefährlich ist das Schulmeistern, – selbst für Genies. Doch wenn Luther eine zeitlang schwankte, ob er dem deutschen Sprachgefühl die Bildhaftigkeit der „starken Hand“ (3, 19) zumuten könne, und sie deshalb im achten bis zwölften Druck durch „starke Wunder“ ersetzte, so hat er mit Recht im dreizehnten die echte „starke Hand“ wiederhergestellt: nur sie leitet zu dem folgenden „So recke ich denn meine Hand“ hin, wie sie andrerseits auch wieder durch diese Fortsetzung selber ganz deutlich wird. Daß das wissenschaftliche Bibelwerk ohne Schwanken durch alle Ausgaben, von 1894 bis 1922, „Zwang“ sagen wird, wird der Leser schon kaum mehr anders erwarten.

      VII

      Wenn etwa der Text immer wieder anhebt, daß im Zelt des mo’ed über dem Schrein der ’eduth Gott sich dem Menschen hiwa’e d will, so wird das hier Gemeinte nicht deutlich, wenn (Kautzsch) Gott sich im Offenbarungszelt über der Gesetzeslade offenbart, auch nicht, wenn (Luther) er sich in der Stiftshütte über der Lade des Zeugnisses bezeugt, am ehesten noch, wenn (Luther in älteren Drucken) er sich im Zelt der Bezeugnis über der Lade des Zeugnisses bezeugt; aber weder von zeugen noch von stiften noch von setzen noch von offen noch von bar weiß der Text das mindeste. Die lexikalisch verzweigten Bedeutungen helfen hier dem Übersetzer, wenigstens wenn er an die Bedeutsamkeit des von der Schrift so stark hervorgehobenen Zusammenhangs glaubt, garnichts. Er muß in die Wurzeltiefen hinabsteigen, wo sich ihm dann bei ’ad = „bis“ und ’od = „noch“ der sinnliche Sinn der Wortgruppe erschließt: das räumlich-zeitliche Gegenwärtigsein. Nun gegenwärtigt sich Gott im Zelt der Gegenwart über dem Schrein der Vergegenwärtigung des am Sinai geschlossenen Bunds. Und auch das ha’ed, das Einschärfen und Verwarnen (Kautzsch), das Bezeugen und Ansagen (Luther), von Kap. 19, 21 und 23 und Kap. 21, 29 wird nun sinndeutlich als Vergegenwärtigen. Nur der ’ed, der bei der Tat Gegenwärtige, muß Zeuge bleiben, und die ’eda, die derzeitige Gegenwartschaft des Volkes, bleibt Gemeinschaft. Da stößt der Übersetzer an die Grenze des Sprachmöglichen, über die zwar, wie hier, die Leuchtkraft, aber nicht die Tragkraft des Wurzelsinns hinübertragen darf.

      Die Grenze der Sprachmöglichkeit ist natürlich auch sonst gegenüber der Forderung, ein Wort „durch und durch in der Schrift“ zu verdeutschen, unbedingt innezuhalten. So kann die leichte und vieldeutige Interjektion, die Luther mit „siehe“ wiedergab, wegen des Fehlens einer ähnlich vieldeutigen Interjektion im Deutschen – das Italienische besitzt sie in ecco, dem Abkömmling des Worts, womit die Vulgata jene Interjektion gab – durchaus nicht einheitlich übersetzt werden, mag auch mit jenem „siehe“ ein großer Teil des Zaubers des „Biblischen“ wegfallen. Doch ist es genau so unzulässig, aus Scheu, etwa an jene Grenze zu stoßen, entlegene Ausdrücke des Hebräischen durch geläufige des Deutschen zu übersetzen. Und schließlich bietet das Deutsche mit seiner heutigen Leichtigkeit der Wortzusammensetzung auch einen Vorteil, der überall, wo die Wurzelaufgrabung nicht zu praktisch verwertbarem Ergebnis führt, vom Übersetzer auszunutzen ist. Etwa die das ganze Buch rahmende und zusammenschließende Gleichnamigkeit der beiden „Dienste“, des Frondiensts in Ägypten und des Werkdiensts am Zelt, wird in der Mitte des Buchs, in